Murnaus Nosferatu ist nur einer von zahlreichen Filmklassikern der 20er Jahre.

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Kinofilme in den „Goldenen Zwanzigern“ handelten von Tyrannei, Manipulation und Gewalt. Zeichnete sich auf der Leinwand ab, was keine zehn Jahre später im Nationalsozialismus Realität wurde? „Von Caligari zu Hitler“ ist der filmische Versuch einer Aufarbeitung des deutschen Kinos und der Frage „Hat es Hitler vorhergesehen?“

Was weiß das Kino, was wir nicht wissen? So einiges, wenn man Sigfried Kracauer glaubt. In seinen Thesen hat der wohl wichtigste Filmkritiker der Weimarer Republik die Behauptung aufgestellt, dass „die Mehrheit des deutschen Volkes sich Hitler einfach ergeben mußte. Da Deutschland so verwirklichte, was in seinen Filmen von Anfang an bereits angelegt war, nahmen die Leinwandgestalten tatsächlich Leben an.“

Massenmörder, verrückte Wissenschaftler, Manipulation, Hypnose, Gewalt, Tyrannei – hat die „siebte Kunst“ in den 1920ern und frühen 30er Jahren etwas vorausgeahnt?

Rüdiger Suchsland ist selbst Journalist und Kritiker und hat mit seinem Erstlingsfilm den Versuch unternommen genau das heraus zu finden. In „Von Caligari zu Hitler“ nach dem gleichnamigen Buch von Kracauer, wagt er den Versuch einer kinogeschichtlichen Analyse.
Schon dieser Versuch ist ihm hoch anzurechnen, denn der Untersuchungsgegenstand ist nicht weniger als das deutsche Kino. Das deutsche Kino der 20er Jahre ist damals das wichtigste Kino der Welt. Hollywood entsteht erst mit den Emigranten aus Europa.

Wird nach den großen Namen der Kinogeschichte gefragt, ist man in Deutschland oft ratlos. Fassbinder? Wenders? Nein, das ist etwas anderes. Die Franzosen haben Godard und Truffaut, die Italiener Fellini und Visconti und die Deutschen – Murnau und Lang. Aber das weiß man im Ausland meist besser als hier. Lang und Murnau kennt man noch, Pabst und Lubitsch hat der eine oder andere vielleicht schon mal gehört. Aber Sternberg, Ruttmann, Czinner und Hochbaum? Regisseur Suchsland macht sich auf die Suche nach einer cineastisch verlorenen und von uns vergessenen Zeit. Unterstützt wird er von Regisseuren wie Fatih Akin und Volker Schlöndorff und Professoren wie Elisabeth Bronfen, Thomas Elsaesser und Eric Weitz, die kurze, hilfreiche Kommentare beisteuern.

Die Weimarer Republik zwischen 1918 und 1933 ist die beste Zeit des deutschen Films. Hier müssten Antworten zu finden sein. Über unsere Vergangenheit und die damalige Zukunft. Hier, in Mythos und Moderne, in Furcht und Freiheit, in Humor und Hysterie, in Irrsinn und Ironie, wurden die ästhetischen Grundlagen, Leitmotive, Genres und Visionen etabliert, welche die Welt – nicht nur die des Kinos – prägen sollten. Im Guten, wie im Schlechten.

Der expressionistische Stummfilm von Robert Wiene aus dem Jahr 1920 ist Startpunkt. „Das Cabinet des Doktor Caligari“ mit dem zum Morden abkommandierten Cesare, der mit seiner gleichgültign, kalten Fratze die erste wirklich furchteinflößende Figur der Weimarer Leinwände verkörpert.
Ab jetzt werden sie nur so über die Leinwände tänzeln, die Verführer und Zauberer und sie werden befehlen, die Autoritären und Verrückten. Auf diesen Leinwänden ist sie zu sehen, die Gesellschaft in der Zwangsjacke, in der Psyche der Massen ist der Diktator schon da, würde Kracauer sagen.

Natürlich ist seine These nicht unumstritten, zum Beispiel weil er sie erst 1942 aufgestellt hat und es rückwirkend fast banal scheint, die Tendenzen des Zeitalters auch im Kino zu suchen. Doch so einfach hat Kracauer sich das nicht gemacht. Seine Behauptungen fußen auf genauen Beobachtungen, die er auch in seiner Zeit unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, als Feuilletonist der wichtigsten Tageszeitung, der „Frankfurter Zeitung“ anstellen konnte.

„Eine psychologische Geschichte des deutschen Films“ lautet auch der Untertitel seines Buches. Die unbewusste Wahrnehmung der Regisseure, die Analyse des Verborgenen, nicht des Offensichtlichen. „Metropolis“, „M- eine Stadt sucht einen Mörder“ und natürlich die Figur des Mabuse von Lang, der Nosferatu von Murnau, aber auch schon der früher entstandene Film „Nerven“ des weniger bekannten Regisseurs Robert Reinert. Sie alle sind Filme für Massen gewesen. Aber sind sie auch Seismograph eines kollektiven Bewusstseins, vielmehr eines kollektiven Unterbewusstseins, wie Suchsland fragt. Eine Antwort darauf lässt sich nicht finden. Deshalb bleibt Suchsland nichts anderes übrig als seine eingangs erwähnte Frage zum Ende des Films noch einmal zu wiederholen: Was weiß das Kino, was wir nicht wissen? Es spricht von der unbeschränkten Herrschaft des Verbrechens, von einer Generation ohne Gemüt, von Utopien und Dekadenz, von Zerstreuung, Spaß und Macht und von einem Abgrund, den man wohl spüren konnte. Hat die Leinwand etwas gespürt oder erspüren lassen?
Wieder gibt es keine klare Antwort und doch sind wir der Antwort nach dem Film ein wenig näher.

„Von Caligari zu Hitler“ ist der ambitionierter Ansatz eine turbulente und unwahrscheinlich vielseitige Ära zu skizzieren. Die „Goldenen Zwanziger“ des Kinos, eingebettet in die Geschichte der nicht immer „Goldenen Zwanziger“ jener Zeit. Das Rathenau-Attentat, die Inflation, der Expressionismus, die Neue Sachlichkeit, dann wieder Pabst, Faust und die Nibelungen, plötzlich Marlene Dietrich und „Asphaltfilme“, dann „deutscher Neorealismus“ in Hamburg und ein scherzender Fatih Akin. Vorbei. Hitler.

Am Ende wissen wir nicht, was das Kino weiß. Aber wir wissen, dass es etwas gewusst haben könnte. Ein lehrreicher Film für Cineasten und ein lehrreicher, stellenweise verwirrender Film für solche, die es werden wollen.