Boxer Billy “The Great” Hope beim Seilspringen                                      Foto: Tobis Filmverleih

Der Kämpfer im Ring als tragischer Held – das funktioniert in Hollywood so gut, dass Boxfilme mittlerweile ein eigenes Genre bilden. Nun hat sich Regisseur Antoine Fuqua an einem versucht. Erfolgreich? Unser Redakteur hat ihn sich schon einmal angeschaut.

Die Männer von der Kommission, die das Bandagieren überwachen, bemerkt Billy Hope kaum. Sie betrachten mit strengen Augen seine Hände und dann seinen ruhig und regelmäßig bebenden Körper, an dem immer wieder und ganz plötzlich ein Muskel aufzuckt. Sie stehen nur Zentimeter vor ihm und doch schenkt Billy ihnen genauso wenig Beachtung wie dem restlichen stillen Treiben, das sich um ihn herum in diesem kleinen Raum abspielt. Erst als Maureen kommt, sich zu ihm beugt, ihm die Kopfhörer abnimmt und ihn anspricht, verlässt Billy seinen Tunnel. Sie lächelt und beide wissen: er ist bereit.

Dass „Southpaw“ von Regisseur Antoine Fuqua ein mitreißendes Drama ist, liegt nicht an seinem tiefen Griff in die Boxfilm-Kiste, mit dem vielen Schweiß, dem Blut, der Wut und den beschämend oft eingeblendeten, wippenden Pobacken der Nummern-Girls. Sondern vielmehr an Momenten wie diesem, gleich zu Beginn, in einer leeren Kabine, vor dem Kampf. Der hoch konzentrierte Sportler und seine empfindsame Frau in innigster Zärtlichkeit. Der Film könnte so enden. Doch weil Fuqua nun eben einen Boxfilm gedreht hat, muss Billy Hope raus, Billy „The Great“ Hope heißen und seinen Gegner k.o. schlagen.

New York, Madison Square Garden. Die Menge johlt, das Stadion ist ausverkauft, Maureen Hope (Rachel McAdams) sitzt in der ersten Reihe und bangt um ihren Mann Billy (Jake Gyllenhaal).

Billy hat keine Verteidigung – und keine Angst. “Fear no Man“ sagt das Tattoo auf seinem Rücken. Der Weltmeister im Halbschwergewicht kann wirklich gut einstecken und umso härter austeilen. Keine Raffinesse, kaum Beinarbeit, kein Schnickschnack. Billy kriegt auf die Fresse, wird wütend und haut den anderen dann um. Da reicht schon mal ein Blick aus der Ringecke, in die Augen seiner umwerfenden Frau. Bumm, Zack, wieder Weltmeister.

Billy hat nun alles. Die Boxfilmlogik kann jetzt greifen. So beginnt „Southpaw“.

Wenn wir dann auch noch erfahren, dass der Manager des neuen und alten Weltmeisters von Curtis „50 Cent“ Jackson gespielt wird und sein Charakter kontinuierlich und fast zusammenhangslos Weisheit wie „makes money, makes sense“ ausnuschelt, dann haben wir verstanden, dass Fuqua es ernst meint mit seinem Boxfilm. Ebendieser Rezeptur zu Folge muss der Held in Handschuhen aber erstmal alles verlieren. Damit dieser Verlust so marternd wie nur möglich gestaltet wird, lernen wir die süße Tochter Leila kennen, die ihren Namen jederzeit in einem weiteren Tattoo auf des Vaters linker Brust nachlesen kann. Zumindest wenn es mal gerade nicht von verschmiertem Blut verborgen ist.

Die Kampfmaschine, das Kraftpaket, der Hitzkopf als Vater; die Schöne, die Umsichtige, die Frau, die alles zusammenhält und die zehnjährige, gemeinsame Tochter. Ein Haus wie ein Schloss, ein Leben wie im Märchen.

So viel zum Familienidyll. Das allerdings jäh zerstört werden muss, weil es das gnadenlose und insgesamt erschreckend unkreative Boxfilmdrehbuch von Kurt Sutter so will. Doch nicht bevor Maureen die Wunden ihres Mannes auf dem Bett verarztend, mit Nachdruck eine Warnung ausspricht. Er solle doch eine Kampfpause einlegen mit dem Boxen, er solle sich retten, solange er noch kann, solange man ihm noch nicht alle Gehirnzellen ausgeprügelt habe. Ferner, solle er sich hüten, er sei jetzt ganz oben, er könne fallen und dann müsse er die Scherben selbst aufsammeln, ganz alleine, weil alle anderen abhauen würden. Wie Kakerlaken.

Damit sagt Maureen, die Weitsichtige, alles, was die boxfilmerprobten Zuschauer denken. Doch unabwendbar kommt, was kommen muss und der blonde Engel wird zufällig und völlig unabsichtlich zum sinnlosen Opfer eines Streits, bei dem ein Schuss fällt. Hier nimmt die Tragödie ihren Anfang. Die Abwärtsspirale dreht sich mit schwindelerregender Wucht um die eigene Achse und zwar so mächtig, dass selbst jene Zuschauer, die sich eben noch für boxfilmerprobt hielten, hineingesogen werden.

Seine Frau stirbt und Billy verliert den Boden unter seinen Füßen. Angezählt taumelt er in die Seile. Er ist pleite, beginnt zu trinken, wird vom Boxverband wegen einer groben Unsportlichkeit für ein Jahr gesperrt, von seinen Freunden verlassen. Sein Seil ist jetzt seine Tochter, sie ist alles, was er hat. Doch dann wird ihm das Sorgerecht entzogen. Leila kommt ins Heim und das Gericht entscheidet, dass sie erst zu ihrem Vater zurückkehren darf, wenn er sein Leben grundlegend ändert.

Taub vor Schmerz, jede Muskelfaser gelähmt, die Knochen schwer wie Blei. Billy zerschmettert Spiegel, hört Stimmen, sitzt nackt in der Dusche, will aufstehen und rutscht dabei nur elendig aus. Sein Schrei „Ist noch jemand hier?“ verliert sich im strömenden Wasser, bleibt unerhört, versickert im Abfluss. Es ist still geworden um Billy „The Great“ Hope. Auf einen Schlag sind sie abgehauen – die Kakerlaken.

Und nun ist etwas Überraschendes passiert, mit uns, den Zuschauern, die wir alles exakt so erwarten konnten, was bis jetzt, wo Billy in der Dusche hilflos umherkriecht, geschehen ist. Den Aufstieg, den Prunk, den Hochmut, den Fall.

Diese fast schon lächerliche Vorhersehbarkeit, die sich durch den gesamten Film zieht, wie ein Haar durch eine Suppe, erlaubt uns kein Mitleid, wohl aber ein nuanciertes Mitgefühl. Das liegt an der Intensität der Bilder (Mauro Fiore), dem packend-sportlichen Schnitt (John Refoua), den hochkarätigen Schauspielern, der geschickten Art des Erzählens und dem sporadischen und etwas ignoranten Verlangen in uns, dass die Faszination solcher Boxfilme in einer Kiste liegt, die man gelegentlich öffnen will.

Ist sie erst einmal geöffnet, gibt es kein Zurück. Dann übermannt einen die Einfachheit und benebelt einen die Anspruchslosigkeit. In einer Szene läuft Billy am hereinbrechenden Abend und mit Kapuzenpulli durch die entvölkerten Straßen eines ärmlichen Viertels. Er wohnt inzwischen in einem schlichten Apartment und lernt bei dem lebensklugen Amateur-Trainer Tick Wills (Forest Whitaker) das Boxen neu, inklusive Verteidigung. Er läuft also in Rocky-Manier durch die Dämmerung und muss sich ins Leben zurückkämpfen, Kniebeugen machen, Medizinbälle werfen, Klos putzen. Dreck fressen. Alles schon gesehen. Dann wird „Phenomenal“ von Eminem angestimmt. Ein Song, der auf jede Fitnessstudioplaylist dieser Welt gehört, in einem Moment, in dem sich der unsportlichste der aufgewühlten Zuschauer selbst Hanteln ins Kino wünscht. Nur kurz. Aus Mitgefühl. Dafür ist „Southpaw“ gerade noch clever genug.

Denn die Vorhersehbarkeit gibt uns auch eine Gewissheit. Dass alles so läuft, wie es in einem guten Boxfilm laufen muss, dass Billy nicht aus Zufall „Hope“ mit Nachnamen heißen kann und dass er es nach all der Qual allen zeigen wird.

Es geht in „Southpaw“ um die Kunst, trotz allem kampffähig zu bleiben, und skurrillerweise und irgendwie ungewollt geht es darum, dass Boxen vielleicht doch eine fundamentale Metapher für das Leben ist.

Southpaw, USA 2015 – Regie: Antoine Fuqua. Mit Jake Gyllenhaal, Rachel McAdams, Forest Whitacker. Verleih: Tobis Film, 124 Minuten.