Die Ausgestaltung von Bachelor- und Masterstudiengängen wird häufig als „zu verschult“ und die Exzellenzinitiative als „Elitenförderung“ kritisiert. So forderten die Besetzer*innen des Instituts für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin unter anderem alternative, weniger hierarchische Lehrveranstaltungen. Dieser Wunsch ist absolut nachvollziehbar, allerdings gibt es solche Formate an der HU bereits:
Sie heißen Q-Tutorien und sind innovative Lehrveranstaltungen von Studierenden für Studierende, bei denen das Forschende Lernen im Vordergrund steht. Im Rahmen des Q-Tutoriums Warenterminbörse – notwendiger Marktplatz oder Ursache für Nahrungsmittelkrisen? haben 19 Teilnehmende die Auswirkungen von Spekulationen mit Agrarrohstoffen auf den Weltmärkten hinterfragt und wissenschaftlich untersucht. An der Warenterminbörse werden Nahrungsrohstoffe wie Weizen oder Mais auf einen fixen Termin in der Zukunft gehandelt. Produzierende können bereits zu Beginn der Erntesaison an der Börse einen festen Preis aushandeln, einen Vertragspartner finden und so ihre Erzeugnisse gegen Preisschwankungen absichern. Da Kontrakte an der Börse in der Regel nicht an den physischen Handel gebunden sind, haben auch Spekulanten die Möglichkeit, Gewinne zu erzielen, indem sie auf fallende oder steigende Preise wetten und ohne selbst produzierte Waren oder Kaufinteressen in das Geschäft einsteigen. Die Teilnehmenden aus verschiedenen Studiengängen diskutierten und forschten in Kleingruppen zu selbstgewählten Problemstellungen. Der vermeintlich offensichtliche Zusammenhang, dass die Zunahme von Agrarspekulationen an der Börse für zeitgleiche Preissteigerung der Lebensmittel auf dem realen Warenmarkt sorgt, ist auf den zweiten Blick nicht mehr so eindeutig auszumachen. So ist es zwar nicht ausgeschlossen, dass Agrarspekulationen einen Einfluss auf die kurzfristige Preisstabilität von Nahrungsmitteln haben können, jedoch bleibt das langfriste Preisniveau davon unbeeinträchtigt. Gleichzeitig sorgen Spekulanten aber für Liquidität am Markt, sie agieren als Risikoträger für die Produzierenden und machen die Warenterminbörse erst zu einem funktionierenden und liquiden Marktplatz.
Sobald man erkennt, dass der eigene Studiengang nicht die einzig wahre Wissenschaft ist, merkt man wie produktiv der Austausch mit „Fachfremden“ sein kann. Bereits Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich von Hayek war überzeugt: „Wer nur Ökonom ist, kann kein guter Ökonom sein“. So darf man sich bei der Auseinandersetzung mit wirtschaftswissenschaftlichen Themen nicht nur auf die Logik im ökonomischen Modell verlassen. Es erfordert ebenfalls ein intuitives Verständnis der realen Gegebenheiten. Wer bereit ist, über den Tellerrand zu schauen, wird entdecken, dass die Warenterminbörse ein spannender Marktplatz mit vielen Facetten ist und die vermeintlichen Kritikpunkte aus anderen Perspektiven vorteilhaft wirken können. Die Studierenden des Q-Tutoriums haben ihre Forschungsergebnisse in Form eines Sammelbandes zusammengefasst und eine Politikempfehlung formuliert. Ein zentraler Punkt dieser Einschätzung ist die Forderung nach mehr Transparenz. Weiterhin wurde kritisiert, dass die Warenterminbörse als Absicherungsinstrument häufig nur für Großbetriebe zugänglich ist. Kleinere Erzeugende, insbesondere in Entwicklungsländern, haben häufig nicht die finanziellen Mittel und das nötige Wissen, um sich an der Börse abzusichern. Diese Hürden und Ungleichgewichte sollten abgebaut werden. Die Grundlagen der jeweiligen Studienfächer können und sollen die Q-Tutorien nicht ersetzen. Sie bieten jedoch die Möglichkeit, das interdisziplinäre Forschen zu erlernen – ohne Klausuren oder Notendruck. Das überfachliche Angebot des bologna.lab ist breit und bietet ausreichend Kapazität für die vielen klugen, kritischen Köpfe der Berliner Hochschulen – als Teilnehmender oder als Kursleitender.
Thies Rasmus Popp, 27, Agrarökonomie