Die neue Kurzgeschichtensammlung ‘Böses Glück’ der dänischen Autorin Tove Ditlevsen ist beim Aufbau Verlag erschienen und porträtiert das fiktive Leben zumeist verheirateter Paare im Dänemark des 20. Jahrhunderts. Das Glück dieser Paare scheint böse, da so fragil, so gefährlich nah am Unglück. Obwohl Ditlevsen das Leben von Paaren aufzeigt, geht es letzten Endes um das Schicksal der Frauen, das vielmehr fremd- als eigenbestimmt ist.

Seitdem mir die Werke von Tove Ditlevsen empfohlen wurden, lassen mich die tiefen und   oftmals abgründigen Geschichten nicht mehr los. Ihre Beschreibungen der Gesellschaft erinnern mich an diejenigen, die ich als Teenager bei der Lektüre in ‘Wir Kinder vom Bahnhof Zoo’ vorfand – erschreckend und faszinierend zugleich. Sehnsüchtig erwartete ich deshalb auch den Beginn der Lektüre, um mich durch ‘Böses Glück’ erneut von der Wucht ihrer Erzählungen mitreißen zu lassen. Mitgerissen haben sie mich, aber auch ebenso abrupt wieder stehen gelassen. Denn es werden bloß kurze Einblicke in das Leben der Figuren gewährt, wodurch man wenig, aber gerade genug über die vergänglichen Freuden der Charaktere erfährt.

Bereits die von der Schriftstellerin zuvor herausgebrachte ‘Kopenhagener Trilogie’ gewährte mir Einblicke in ein Leben, das mir bis dahin teilweise sehr fremd war. Ditlevsen erzählt darin über ihr Aufwachsen im dänischen Arbeitermilieu des 20. Jahrhunderts, dem schwierigen Beginn einer Schrifstellerinnenkarriere und durchlebten psychische Krisen. Sie scheut dabei nicht davor zurück, die unschönen Seiten des Lebens, wie ihr eigenes Aufwachsen in Kinderarmut, auf eine sehr ehrliche Weise zu beschreiben.

Dabei behandelt Ditlevsen diese Themen auch in ‘Böses Glück’. Zumindest beschreibt sie darin Probleme ihrer Figuren, welche auch sie selbst ein Leben lang betrafen: Depressionen, Eheschwierigkeiten und über all dem die Frage: Bin ich glücklich? Oder gibt es da vielleicht noch mehr?

Diese Frage wird der Protagonistin Helga der Einführungsgeschichte von ‘Böses Glück’ mitgegeben. Objekt von Helgas Begierde ist ein simpler Regenschirm, oder wie es Ditlevsen sagt: « Helga hatte schon immer, und vollkommen widersinnig, mehr vom Leben verlangt, als es bieten konnte. ». Das zeigt auf, was Ditlevsens Geschichten beschreiben: Die untergeordnete Rolle der Frauen in der damaligen dänischen Gesellschaft, in welcher das Patriarchat (noch) voll erblühte. Obschon die Männer die Macht haben, sind es die Frauen, um die es in den Geschichten hauptsächlich geht, seien es Hausfrauen, betrogene oder verlassene Mütter und unglückliche Ehefrauen.

Die meisten von ihnen drücken sich davor, zu stark auszubrechen. Stattdessen fügen sie sich der Gesellschaft, dem Mann. Gerne würde man sie lautstark darauf hinweisen, dass sie durchaus das Recht haben, einen Regenschirm zu besitzen, dass nicht sie einzig die Schuld-und Leidtragenden der Depression ihrer Ehemänner sein müssen. Man möchte ihnen sagen, dass es gesellschaftliche Konventionen sind, von denen sie beinahe erdrückt werden.

‚Böses Glück‘ beschreibt anschaulich patriarchale Gesellschaftsstrukturen und ist auch heute noch aktuell. Böses Glück klingt bedrohlich; es lässt aufhorchen – und aufhorchen sollte man auch beim Namen ‘Tove Ditlevsen’. Nur zu Recht, wie ich finde.

Was Ditlevsens Bücher zu diesen viel gelobten Werken macht? Es ist ihre genaue Beobachtungsgabe der Menschen um sie herum, die sich in ihren Geschichten widerspiegelt, aber auch ihre sprachlich schönen Formulierungen. Man bemitleidet die Figuren, möchte sie manchmal gerne in die Arme schließen und trösten. Und doch gelingt es Ditlevsen noch in dieser Tristesse, hier und da ein Schmunzeln und kleine Momente des von den Protagonist*innen so herbeigesehnten Glücks in das Leseerlebnis einzubringen. Ein Eintauchen in eine für uns ganz andere Zeit, mit teils doch so aktuellen Problemen lohnt sich damit allemal.


Illustration: Céline Bengi Bolkan