Kritik an linken, queerfeministischen und post-strukturalistischen Positionen gehört beim Querverlag zum Programm. Nun ist der neueste Sammelband erschienen.

Es fängt schon mal gut an. Laut Vorwort sollen die theoretischen Grundlagen queerer Aktivist*innen abgearbeitet werden. Die These lautet: Nur, weil jene es in Form von Disziplinen wie Gender Studies oder Postcolonial Studies auch langsam in den Mainstream schaffen, sorgen sie noch lange nicht für soziale Gerechtigkeit. Im Gegenteil! Das Ergebnis seien Sprechverbote, Missgunst und gefährliche Identitätspolitik.

Soziale Gerechtigkeit, oder „Fragen eines guten, fairen Umgangs miteinander“, ist auch das, was Herausgeber und trans Aktivist Till Randolf Amelung antreibt. Umso erstaunlicher ist es, dass er in seinen beiden Beiträgen weder gesellschaftliche Ideale formuliert noch Lösungswege zu ihrer Verwirklichung präsentiert. An post-strukturalistischen Theorien, die den Queerfeminismus stark beeinflussen, kritisiert Amelung vor allem die Unwissenschaftlichkeit sowie die Identitätspolitik. Die Belege dafür sucht er nicht etwa in der Theoriebildung selbst, sondern in einem Streich: Drei Wissenschaftler*innen reichten 2017 und 2018 20 gefakte Artikel bei akademischen Publikationen ein. Ihr Ziel war zu beweisen, dass die Einreichungen schlecht geprüft werden. Ein Beweis für die Unwissenschaftlichkeit der Gender Studies? Amelung verschweigt, dass nur sieben der insgesamt zwanzig Artikel angenommen wurden. Er verkennt auch, dass post-strukturalistische Theorien niemanden auffordern, „Privilegien abzugeben“ – im Gegenteil, das ist gar nicht möglich. Statt einer Analyse von Identitätspolitiken überwiegt im gesamten Sammelband eher die Abwehrhaltung, in manchen Aspekten eben doch zur Mehrheit zu gehören.

An der Polemik nicht mehr vorbei schrammt Amelung in seinem zweiten Aufsatz, in dem er u.a. den Twitteraccount der Wissenschaftlerin und trans Aktivistin Felicia Ewert analysiert. Ewert wirke „von Neid zerfressen auf die intakte geschlechtliche Existenz von Cis-Frauen, die nie mit fehlender Akzeptanz gegenüber ihrer Geschlechtsidentität und Geschlechtskörperdysphorie konfrontiert waren.“ In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Patsy l’Amour laLove, wenn sie die Kritik an transfeindlichen und rassistischen Tendenzen in schwulen Communities allein auf persönliche Kränkung zurückführt. Die differenzierte Auseinandersetzung von weißen, christlich-sozialisierten Wissenschaftlerinnen mit arrangierter Ehe wertet Vojin Saša Vukadinović als rassistischen Opportunismus und problematisiert den Umstand nicht, dass er migrantische, früh verheiratete Frauen nicht in akademischen Berufen verortet.

Als Lichtblick hebt sich der Artikel von Ingo Elbe zu Antisemitismus in queeren, linken Räumen ab, auch wenn sein Argument darauf hinausläuft, Antisemitismus gegen Antirassismus auszuspielen. Der Beitrag von Paula Busch, „Warum Unwissenheit keine Transphobie ist. Transformatives Lernen und Allyship für alle“, ist der einzige, der sich mehr mit Lösungsansätzen und aufrichtiger Kommunikation beschäftigt, als selbstkonstruierte Sprechverbote anzuprangern. Auch sie schafft es allerdings nicht, trans Personen richtig zu gendern – umso gewichtiger bei diesem Thema. Dass nicht-binäre trans Personen immer wieder misgendert oder ihre Pronomen (z.B. ber) mit „[sic]“ versehen werden, sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben.

Die theoretischen Hintergründe der einzelnen Beiträge sind oft in der Psychoanalyse verhaftet. Vor allem, wenn es an die Analyse der kritisierten wissenschaftlichen Ansätze geht, wird die Wiedergabe allerdings ungenau und lückenhaft. So stellt Amelung das Konzept der Intersektionalität vor, ohne Namensgeberin Kimberlé Crenshaw oder andere Schwarze Feministinnen zu nennen, die für die Konzeptgeschichte bedeutend waren. Er erwähnt zwar das Combahee River Collective, dessen wichtige theoretische Erkenntnis, der „strategische Essentialismus“, wird ausgelassen – so ist es natürlich auch leichter möglich, dem Queerfeminismus Nihilismus und Essentialismus im selben Atemzug zuzuschreiben.

Sonst verhält sich der Sammelband sprachlich fast zahm und bedient sich eines überwiegend akademischen Sprachgebrauchs, sodass der ständige Rekurs auf Provokation, Debatten und Attacken aus dem linken Queerfeminismus erst verwundert und bald ermüdet. Fast alle Beiträge rezipieren den ersten Sammelband, die 2016 erschienenen Beissreflexe, und dessen Wahrnehmung in den Kreisen, die darin kritisiert werden. Eine kurze Recherche ergibt aber schnell, dass sich Publikationen wie das Missy Magazine schon länger nicht mehr für die sogenannte Kreischreihe interessieren. Vielleicht erfolgt auch deshalb so oft der Rekurs auf das kontroverse Erstlingswerk. Wenn Amelung Felicia Ewert also unterstellt, bewusst Konflikte heraufzubeschwören, muss man unweigerlich auch an dieses Buch denken.

 


Till Randolf Amelung (Hg.): Irrwege. Analysen aktueller queerer Politik
Querverlag 2020
368 Seiten, Paperback. 18,00€