Die Medienlandschaft der Ukraine ist durch private Medien geprägt, die sich meistens in den Händen von Oligarchen befinden. Unabhängiger Journalismus hat einen schweren Stand. Ein Besuch beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und bei den Freiwilligen des Studierendenfernsehens zeigt, dass andere Strukturen möglich sind
Die letzten Sonnenstrahlen des Tages lassen das Sendehochhaus von UA:Perschyj golden erstrahlen. Der bleistiftartige Bau ist offensichtlich ein Überbleibsel der Sowjetzeit, dank des Herbstlichtes versprüht er trotzdem etwas Glanz.
Seit der Revolution 2014 ist UA:Perschyj der erste und bisher einzige öffentlich-rechtliche Fernsehsender der Ukraine. Nach den Protesten auf dem Maidan hatte das ukrainische Parlament eine Umwandlung des vorher staatseigenen und vor allem staatsnahen Senders beschlossen. Mittlerweile arbeiten um die 4000 Mitarbeiter*innen, davon 1000 in Kiew, täglich an Sendungen, die 97 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets erreichen. Um ein Programm für die ganze Ukraine zu gestalten, sendet UA:Perschyj als einziger Sender sein Programm auf Russisch, Ukrainisch und Krimtatarisch.
In der längst nicht mehr modernen Eingangshalle des „Bleistifts“ treffen wir Oleksandra Ochman. Die 27-Jährige Redakteurin arbeitet seit zweieinhalb Jahren bei UA:Perschyj. Sie wirkt gestresst, die letzten Tage bestanden aus 14-Stunden-Schichten. Trotzdem nimmt sie sich Zeit, um uns durch den Sender und seine Geschichte zu führen.
Es ist schon spät am Abend. Die Flure im Gebäude sind leer, im Newsroom ist es aber noch überraschend voll. Vor allem junge Menschen um die 20 sitzen hier vor ihren Bildschirmen und bereiten den nächsten Nachrichtenzyklus vor. In einem kleinen Studio, in dem die hauseigenen Produktionen aufgezeichnet werden, steht noch eine junge Redakteurin vor einem Greenscreen und verliest live die 18-Uhr-Nachrichten. Die Strukturen von UA:Perschyj sind nach dem Wandel seiner Rechtsform zum öffentlich-rechtlichen Sender noch im Umbau. Die Gehälter für die Angestellten des öffentlichen Fernsehens sind, insbesondere für eine verhältnismäßig so teure Stadt wie Kiew, nicht üppig.
Zum Leben in Kiew reicht das Gehalt am Ende oft nicht aus
Oleksandra räumt ein, dass sie ihre Lebenshaltungskosten ohne die Unterstützung ihres Mannes nicht decken könnte. So kommt es nicht selten vor, dass junge Journalisten nach kurzer Zeit zu der privaten Konkurrenz wechseln, bei der sie ein höheres Gehalt verdienen.
Dem Sender stehen gesetzlich 0,2 Prozent des jährlichen Staatshaushaltes zu, in etwa also ein Budget von umgerechnet 70 Millionen Euro. Trotzdem kürzte die Regierung den diesjährigen Etat um die Hälfte, erklärt Oleksandra, während sie uns auf das Dach führt, von dem man einen großartigen Blick auf Kiews Skyline und die kilometerweit ausgefächterten Satellitenstädte hat. Dass es an Geld mangelt ist überall sichtbar. Durch ein abgelegenes, düsteres und mit Schutt übersätes Treppenhaus steigen wir nach oben. Es sei schwierig unter den aktuellen finanziellen Bedingungen ein vielfältiges, qualitatives Fernsehprogramm auf die Beine zu stellen, sagt Oleksandra. „Leider können wir nicht mit der Finanzkraft der Oligarchensender konkurrieren“, sagt sie.
Private Fernsehsender in der Ukraine sind meist fest in der Hand einzelner Oligarchen, die somit den Medienmarkt dominieren. Mithilfe aufwendig produzierter Unterhaltungsshows und parteipolitischer Berichterstattung versuchen sie, Zuschauer an sich zu binden und mediale Macht in politischen Einfluss umzumünzen. Auch der amtierende Staatspräsident Petro Poroschenko ist trotz anderslautender Ankündigungen Eigentümer des Senders 5 Kanal geblieben. 1+1, der größte Sender der Ukraine, gehört dem Oligarchen Ihor Kolomojskyj. Er ist der drittreichste Mann der Ukraine.
Unabhängigkeit ist wichtiger, als ein Star zu sein
„Die Ukraine ist nicht Usbekistan“, antwortet Oleksandra entrüstet, als wir sie auf Pressefreiheit und die Unabhängigkeit des ukrainischen Journalismus ansprechen. Aus ihrer Sicht wächst in der Ukraine gerade eine Generation heran, die sehr hohen Wert auf ihre Selbstbestimmung legt.
Auf dem Medienmarkt längst nicht etabliert, aber voller Eifer sind Sasha (18) und Ivan (19), die wir am darauf folgenden Tag zum Kaffeetrinken treffen. Die beiden studieren an der Mohyla Universität in Kiew und arbeiten dort für den studentischen YouTube-Kanal Та Могилянка („Das ist Mogilyanka“). Sasha hat lange, blondierte Haare, trägt einen buntkarierten Blazer, dazu Highheels. Sie übernimmt das Reden. Ivan nickt meistens zustimmend und raucht.
Angefangen habe Та Могилянка als kleines Projekt mit zehn Student*innen, die in kurzen Clips über Veranstaltungen an der Uni informieren wollten. Mittlerweile seien sie auf 40 bis 50 Freiwillige angewachsen. In der Zukunft wollen sie auch hochschulpolitische Themen und Interviews in ihr Format aufnehmen. Sasha und Ivan führen uns in den Keller eines Institutsgebäudes, wo sie ihr Studio haben. Gelegentliche Zuwendungen vonseiten der Uni ermöglichen das.
Früher wäre jeder für alles verantwortlich gewesen, jetzt gibt es klare Arbeitsteilung. Seit einigen Monaten ist Sasha Produzentin, Ivan ist Moderator. Außerdem gebe es Journalisten, Kameraleute, Autoren und ein Team für die Postproduktion. „Das Projekt wird immer größer und professioneller“, sagt Ivan. „Ja, seitdem ich Produzentin bin“, ergänzt Sasha.
Man hasst sie oder man liebt sie
Irgendwo an der Grenze zwischen selbstbewusst und selbstgefällig, aber stets herzlich, erzählt Sasha von den Plänen, die sie für Та Могилянка noch hat: Neben Veranstaltungsankündigungen und Unterhaltungsformaten soll es in Zukunft auch Reportagen über soziale Projekte, aktuelle Nachrichten und kritische Auseinandersetzungen mit der Univerwaltung geben. Produzentin sein gefällt ihr, am liebsten tritt Sasha aber, wie Ivan, als Moderatorin in Erscheinung: „Ich liebe es, vor der Kamera zu sein.“ Man sieht es ihr an.
Auf seinem Smartphone zeigt Ivan ein Video, in dem Sasha und er in bester Entertainer-Manier vor der Kamera rumtanzen. Er in Trenchcoat und Röhrenjeans, sie bauchfrei mit roten Lippen. Exzentrisch sind sie beide. Die Studierendenschaft reagiert gemischt: „Man hasst uns oder man liebt uns“, stellt Ivan achselzuckend fest.
Ihnen gefällt die Aufmerksamkeit, die ihnen die Studierendenschaft schenkt, genauso gut wie ihre Unabhängigkeit. Ob sie einmal wie Oleksandra Ochman bei einem großen TV-Sender arbeiten wollen, wissen die beiden nicht. Fest steht aber: „Unabhängigkeit ist wichtiger, als ein Star zu sein.“ Zu einem privaten Sender zu gehen, käme deshalb weder für Sasha noch für Ivan in Frage. Journalismus in der Ukraine sei aktuell zwar in einer schlechten Lage, aber sie würde sich jedes Jahr verbessern.
Sasha hofft darauf, dass ukrainisches Fernsehen bald kein politisches Machtinstrument, sondern ausschließlich eine Plattform für freie Berichterstattung und Unterhaltung sein wird: „Wir können es wirklich schaffen. Ich sehe so viele Menschen, die etwas verändern wollen. Wir gehören dazu.“