Im Jahr 2010 wurde der umstrittene Stiftungslehrstuhl „Geschichte Aserbaidschans“ an der Humboldt-Universität ins Leben gerufen. Im September vergangenen Jahres folgte dann das Aus. Zu laut wurde die Kritik, dem autoritären Staat eine Bühne für seine Propagandazwecke zu bieten. Doch abgehakt ist die Thematik noch nicht, denn der Journalist Arne Semsrott hat die Universität verklagt. Die HU verweigert ihm die Zusendung des Stiftungsvertrages – und beruft sich dabei auf ein Veto der aserbaidschanischen Regierung.
Korruption, dubiose Beziehungen und Lobbyarbeit für einen autoritären Staat – seit 2017 sorgen Verbindungen zwischen Abgeordneten der CDU und CSU und Aserbaidschan für Schlagzeilen. Mittendrin: Die Humboldt-Universität mit ihrem Stiftungslehrstuhl „Geschichte Aserbaidschans“. Die Finanzierung des Lehrstuhls durch die aserbaidschanische Botschaft erregte im Rahmen der Aserbaidschan-Affäre Aufmerksamkeit. Denn die HU nahm seit Beginn der Gastprofessur im Jahr 2010 über eine Million Euro von dem nicht-demokratischen Staat an.
HU behandelt Stiftungsvertrag als „Diplomatisches Schriftstück“
Am 18. April 2021 bat der Journalist Arne Semsrott die HU um Einsicht in den Vertrag zur Errichtung des Stiftungslehrstuhls. Zunächst schien die Universität auf den Antrag einzugehen. Doch dann folgte am 21. Juni 2021 die Absage. Die HU stimmte zwar der Einsicht in den Vertrag des Stiftungslehrstuhls vor Ort zu, verweigerte Semsrott jedoch die Weitergabe des Schriftstücks aufgrund eines Vetos der aserbaidschanischen Botschaft. Die HU hatte diese zuvor um Einverständnis der Weitergabe gebeten – ein Schritt, der laut Semsrott nicht nötig ist, schließlich habe er seinen Antrag auf Akteneinsicht bei der HU und nicht bei der Botschaft Aserbaidschans gestellt. Die Universität verwies auf den Status des Stiftungsvertrages als diplomatisches Schriftstück. Als solches sei das Dokument nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 des Berliner Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) geschützt und müsse nicht herausgegeben werden.
Semsrott legte Widerspruch ein. Ihm zufolge beinhalte das Berliner IFG keinen Ausnahmetatbestand für diplomatische Schriftstücke. Die HU sei zudem keine diplomatische Institution und der Vertrag demnach kein diplomatisches Schriftstück. Am 25. Oktober 2021 verklagte Semsrott die HU.
Begründung der HU zweifelhaft
Auch der Berliner Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Gunnar Berndorff, hält die Begründung der HU für zweifelhaft. Offenbar sei die Universität der Ansicht, dass es sich bei der aserbaidschanischen Botschaft um eine öffentliche Stelle handele, die nicht unter den Anwendungsbereich des Berliner IFG falle. Dem widerspricht Berndorff: „Bei der aserbaidschanischen Botschaft handelt es sich nicht um eine Bundes- oder Landesbehörde oder um eine untergeordnete deutsche öffentliche Stelle.“
Berndorff halte es außerdem für zweifelhaft, dass das IFG auch die Interessen ausländischer Behörden oder Staaten schützen wolle und könne. Vielmehr kenne weder das Informationsfreiheitsgesetz noch das deutsche Recht allgemein einen grundsätzlichen Schutz sogenannter „diplomatischer Schriftstücke“. Der Rechtsanwalt könne sich nicht erklären, was das überhaupt sein soll. Die Universität wolle sich derzeit nicht zu der Klage äußern, da es sich um ein laufendes Verfahren handle.
Urteil frühestens Ende 2022
Semsrott ist Projektleiter der Internetplattform FragdenStaat, für die er regelmäßig Anfragen an Behörden stellt. Wenn diese unrechtmäßig verweigert werden, klagt das Portal für Informationsfreiheit. „Es ist für uns eine Prinzipiensache, in diesen Fällen grundsätzlich zu klagen, weil wir glauben, dass das einen erzieherischen Effekt auf Teile der öffentlichen Verwaltungen haben kann, wenn diese auch mal ein Urteil kassieren“, sagt Semsrott. Insbesondere die HU bedarf laut dem Journalisten einer Erinnerung an das Recht auf Information, „denn gerade das Verhalten der Pressestelle ist aus meiner Sicht nicht informationsfreundlich“.
Semsrott weiß, dass es von der Klage bis zum Urteil ein langer Weg ist. „Ein Grundsatzproblem bei diesem ganzen Prozess ist, dass er sehr zeitintensiv ist“, kritisiert der Journalist. Denn auf die Klage folgt grundsätzlich zunächst die Erwiderung des Beklagten. Später äußern sich dann beide Parteien erneut in einer Replik und Duplik. So wird das Urteil wohl frühestens Ende 2022 fallen – eineinhalb Jahre nach Semsrotts erster Anfrage zum Vertrag des Stiftungslehrstuhls.
HU verzögert Klärung des Falles
Bis dahin sei wohl die Debatte um die Beziehung zwischen Aserbaidschan und Deutschland längst nicht mehr aktuell, das öffentlichkeitswirksame Interesse verpufft. „Und das weiß natürlich auch eine Behörde wie die HU. Insofern hat sie leider durch ihre Blockadehaltung einen Teilerfolg erreicht, der vor allem der Langwierigkeit des Prozesses geschuldet ist“, so Semsrott.
Nichtsdestotrotz ist die Einsicht in den Vertrag auch zu einem späteren Zeitpunkt nach wie vor von Bedeutung. Denn er ist das einzig verbleibende Schriftstück, das Licht ins Dunkel der Beziehung zwischen der HU und der aserbaidschanischen Botschaft bringen kann. Schließlich teilte die HU Semsrott im vergangenen Jahr außerdem mit, dass die schriftliche Kommunikation zwischen den beiden Institutionen bereits gelöscht wurde.
So bleiben dem Journalisten zufolge relevante Fragen offen: „Wie kam es überhaupt zu dieser Verbindung? Wie wurde dieser Lehrstuhl geführt? Welche Rolle spielen die verschiedenen Personen innerhalb der HU? Ich befürchte, dass wir diese Beziehung zwischen der HU und Aserbaidschan nicht mehr komplett nachzeichnen können.“ Aber zumindest sei der Vertrag ein wichtiges Schriftstück, um die Rahmenbedingungen auf rechtlicher Ebene zu klären.
Diskussionen über Drittmittelfinanzierung
Immerhin könnte das Schriftstück Debatten über potenzielles zukünftiges Zusammenarbeiten zwischen Forschung und Lehre auf der einen und nicht-demokratischen Staaten auf der anderen Seite anregen. Denn in der Drittmittelfinanzierung sieht der Journalist großen Gesprächsbedarf:
„Hochschulen sind auf die Finanzierung durch Dritte angewiesen oder meinen, darauf angewiesen zu sein, sodass sie dann leider auch Kompromisse eingehen, die sie eigentlich nicht eingehen sollten.“ So könne nach Offenbarung des Vertrags zwischen der HU und der aserbaidschanischen Botschaft eine gute Diskussionsgrundlage entstehen. Akteur*innen wie Studierende könnten sich dann an den Kritikpunkten orientieren und deutlich machen, welche Kompromisse und Kooperationen zukünftig gewünscht sind.
RefRat erwartet lückenlose Aufklärung durch neues Präsidium
So begrüßt auch der RefRat, das die Studierendenschaft der HU vertritt, Semsrotts Klage zur Herausgabe des Stiftungsvertrages. Die HU habe bei allen Anfragen zur Aserbaidschan-Verbindung so lange wie möglich gemauert. Es sei dringend notwendig, dass die Humboldt-Universität endlich wieder ihrer Aufgabe als Institution im Dienst der Öffentlichkeit gerecht werde und sich nicht noch weiter aufgrund von elitären Zielsetzungen abschotte.
Seit Semsrott erstmals um Akteneinsicht bat, ist an der HU viel passiert: Am 30. September 2021 beendete Eva-Maria Auch, die einstige Inhaberin des Stiftungslehrstuhls, ihre Lehrtätigkeit. Daraufhin beschloss der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät einstimmig, auch den Lehrstuhl „Geschichte Aserbaidschans“ einzustellen. Nachdem im Oktober desselben Jahres die ehemalige HU-Präsidentin Sabine Kunst zurücktrat, bekleidet seit dem 15. Februar 2022 Julia von Blumenthal das Amt. Als neue Universitätspräsidentin könnte sie den weiteren Verlauf der Klage gegen die HU maßgeblich beeinflussen.
Das fordert auch der RefRat gegenüber der UnAuf: „Wir erwarten vom neuen Präsidium, dass die Vorgänge lückenlos aufgeklärt werden. Es ist zwingend notwendig, dass es nicht nur zu einer internen, sondern vor allem auch zur öffentlichen Aufarbeitung dieser Instrumentalisierung der Humboldt-Universität für die Propaganda der aserbaidschanischen Regierung kommt.“ Dennoch bleibe es ein Skandal, dass sich die Universität für die Lobbyarbeit eines autoritären Regimes einspannen lasse und damit die Freiheit von Forschung und Lehre gefährde.
Verzicht auf Klage oder Fortführung der Intransparenz?
Die neue Präsidentin der HU, Julia von Blumenthal, hat nach wie vor die Möglichkeit, den Vertrag ohne jegliches rechtliches Prozedere und mit Verzicht auf einen Gerichtsprozess herauszugeben. Doch der Journalist Arne Semsrott bezweifelt eine solche Entscheidung: „Wenn das so weitergeht wie bisher, kann man davon ausgehen, dass die neue Präsidentin hinter der Intransparenz steht. Das könnte sich in den nächsten Wochen zeigen.“
So oder so rechnet er sich gute Chancen aus, spätestens nach einem Urteil zu seinen Gunsten, Einblick in den Vertrag zu erhalten und diesen auch verbreiten zu dürfen: „Wir würden nicht klagen, wenn wir nicht glauben würden, dass wir gute Chancen haben“, so Semsrott.
über Aserbaidschan
Aserbaidschan erklärte 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion und wird seither autoritär regiert. Probleme wie Korruption, die Missachtung von Menschenrechten und der Konflikt mit Armenien um die Region Bergkarabach prägen das Land. Seit 2003 ist Ilham Alijew Präsident Aserbaidschans, als Nachfolger seines Vaters Heidar Alijew.
Seit Jahren verfolgt die autoritäre Regierung Aserbaidschans, insbesondere Staatschef Alijew, eine Lobby-Strategie, die als “Kaviar-Diplomatie” bezeichnet wird: Internationale Politiker*innen und Unternehmer*innen reisen auf Staatskosten nach Aserbaidschan und erhalten dafür teure Geschenke. 2012 deckte die Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) das Vorgehen der Regierung auf. Sie fand außerdem heraus, dass auf der Lobbyisten-Liste Aserbaidschans auch deutsche Abgeordnete standen. So macht seit 2017 die sogenannte „Aserbaidschan-Affäre“ in Deutschland Schlagzahlen, in die mehrere Abgeordnete der CDU und CSU verwickelt sind.
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