Das Streben nach Verbesserung ist ein fester Bestandteil der menschlichen Existenz – auf Social Media verliert die kollektive Darstellung von stetiger Selbstoptimierung in den letzten Jahren jedoch immer mehr an Realitätsbezug. Wie irreführend und überzogen solche Ansprüche schnell werden können, und wie vor allem Frauen unter dem Druck dieser Erwartungen leiden, zeigt der neueste virale Hashtag.

In den letzten Monaten Pandemie habe ich meine Bildschirmzeit ordentlich durch die Decke getrieben. Dabei habe ich mich des Öfteren auf Plattformen wie Instagram, TikTok oder YouTube verirrt, und dort konnte mir der nächste große Trend in der Selbstoptimierungs-Bubble kaum entgehen: Besonders zum Jahreswechsel fluteten mir die Bilder und Videos von grünen Smoothies, Yogamatten und Buddha-Bowls entgegen, alle bestückt mit dem ominösen Hashtag „That Girl“ (deutsch: „Dieses Mädchen“).

Wer wie ich verwirrt nach weiteren Satzteilen gesucht hat und sich jetzt fragt: „Welches Mädchen denn?“, dem möchte ich besagtes Mädchen hier kurz einmal vorstellen: Dieses Mädchen steht spätestens um 5 Uhr morgens auf und startet den Tag direkt mit einer Runde Sport, bevor andere überhaupt den Weg zur Kaffeemaschine gefunden haben. Nach dem ersten Liter Zitronen-Gurken-Wasser meditiert sie im Licht der aufgehenden Sonne, bringt in ihrem Dankbarkeitstagebuch bereits den ersten kleinen Roman zustande und liest 100 Seiten aus dem neuesten trendy Selbsthilfebuch.

Dieses Mädchen macht jeden Tag ihr Bett. Sie ist nach aktuellen Instagram-Standards perfekt gestylt, erreicht täglich die 10.000 Schritte und isst dabei genauso viele Smoothies und Salate, wie ihre brandneue AppleWatch es ihr erlaubt. Dabei arbeitet  sie gleichzeitig natürlich auch mühelos die seitenlange To-Do-Liste aus ihrem Bullet Journal ab (#girlboss). Eigentlich ist sie ein wandelndes Pinterest-Board: Stichwort Selbstoptimierung vom ersten Morgengrauen bis zum Schlafengehen.

Immer noch mehr und doch nie genug

Wer jetzt immer noch auf den Namen dieser menschlich gewordenen Perfektions-Maschine wartet, den muss ich an dieser Stelle wohl enttäuschen: Dieses Mädchen ist keinesfalls eine echte Person, sondern ein Konstrukt geformt aus utopischen und toxischen Vorstellungen von Produktivität, Erfolg und Gesundheit – und aus übertriebenen Ansprüchen an Frauen.

Das ist in den sozialen Medien gewiss nichts Neues. Die Konfrontation mit augenscheinlich perfekt geformten und inszenierten Körpern ist seit Jahren eine Gefahr für das Selbstwertgefühl und Körperbild vieler Mädchen und Frauen. Der „That Girl“-Trend jedoch schafft es nun, die verzerrten Forderungen der Diet Culture nach übermäßigem Sport und strikt gesunder Ernährung unter dem Deckmantel von Wellness und Gesundheit als notwendigen Teil des Weges zu Glück und Erfolg zu verkaufen. Diverse Supplement- und Superfood-Unternehmen machen wohl gerade Luftsprünge, angesichts dieser ungeahnten PR-Möglichkeit.

Darüber hinaus müssen sich Frauen nun nicht mehr bloß mit unrealistischen Körperbildern und ungesunden Essgewohnheiten in ihrem Feed herumschlagen, sondern werden zusätzlich auch noch dem psychischen Druck ausgesetzt, immer noch ein wenig besser sein, immer noch ein wenig mehr tun zu können.

Dieser toxische Produktivitätsgedanke, nur wertvoll zu sein, wenn man zu jeder Sekunde des Tages irgendeine Liste abarbeitet, führt zu dem Glauben, nie gut genug zu sein. Es erweckt sofort ein schlechtes Gewissen, wenn man dann doch mal Chips kauend auf der Couch liegt, anstatt ins nächste Yogastudio zu rennen. Dem Ganzen wird nur noch dadurch die Krone aufgesetzt, dass die portraitierten Routinen ohnehin kaum nachhaltig in einen normalen Alltag zu integrieren sind.

Und Männer?

Der Hashtag „That Boy“ schafft es auf Instagram auf nicht einmal zehn Prozent der Beiträge, die unter #thatgirl zu finden sind. Mir springen hier auch nicht die ästhetisierten Morgenroutinen junger Männer entgegen, sondern eher wenig spektakuläre Selfies, Kinder- oder Tierfotos. Selbstoptimierung in allen Lebensbereichen scheint etwas zu sein, das wir in unserer Gesellschaft zum Großteil also nur von Frauen erwarten.

Als ich meinen Freund frage, der im Übrigen in seinem Feed noch nie mit diesem Trend konfrontiert wurde, wie denn wohl die optimale Morgenroutine für einen erfolgreichen Tag im Leben eines Mannes aussehen würde, meint dieser nur ganz trocken: „Ich weiß nicht, aufstehen und einmal am Sack kratzen wahrscheinlich.“ Nun gut, das war zugegebenermaßen nicht ganz das, was ich hören wollte, ist letztendlich wohl aber doch ein gutes Sinnbild für die Diskrepanzen zwischen den geschlechterspezifischen gesellschaftlichen Erwartungen in diesem Bereich.

Inspiration vs. Imitation

An und für sich genommen können wohl all die unter #thatgirl dargestellten Verhaltensweisen durchaus sinnvoll sein und zu einem gesunden und ausgeglichenen Lebensstil beitragen. Sport, frische Luft, Dankbarkeitstagebücher – diese Dinge werden alle erwiesenermaßen mit einer allgemein besseren Stimmungslage assoziiert. Zusammengenommen und in solch einer extremen Form, wie es in den sozialen Medien zurzeit verlangt wird, entsteht aber schnell ein riesiger Strudel aus Toxizität und unrealistischen Erwartungen, der am Ende mehr Schaden als Nutzen bringt und Frauen weiter in einem Teufelskreis aus Unzufriedenheit und Minderwertigkeitskomplexen gefangen hält.

Ein wenig Inspiration oder Motivation aus den zahlreichen „That Girl“-Beiträgen zu ziehen ist mit Sicherheit vollkommen okay, sein ganzes Leben und Selbst danach auszurichten, weil man denkt, dadurch glücklicher und erfolgreicher zu werden, wird rasch gefährlich.

Als Frau darf man sich von diesen Idealen ohne Schuldgefühle frei machen und ist nicht verpflichtet, sich dem gesellschaftlichen Druck nach Perfektion hinzugeben. Wichtig ist, am Ende zu lernen, mit sich selbst zufrieden zu sein und Routinen zu finden, die sich gut anfühlen und langfristig Bestand haben können.


Illustration: Céline Bengi Bolkan