Der österreichische Maler Gustav Klimt gilt als Bewunderer des weiblichen Geschlechts, denn er malte bevorzugt Frauen: Zurzeit sind 60 Werke des Österreichers in der Ausstellung „Secessionen“ in der Alten Nationalgalerie Berlin zu sehen, die unter anderem Klimts voyeuristischen Blick bezeugen.

Der österreichische Maler Gustav Klimt (1862 bis 1918) galt schon zu Beginn des 20. Jahrhundert als einer der berühmtesten Künstler seiner Zeit. Heute sind seine kostbaren Werke nicht nur in vielen Ländern im Museum zu finden, sondern zieren auch Tassen, Notizbücher oder Kleidungsstücke und wandern so um die Welt. Seit dem 23. Juni sind 60 Werke von Klimt – ein Teil erstmalig – in der Sonderausstellung „Secessionen: Klimt, Stuck, Liebermann“ in der Berliner Nationalgalerie zu sehen.

Das früh erkannte künstlerische Talent verhalf dem Wiener mit 14 Jahren zu einem Stipendium an der Wiener Kunstgewerbeschule für eine Ausbildung zum Dekorateur. Bereits während der Ausbildung erhielt er erste, große Aufträge. 1897 gründete er mit einigen anderen Künstlerkollegen die „Wiener Secession“, eine Vereinigung aus bildenden Künstlern, die sich gegen Konservatismus richtete und den Wiener Jugendstil etablierte.

Viele der Zeichnungen und Gemälde Klimts kreisen allerdings um das weibliche Geschlecht, haben leicht bekleidete oder nackte Frauen zum Gegenstand. Dabei spiegelt sein Werk die damals herrschende Ambivalenz der bürgerlichen Wiener Männerwelt den Frauen gegenüber wider. Klimt porträtierte einerseits die Protagonistinnen der Wiener Gesellschaft auf repräsentativen Ölgemälden. Andererseits fertigte er unzählige Zeichnungen an von den „süßen Wiener Mädeln“  – von jungen Frauen aus den unteren Gesellschaftsschichten, die im Werk des Schriftstellers Arthur Schnitzler eine ganz ähnliche Rolle als Gespielin oder Geliebte gutsituierter Bürger spielen. Die nackten Frauen stellt Klimt oft in lüsternen Posen dar.

Auch privat verhielt sich Klimt ähnlich wie viele Vertreter des Wiener Bürgertums. Er pflegte mit vielen seiner Modelle ein intimes Verhältnis und zeugte eine Reihe von Kindern mit verschiedenen Frauen, ohne sich an sie zu binden. Allein mit der Modedesignerin Emilie Flöge führte er eine Art Lebenspartnerschaft und brach an dieser Stelle mit den althergebrachten Traditionen. Aber verheiratet war Klimt nie, sondern blieb zeitlebens bei seiner Mutter wohnen.

Huldigung oder Voyeurismus?

Die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts ist auch in der österreichischen Gesellschaft gekennzeichnet durch die Emanzipationsbestrebungen der Frauen. Sie erzielten wichtige Erfolge und gründeten 1893 den „Allgemeinen Österreichischen Frauenverein“, der sich für Frauenrechte einsetzte. 1897 war es Frauen dann erstmals erlaubt zu studieren. Doch die Wiener Secession nahm zum Beispiel keine Künstlerinnen auf. Wenn Klimt also eine große Wertschätzung der Weiblichkeit, ein Feiern der Frau, zugeschrieben wird, so ist dies zu hinterfragen: In seinen repräsentativen Gemälden werden die Frauen zwar sehr viel artifizieller als in den Zeichnungen inszeniert. Aber es scheint, als wären auch die Bilder in erster Linie für den Blick des männlichen Betrachters geschaffen worden – und sie überbringen eine ganz andere Botschaft als die Klimt zugeschriebene.

Auf dem Gemälde „Judith und Holofernes“ (1901) ist zum Beispiel eine junge Frau zu sehen, die ihre Betrachter*innen lasziv anblickt. Ihre freizügige Bekleidung, die Brüste und Bauchnabel entblößt, erzeugt den Eindruck offensiver Verführung. In ihrer linken Hand hält Judith, eine biblische Figur, den abgetrennten Kopf des assyrischen Feldherrn Holofernes. Die Szene versinnbildlicht die Gefahr der weiblichen Attraktivität für den Mann. Die Frau steht in dieser Komposition zwar im Zentrum und der männliche Part wirkt machtlos und an den Rand gedrückt. Trotzdem wird die Frau hier auf ihr Äußeres und ihre Sexualität reduziert. Ein Zeichen für die ambivalente Haltung dem weiblichen Geschlecht gegenüber könnte Judiths Lächeln sein. Die Frau – ebenso gefährlich wie schön – triumphiert hier über das starke Geschlecht und den eigentlich körperlich überlegenen Gegner.

Das heute wohl bekannteste Werk Klimts ist „Der Kuss“ (1908/1909). Auf diesem Werk sind ein Mann und eine Frau quasi miteinander verschmolzen und von einem goldenen Schein umgeben. Während die Frau auf der Blumenwiese kniet, küsst sie der Mann auf die Wange. Vor dem Hintergrund einer zur Schau getragenen und öffentlich verkündeten Bewunderung Klimts für die Frauen kann „Der Kuss“ tatsächlich als Liebesgeschichte interpretiert werden. Das Paar liegt sich in den Armen, als er ihr ein sinnliches Zeichen der Wertschätzung gibt. Der goldene Glanz lässt sich als Ausdruck einer allumfassenden, unendlich überhöhten Liebe lesen.

Es gibt aber einen zweiten, diametral entgegengesetzten und überzeugenderen Interpretationsansatz. Ihm zufolge entsprechen die unterschiedlich gestalteten Roben der Abgebildeten den Geschlechtsstereotypen: Das Muster der Kleidung des Mannes besteht aus schwarz-weißen Rechtecken und versinnbildlicht maskuline Stärke. Die bunten Ornamente auf dem Kleid der Frau hingegen können als Symbole für weibliche Zärtlichkeit gewertet werden. Da die Frau vor dem Mann kniet, wirkt er in dieser Komposition größer und die Darstellung unterstreicht seine Dominanz und Überlegenheit. Obwohl also Klimt und die Wiener Secession zu Recht für den künstlerischen Aufbruch in ein neues Jahrhundert stehen, stellen seine Bilder nur auf den ersten Blick eine Hommage an die Frau und das Weibliche dar. Weder in seiner Kunst noch in seinem Leben hat Klimt das traditionelle bürgerliche Rollenverständnis letztlich überwunden.


Die Ausstellung „Secessionen Klimt Stuck Liebermann“ in der Alten Nationalgalerie Berlin ist bis zum 22. Oktober 2023 zu sehen.

Foto: Belvedere, Wien; Johannes Stoll.