Berlins Prepper bereiten sich auf den Weltuntergang vor
Was würdest du tun, wenn am Potsdamer Platz eine Atombombe explodiert? Wenn dich der Energieblitz nicht innerhalb einer Sekunde vaporisiert hat, gehörst du zu den wenigen Überlebenden. Survival-Coach Daniel Schäfer bereitet seine Schüler*innen auf solche Szenarien vor. Die UnAuf hat einen seiner Kurse besucht
Die Prepper-Szene in Deutschland ist relativ jung, hat dafür aber einen umso schlechteren Ruf: Alles angeblich Reichsbürger, Homophobe, Waffennarren. Deswegen bezeichnet Survival-Coach Daniel Schäfer sich nicht als Prepper. Das Image der Szene sei einfach zu angeschlagen. Daniel wurde bei der Bundeswehr zum Einzelkämpfer ausgebildet, war Kommissar bei der Kriminalpolizei und bietet jetzt als Coach Survival-Kurse an. „Survival“ bedeutet konkret: Vorbereitet sein in Krisenzeiten. Vorbereitung, auf Englisch „preparation“, ist das wichtigste Schlagwort der Prepper-Szene.
Obwohl sich die globale Sicherheitslage mit dem Ende des Kalten Kriegs stark verändert hat, ist Schäfer gut ausgelastet. Seine Kurse suchten vor allem Menschen auf, die durch die mediale Informationsflut ein Gespür für Bedrohungsszenarien entwickelt haben, sagt er. Als wir ihn besuchen, gibt er eine Infoveranstaltung über atomare, biologische und chemische Bedrohungslagen. In einer Charlottenburger Erdgeschosswohnung spielt Daniel mit seinen Gästen gedanklich die Apokalypse durch.
Das Interesse an seinen Workshops ist groß, viele Menschen sind am Thema Krisenvorsorge interessiert. Für Daniel steht fest: Das sind keine Spinner.
Zwanzig Klappstühle hat Daniel aufgestellt und einen Tisch mit Camping-Ausrüstung ausgestattet: Gaskocher, Seile, Brennpasten, Zahnbürsten und Verbandsmaterial. Unter dem Tisch liegt eine schwere olivgrüne Tasche mit der Aufschrift „Zodiak“ bereit. Darin befindet sich der Schutzanzug mit Gasmaske, der bei Nuklearunfällen zum Einsatz kommt. Daniel hat kurze Haare, er ist immer glatt rasiert, denn Gasmasken können nur dann luftdicht abschließen. Gegenüber, auf einem Tisch mit weißem Deckchen, stehen Kekse und Kaffee. In der Ecke hat Daniel einen großen Aufstellt platziert, der für seine Kurse wirbt.
In der Krise hilft die vergrabene Kiste
Einige Bundeswehr-Reservisten sind gekommen, erfahrenere Prepper, die mit dem Begriff kein Problem haben, sogar ein Ehepaar mit Kind. Ein paar Teilnehmer erzählen von den Schutzmaßnahmen, die sie bereits getroffen haben. Da ist das abgelegene Grundstück in Brandenburg oder die am geheimen Ort vergrabene Kiste mit den nötigsten Gegenständen für Krisenzeiten.
Christian ist einer von denen, die bereits vorsorgen, oder wie es im Szenesprech heißt, „preppen“. Er fügt aber gleich hinzu: „Nicht genug!“. Er ist ein älterer kleiner Mann mit einer randlosen runden Brille. Er lacht gern, bringt sich oft ein und nickt interessiert in Daniels Richtung. Vor seiner Frührente war Christian Maschinentechniker und ehrenamtlich beim THW tätig. Er besitzt auch drei Hektar Wald und ist stolz, dass sich seine Frau mit den heimischen Kräutern so gut auskennt. Das sei wichtig in Zeiten der Krise. Er raucht gerne Zigarillo, aber nur, wenn er keine guten Kubanischen in die Hände bekommt. Seine Arbeitshose ist voll mit getrockneten Estrichflecken.
Den Wasserfilter gerne auch mit Urin testen
Mittlerweile hat Survival-Coach Daniel seinen Flipchart mit gezackten Linien gefüllt. Er kreist Stichworte wie „Hilfe“ und „Informationen einholen!“ mehrmals mit dem Edding ein. Die Kursteilnehmer dürfen währenddessen alles einmal anfassen: Atemschutzmasken, eine Gasmaske, Jodtabletten, einen mobilen Umkehr-Osmose-Filter und einen Gaskocher. Der Filter ist wichtig, um radioaktiv verstrahltes Wasser zu reinigen. Im Prinzip kann die Anlage aber alles aus verschmutztem Wasser rausfiltern. „Das könnt ihr dann gerne Mal mit Urin austesten“, sagt Daniel und lacht.
Daniel spricht über den atomaren Ernstfall von Tschernobyl, Atompilzen und der berüchtigten „schmutzigen Bombe“. Das sind konventionelle Sprengsätze, die radioaktiv verseuchtes Material mit ihrer Explosion verteilen, etwa, wenn eine Bombe mit Atommüll kombiniert wird. Für Daniel verschärft die „unkontrollierte Zuwanderung“ die Gefahr, dass so eine Bombe gezündet werden könnte. Dieses „Bedrohungsszenario“ lässt die Teilnehmenden verstummen. Was das eine mit dem anderen zu tun hat, wird nicht weiter erläutert.
Bauschaum ist gut, Fugensilikon ist besser
Ein Pärchen im mittleren Alter – den Kurs hat sie ihm zum Geburtstag geschenkt – fragt Daniel, was bei einer chemischen Bedrohungslage zu tun ist. „Alle Fenster und Türe müssen mit Bauschaum verklebt werden, damit ansteckende Viren nicht eindringen können“, erklärt er. Um ganz sicher zu gehen, würde er aber Fugensilikon verwenden.
Zögerlich hebt das einzige anwesende Kind die Hand, ein zehnjähriger Junge. Seine Eltern ermutigen ihn dazu. Seine Frage ist einfach: Was soll er machen, wenn die Atombombe explodiert und er sitzt in der Schule? Woanders hätte seine Frage mindestens ein Schmunzeln zur Folge, aber Daniel bleibt ernst. „Wenn du nicht schon tot bist, renn weg!“, antwortet er. Wenn man nicht direkt von der Explosion betroffen sei, solle man auf den Wind achten und sich so weit wie möglich vom Epizentrum entfernen.
Eine Frau meldet sich und sagt, sie gehe nicht davon aus, mit dem Auto aus der Stadt fliehen zu können, falls die Bombe explodiert. Das sei wegen der Staus unmöglich. Sie würde mit dem Fahrrad vor der Bombe fliehen. Daniel beweist Humor: „Mit einem Leopard-Panzer kommt man sicherlich auch viel besser aus der Stadt“, sagt er und lacht. Der Witz kommt gut an. So richtig vorstellen kann ihn sich hier niemand, den Ernstfall. Draußen springt die Alarmanlage eines Autos an. „Seht ihr, geht schon los“, sagt Daniel. Alle lachen.
Das Problem der Prepper-Szene, sagt Daniel, bestehe in ihrer Zielsetzung. Niemand spreche gerne über den Kollaps unserer Zivilisation. Im Gegensatz zu anderen kulturellen Szenen bereiteten sich Prepper auf ein Negativ-Szenario vor – trotzdem ist genau das Daniels Geschäftsmodell.
Gummianzug- und Gasmaskentest
In der Pause darf der zehnjährige Junge Daniels Atomschutzausrüstung anziehen, das volle Programm aus Gummianzug und Gasmaske. Unter lauten „Buhuhu“-Rufen rennt der maskierte Junge die Straße auf und ab und erschreckt Menschen. Christian schaut vergnügt zu und raucht einen Zigarillo.
Weil Endzeitthemen den Appetit anregen, sind die Kekse und der Kaffee schnell vergriffen. Nach der Pause zieht der Junge den Schutzanzug aus und bekommt von allen Teilnehmenden einen herzlichen Applaus.