Unsere Autorin Natalia stellt euch vibrierende, inspirierende und talentierte junge Künstler*innen, Kollektive und andere freie und unabhängige Kunstschaffende vor — die new wave. In dieser Ausgabe erklärt Suki Su was Reis, Buchkunst und Infografik gemeinsam haben, wie sich kulturelle Codes manifestieren und als Diskriminierungen und Fehl-Codierungen unbewusst adoptiert und reproduziert werden.
„Culture Switch: Russia and China meets Germany“ — so heißt das Buch, welches Diskriminierung und Fehl-Codierung im Design thematisiert. Es ist eine Art Code-Katalog, ein Ergebnis langer Recherchen von Suki Su und Alissa Verj, beide Studentinnen der UdK, die gemeinsam das Projekt auf die Beine gestellt und dafür den Förderpreis für junge Buchgestaltung erhalten haben.
UnAuf: Momentan studierst du im MA an der UdK. Dein Bachelor hat dich auf deine Kunst vorbereitet. Was hast du gemacht?
Suki Su: Ich habe in China im Bachelor Werbedesign studiert und schon relativ früh gemerkt, dass mich nicht der kommerzielle Teil der Arbeit, sondern der künstlerische Teil anzieht. Deshalb habe ich mich entschlossen einen künstlerischen Master anzuhängen. Ein Studium in Japan, Amerika oder England ist zu teuer, deshalb habe ich mich für Deutschland entschieden. Aber auch wegen der Bauhaus-Schule. Diese Tradition ist in China sehr beliebt und ich war schon immer fasziniert davon.
Für deine Bachelorarbeit hast du einen Film über das chinesische Dorf Nanting gemacht. Was ist daran so besonders?
Guangzhou ist eine große Stadt, dort habe ich im Bachelor studiert. Nicht weit von Guangzhou liegt Nanting. Ein Dorf, in das viele Absolventen der Kunstschule hinziehen, um ihrer Kunst und ihrem Handwerk nachzugehen. Oft sind es ganz traditionelle Handwerke, die dort praktiziert werden. Das ganze Dorf ist eine große Künstlerkommune, die eine einzigartige Möglichkeit bietet, Künstler*innen ein Studio zu mieten und dort arbeiten zu können. Dass es so eine Kommune gibt, ist ganz unbekannt. Meine Idee war es, darüber zu berichten und präsenter zu machen. Es ging mir um Transparenz. „Made in China“ wird oft mit billiger Massenherstellung verbunden, dabei wissen nur die wenigsten von Dörfern und Künstler*innen-Communities wie in Nanjing, wo noch viel Wert auf Qualität, Tradition und Handwerk gelegt wird.
Auf deinem Instagram-Profil steht „Kunst ist Reis“. Was bedeutet dieser Spruch für dich?
Als ich nach Deutschland kam, um zu studieren, habe ich Rundgänge an unterschiedlichen Kunsthochschulen besucht. Als ich in Hamburg war, sah ich ganz zufällig einen Graffiti-Tag mit der Aufschrift „Kunst ist Brot“. Ich musste länger darüber nachdenken. Brot ist in der europäischen Esskultur ein ganz grundlegender Bestandteil. Im asiatischen Raum ist es der Reis. Kunst ist für mich alltäglich notwendig wie Reis in der asiatischen Esskultur. So entstand der Bezug. Und das brachte mich auf weitere Gedanken, wie zum Beispiel die Assoziation zu China-Boxen und chinesischer Esskultur und irgendwann hatte ich genug Material, um über ein Buchprojekt nachzudenken.
Für das Buchprojekt „Culture Switch“ hast du und deine Partnerin den Förderpreis für junge Buchgestaltung erhalten. Worum geht es in diesem Projekt?
Das Buchprojekt ist unter dem Seminar „Code Switching“ entstanden. Da geht es darum von der Gesellschaft reproduzierte Stereotypen zu hinterfragen und visuell darzustellen. Ich habe das Projekt zusammen mit meiner Kommilitonin gemacht, deren Wurzeln in Russland sind. Wir haben uns zuerst frei ausgetauscht über diskriminierende Erfahrungen, die wir in Deutschland als Programmstudierende machen, und festgestellt, dass es strukturelle Muster gibt. Mir wurde zum Beispiel sofort bewusst, dass chinesisches Essen und Esskultur mit Fast Food assoziiert wird. Insbesondere mit fettigem und ungesundem Essen, verpackt in China-Boxen. Da ich mich für Typographie interessiere, habe ich mich total fixiert auf diese Art „Bambus Schrift“ in der „Asia Box“ oder „China Box“ geschrieben ist.
Es ist schon eigenartig, dass diese Schrift auf diese Box gedruckt wird, um eine asiatische Ästhetik zwanghaft darzustellen. Es wirkt exotisch und auf mich als Chinesin ganz befremdlich, wenn ich diese Asiaboxen sehe. Ich kenne zwar diese Boxen aus China, jedoch nicht mit dieser Schrift. Mich hat es gewundert, dass auf diese Verpackung chinesische oder asiatische Esskultur reduziert wird. Das heißt, oft kennen meine deutschen Freunde die traditionelle Esskultur Chinas gar nicht, sondern nur die hiesigen chinesischen Fast Food-Restaurants. Im Austausch mit meiner Kommilitonin sind uns noch viele weitere typographische Merkmale aufgefallen, die visuelle Klischees hervorrufen können.
Da ist die Idee entstanden, aus diesen ganzen stereotypisierenden Codes ein Buchprojekt ins Leben zu rufen. So haben wir uns darauf geeinigt, visuelle eingedeutschte chinesische aber auch russische Typographien und Elemente aus dem Alltag zu suchen, zu sammeln und daraus einen richtigen „Klischee-Katalog“ herzustellen. Es wurde eine Art großes Bildlexikon.
Welcher Unterschied ist dir besonders aufgefallen im Vergleich von deinem Studium in China und deinem Studium in Deutschland?
Mir ist sehr früh ein wichtiger Unterschied aufgefallen: Die Zeit und das Lerntempo. Ich brauche beispielsweise viel Zeit und die intensive Unterstützung meiner Professor*innen, um mein Talent und mein Können zu entfalten. In China hatte ich den permanenten Druck verspürt so schnell wie möglich sehr erfolgreich zu werden. Erfolg ist nicht an Schnelligkeit geknüpft, sondern an Zeit und Entwicklung. Ich habe gelernt, den Druck rauszunehmen und mir Zeit zu nehmen.
Foto: FLY:D