Die Oper „Elektra“ von Richard Strauss findet an der Deutschen Oper Berlin nur in konzertanter Form statt, in Form eines Konzerts, das heißt ohne Bühnenbild, ohne Kostüme und auch ohne szenische Interaktion der Sänger*innen. Das gemeine Opernpublikum steht solchen Unterfangen oft kritisch gegenüber. Zurecht? – fragt sich der Verfasser der Kulturkolumne in dieser Woche.

Treue Lesende dieser Kolumne kennen den Verfasser als großen Freund der Deutschen Oper (natürlich ohne Aufgabe des kritischen Kritiker-Bewusstseins!). Das kommt nicht von ungefähr – allein in der vergangenen Spielzeit hat dieses Haus ein so reiches Füllhorn an beeindruckenden Produktionen in Anschlag gebracht, dass mir, einem distinguierten Opernbesucher, so manches Mal die Sprache verschlagen hat. Der ganze Ring, die Meistersinger, Tannhäuser, Lohengrin, unzählige beachtenswerte kleinere Produktionen und dann auch noch die Elektra von Strauss. Dass es sich dabei nicht um eine Kleinigkeit handelt, ist schon aus dem Zitat des Librettisten Hugo von Hoffmannsthal abzulesen, das im Programmheft sämtlichen Erläuterungen vorangestellt wird: „Mythisch ist alles Erdichtete, woran du als Lebender Anteil hast.“ Kombiniert mit einem Blick auf die Besetzung der Oper, die mit einem ausladenden Blechsatz von immerhin acht Hörnern, sieben Trompeten und vier Posaunen pfundet, schwant es einem.

Kurzum gilt auch für „Elektra“ an der Deutschen Oper Berlin: besser gut konzertant, als schlecht mit Inszenierung. Foto: Bettina Stoess

Mythisch und ausladend sollte auch diese Inszenierung werden – doch wie sooft in diesen Zeiten hatten die Unwägbarkeiten der Pandemie allem Geplanten ein Bein gestellt: wegen eines exorbitant hohen Krankenstandes musste die Inszenierung gestrichen werden und so fand die Oper lediglich konzertant statt. Das Publikum war damit wohl nicht einverstanden, an diesem Abend blieben fast die Hälfte der Sitzplätze im Charlottenburger Opernhaus leer. Offenbar hat das hiesige Opernpublikum noch nicht verstanden, dass eine gut vorgetragene konzertante Aufführung kein Schmach, sondern oft eine hoch-professionelle Lösung ist. Selbst der Olymp der deutschen Opernkultur, die Wagner-Festspiele in Bayreuth, brachten im vergangenen Sommer mit Hermann Nitschs Walküren-Inszenierung eine konzertante Version einer Oper auf die Bühne, die die Voll-Inszenierungen dieses Festspielsommers auf vielen Ebenen ausstach.

Doch spätestens mit dem Erklingen des ersten Tones sind sämtliche pandemische Sorgen verflogen und den Zuhörenden werden von Beginn an immer wieder Momente zuteil, die bis in Mark und Bein erschüttern. So etwa das tiefe Flehen der Elektra, der ungeliebten Stieftochter, und immer wieder aber auch ihre unerbittliche Blutrünstigkeit, die die Musik detailreich und unerbittlich nachzeichnet. Dabei hat Elektra, die Catherine Foster mit Leib und Seele spielt – ja, lebt!, in ihrer List, ihrem Leiden und ihrem Töten immer wieder etwas walkürenhaftes. Das Klangerlebnis fühlt sich streckenweise fast wie jenes in Wagners „Walküre“ an. Überhaupt ist nicht zu verkennen, dass Richard Strauss von Namensvetter Wagner beeinflusst wurde. Und doch – und das ist eine der Erkenntnisse des Abends – manifestiert sich, dass Strauss mit seiner Elektra an einem interessanten Punkt in der neueren Musikgeschichte zu platzieren ist.

Wendepunkt in der Musikgeschichte

Dreißig Jahre vor der Uraufführung im Jahre 1909 war Richard Wagner mit seinem revolutionär-modernen Opernkonzept das Maß aller Dinge auf Europas Bühnen und dreißig Jahre später, in den ausgehenden 1930er Jahren ist dann schon die Filmmusik auf dem Vormarsch. So ist die Elektra einerseits ein letztes Ausklingen der Wagner-Ära, mit Ekstase, Vernichtung, lautem Blech und existenzieller Musik. Und andererseits werden immer wieder Töne angeschlagen, die fast an die Filmmusik eines John Williams erinnern möchten – Elektra also auch als Wendepunkt in der Musikgeschichte.

Die musikalische Leitung hat an diesem Abend Juraj Valcuha, dem es nicht nur gelingt, das wie immer brilliante Orchester der Deutschen Oper auf ihr gewohntes Niveau zu peitschen. Nein, Valcuha schafft es mit großer dirigentischen Empathie seine Einsätze rücksichtsvoll, fast behutsam zu erteilen. Manchmal dreht er sich sogar zu den Singenden, die hinter ihm agieren, um, gibt mit langem Arm deutliche Einsätze und lässt so in keiner Sekunde Unsicherheit aufkommen. Valcuha hat die Fäden in der Hand und organisiert diese geräuschlos, aber über alle Maßen effektvoll. Expressiv, wo es nötig ist. Ein Dirigent also, der nicht „für die Galerie“, sondern einzig und allein für seine Schützlinge, für das Orchester und die Singenden dirigiert. Eben jenes Orchester liefert feinste Klänge und besonders das Schlagwerk hat an diesem Abend einige Glanzmomente. Wenn etwa die beiden Paukisten fast ohrenbetäubend auf ihre Pauken eindreschen und mit einem großen Konvolut an Orff-Instrumenten sogar Rutenschläge, bedrohliches Zischen und Gewitterdonner zu produzieren in der Lage sind. Neben dem Orchester und der großartigen Catherine Foster, die zurecht nach Ende der Vorstellung heiß umjubelt wird, leisten auch Tobias Kehrer als Orest und Burkhard Ulrich als Aegisth Großes. Besonders Kehrer hüllt das Publikum mit seiner samtweichen Stimme so sehr ein, dass einem vor Ergriffenheit immer wieder die Tränen in die Augen schießen wollen.

Am Ende bleibt die Bewunderung für die Akteur*innen des Abends, es bleibt eine tiefe Benommen- und Ergriffenheit von der Musik Strauss’ sowie die Erkenntnis, dass auch ein konzertantes Opernerlebnis einen Besuch wert ist.


Die Oper „Elektra“ kommt noch einmal am 21. und am 24.04.2022 in der Deutschen Oper Berlin zur Aufführung. Die Aufführung am 24.04.2022 wird zugleich die Letzte in der aktuellen Spielzeit sein. Karten hierfür sind im Webshop der Deutschen Oper sowie an den Kassen aller Berliner Opernhäuser zu erwerben.

Foto: Bettina Stoess