HU-Professor für öffentliches Recht Christoph Möllers vertrat den Bundesrat in seinem Vorstoß, ein Verbot der NPD vor dem Bundesverfassungsgericht zu erwirken. Das Gericht führte in seinem Urteil schließlich ein “kleines Parteiverbot” in das deutsche Rechtswesen ein. Die UnAufgefordert traf mit ihm zum Gespräch über den Ablauf des Prozesses hinter den Kulissen.

 

UnAufgefordert: Sie haben den Bundesrat im NPD-Verbotsverfahren vertreten. Warum glauben Sie, wurden ausgerechnet Sie dafür ausgewählt?

Möllers: Der Bundesrat hat sich im Jahr 2012 entschieden, ein Parteiverbotsverfahren gegen die NPD anzustrengen. Dann haben sie sich nach Prozessbevollmächtigten umgeschaut – wie die Wahl genau auf Herrn Waldhoff (Anm. der Redaktion: der zweite Prozessbevollmächtigte) und mich fiel, weiß ich auch nicht wirklich. Es war klar, so glaube ich, dass sie ein Team aus zwei Leuten gesucht haben, aus beiden politischen Richtungen. Im Bundesrat gibt es SPD- und CDU-geführte Länder, also war es je ein Bevollmächtigter, der der jeweiligen Seite nahesteht. Die weiteren Faktoren sind mir auch nicht ganz klar, mehr erfährt man vom Auswahlprozess nicht.

UnAufgefordert: Das NPD-Verbot ist ein sensibles Thema. Parteienverbote gehen an das Herzstück unserer Demokratie.

Möllers: Ich musste mir schon genau überlegen, ob ich das Verfahren übernehme. Es gibt gute Gründe, gegen Parteienverbote zu sein. Ich bin in mich gegangen, habe mich mit ein paar Leuten unterhalten, die regionale Erfahrungen geschildert haben. Die NPD ist eine besondere Partei, eine extremistische Partei. Gerade vor der mündlichen Verhandlung merkte man auch, dass alle etwas nervös waren. Weil man sich fragte, wie reagiert so eine Partei in dieser Situation?

UnAufgefordert: Wenn es gute Gründe gegen Parteiverbote gibt: Wie finden Sie das Ergebnis, dass es jetzt ein “kleines” Parteienverbot (Ausschluss von der Parteienfinanzierung) geben wird?

Möllers: Es ist Konsequenz der Entscheidung und des Zustandes, den wir jetzt haben. Mit der NPD gibt es eine Partei, die verfassungsfeindlich ist, aber staatlich finanziert wird. Das ist natürlich problematisch. Trotzdem sollte man vorsichtig sein, dass wir nicht langfristig irgendwann zu einer “Zwei-Klassen”-Parteienlandschaft kommen. Das Verfahren selbst ist aber sehr lang, aufwendig und intensiv als Prozedur, die für den Staat viel Vorbereitung erfordert. So richtig mit leichter Hand wird kein Parteiverbotsverfahren angefangen werden.

 

Die Tür geht auf. Matthias Roßbach, Mitarbeiter von Herrn Möllers und Herrn Waldhoff bei der Prozessvertretung im NPD-Verbotsverfahren, betritt den Raum. Möllers bittet ihn, sich dazuzusetzen und am Interview teilzunehmen.

 

UnAufgefordert: Wie war die Stimmung bei Ihnen, als das Ergebnis bekannt wurde?

Roßbach: Bei der Urteilsverkündung waren die ersten 80 Prozent des Urteils so, wie wir uns das erhofft hatten, insbesondere weil die NPD als verfassungsfeindlich bezeichnet wurde. Aber auch viele andere Ausführungen des Bundesrats wurden bestätigt: etwa zu den prozessualen Voraussetzungen für das Verbotsverfahren oder zu der Frage, wann die Ziele einer Partei verfassungsfeindlich sind. Der Großteil war also zugunsten eines Verbots. In der letzten halben Stunde der Urteilsverkündung ist es dann wegen des neuen Kriteriums gekippt. Aber insgesamt war das auch keine wirkliche Überraschung.

Möllers: Es freut und ärgert zugleich, wie kurz die NPD vor einem Verbot stand.

UnAufgefordert: Das Urteil steht damit im Gegensatz zum KPD-Verbot, wo es gerade nicht um die Bedeutung und Möglichkeiten der zu verbietenden Partei ging.

Möllers: Ja, und ungewöhnlicherweise gibt das Gericht das auch ausdrücklich zu. Die Richter haben explizit gesagt, dass sich die Rechtsprechung geändert hat. Das war für uns zufriedenstellend, weil es bedeutet, dass wir nach der alten Rechtsprechung den richtigen Maßstab gewählt haben.

Roßbach: Das Gericht verlangt jetzt für ein Parteiverbot zwar ein gewisses Potential der Partei. Anders als von manchen erwartet, hat das Verfassungsgericht aber ausdrücklich verneint, dass eine konkrete Gefahr für die Demokratie erforderlich ist: weder nach deutschem Verfassungsrecht noch nach europäischen Rechtsstandards. So hoch, dass das Parteiverbot erst kurz vor der Machtübernahme möglich ist, darf die Schwelle nicht sein. Insofern ist das Gericht unserer Auffassung gefolgt.

UnAufgefordert: Viele Professoren engagieren sich außerhalb der Universität, ähnlich wie Sie. Welche Impulse bringt das für die Lehre, gerade auch vor dem Hintergrund des humboldtschen Bildungsideals, dessen Urvater, Wilhelm von Humboldt, dieses dieses Jahr seinen 250. Geburtstag feiert?

Möllers: Die Praxis ist schon ambivalent für die Wissenschaft. Auf der einen Seite bringt sie aktuelle Probleme in den universitären Diskurs, auf der anderen Seite muss man aufpassen, dass man sich nicht in diesen Problemen verliert. Universitäten sind immer auch ein Ort der Distanz zur gesellschaftlichen Realität.

UnAufgefordert: …das heißt Universität als Elfenbeinturm?

Möllers: Ich habe nichts gegen Elfenbeintürme. Es ist wichtig, einen Raum zu haben, in dem man Fragen stellen kann, unabhängig davon, was gerade als relevant wahrgenommen wird. Man muss aufpassen, dass man die Eigenwilligkeit der eigenen Fragestellung behält. Für die Lehre ist das eher ein indirekter Effekt. Wenn man schon Verfahren geführt hat, liest man die Urteile anders. Man kennt die Nöte, die einem Gericht dann bei der Urteilsfindung und -begründung begegnen. Das bietet einem mehr Anschauung, die man im Unterricht vermitteln kann. Abgesehen davon, stelle ich gerne Fälle aus eigenen Verfahren.  Wirklich interessant sind die Fälle, in denen es noch kein Urteil gibt.

UnAufgefordert: Glauben Sie denn, dass die Jurastudierenden der HU gut für die Praxis vorbereitet werden?

Möllers: Es ist nicht die Aufgabe der Universitäten, auf die Praxis vorzubereiten. Das was die Praxis erwartet, lernt man in der Praxis. Die Studierenden sollen unabhängig denken lernen und eigene Fragestellungen finden. Nichts veraltet so schnell wie Praxis. Gerade bei Jura sind Grundlagen wichtig, um nicht nur bekanntes zu wiederholen. Je mehr man die Leute an bestimmten Stoff koppelt, desto weniger sind sie fähig übergeordnete Fragestellungen zu formulieren.

UnAufgefordert: Sie beide waren an renommierten Universitäten in den USA. Was können deutsche Universitäten von ihnen lernen?

Möllers: Amerikanische Unis haben einen unglaublichen Ressourcenvorsprung. Wenn wir ein Endowment von einer Millionen Euro pro Student hätten, dann bräuchten wir nicht viel zu lernen. Dann würden wir einfach machen. Deutsche Unis sind extrem effizient in ihrer Armut, und deshalb auch in vielem sehr vernachlässigt, ja teilweise verkommen. Wir Professoren haben auch einfach viel Lehre. Mit neun Semesterwochenstunden sind wir hart am Weltrekord, weil auch hier gespart wird.

Roßbach: Hier an der HU gibt es einen besonders guten Dialog zwischen den verschiedenen Wissenschaftlern, ähnlich wie in den USA. Es gibt Foren, in denen man sich untereinander austauscht. Zwei Dinge zeichnen die Juristische Fakultät der HU besonders aus: die Internationalität und – ähnlich wie die besten amerikanischen Law Schools – die Orientierung an den Grundlagen des Rechts. Das ist aus meiner Sicht eine sehr gute Ausrichtung.

UnAufgefordert: War es als Student Ihr Traum, später mal vor das Bundesverfassungsgericht treten zu können?

Möllers: Mir macht das schon Spaß, aber man muss es mögen. Vor dem Gericht ist es viel Aufwand, die Prozesse sind extrem anstrengend. Der mündliche Auftritt erinnert fatal an die mündliche Prüfung im Staatsexamen.

UnAufgefordert: Es heißt, dass es Orte gibt, um für seine Überzeugungen zu sterben. Das juristische Staatsexamen gehöre aber nicht dazu. Ist das Jurastudium zu unkritisch?

Möllers: Das Jurastudium ist potentiell nicht unkritischer als das Germanistik- oder Chemiestudium. Es ist vielmehr eine Frage der eigenen Einstellung, und hier an der HU gibt es eine sehr politisierte Studierendenschaft, die auch kritisch ist. Da mache ich mir keine Sorgen.

 

Roßbach: Man darf das Studium auch nicht auf das Staatsexamen reduzieren. Es gibt genügend Seminare, die nebenbei und zusätzlich belegt werden können. Diese Möglichkeiten sollte man sich nicht entgehen lassen.

 

UnAufgefordert: Herr Möllers, Herr Roßbach, wir danken Ihnen für das Gespräch.