Kein fließendes Wasser, keine Elektrizität, kein Dach über dem Kopf. Bis zur Räumung im November 2018 war das römische Camp „Baobab“ das Zuhause tausender Geflüchteter. Zwei freiwillige Helferinnen erzählen von ihren Erfahrungen

Wer als Geflüchteter Italien erreicht, merkt schnell: Das Leiden ist noch lange nicht vorbei. Häufig fehlt jegliche Perspektive, um in Europa Fuß zu fassen. Mitten in Rom hat die Organisation „Baobab experience“ gemeinsam mit anderen internationalen Initiativen das selbstverwaltete Camp „Baobab“ gegründet. Während Italiens Regierung immer stärker auf Abschreckungspolitik setzt, waren Maren (21) und Marlene (27) gemeinsam mit dem deutschen Verein „Support Convoy“ in Baobab, um grundlegende Hilfsstrukturen im Camp aufrecht zu erhalten.

Als 2015 über eine Millionen geflüchtete Menschen nach Europa kamen, gründete sich der Verein „Dresden Balkan Convoy“, aus dem „Mission Lifeline“ und „Support Convoy“ entstanden. Das Ziel der Aktivist*innen war es, schnelle und flexible Hilfe an den europäischen Grenzen zu leisten. Dafür tritt „Support Convoy“ mit lokalen Vereinen und Gruppen in Kontakt, die dauerhafte Projekte etablieren und auf weitere Hilfe angewiesen sind.

Zu Beginn verteilte der Verein nur grundlegende Ressourcen: Kleidung, Decken, Zelte. Später bauten die Freiwilligen Duschen auf, um Campbewohner*innen zu ermöglichen, sich mit sauberem Wasser zu waschen. Durch diese einfache Maßnahme könne der Ausbruch von Krankheiten wie Krätze verhindert werden, „gleichzeitig fühlen sich Menschen durch das Duschen wieder menschlich“, sagt Marlene. Jeden Tag gab es frische Handtücher, Spiegel und Haargel: „Die Camp-Bewohner haben sich abends ewig lange frisiert, teilweise sind sie anschließend ausgegangen. Es ist wichtig zu erkennen, dass geflüchtete Menschen die gleichen Bedürfnisse und Interessen haben, wie alle anderen auch“, sagt sie.

Elend mitten in Europa

Trotz der Bemühungen vieler freiwilliger Helfer*innen sei das Camp ein menschenunwürdiger Ort gewesen, berichtet Maren. Bis zu 300 Geflüchtete wohnten in Zelten auf kleinem Raum, statt Toiletten hätten die Bewohner*innen eine anliegende Wiese benutzen müssen. Psychologische Betreuung habe es überhaupt nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Auflösung des Camps lebten einige Menschen dort bereits seit zwei Jahren, die meisten jung, männlich und traumatisiert – von jahrelanger Flucht, aber auch von der Perspektivlosigkeit und Diskriminierung in Europa. „Im Camp prallen viele Frustrationen aufeinander, niemand in Baobab ist zufrieden“, erzählt Marlene. In öffentlichen Unterkünften mangle es an Plätzen und niemand wisse, was von den italienischen Behörden zu erwarten sei. „In Italien sitzt man fest“, sagt Marlene. Für sie ist Baobab das „absolute Elend“ inmitten einer europäischen Hauptstadt.

An Häuserwänden rund um das Camp wurden Hakenkreuze und rechte Parolen geschmiert. „Es war schockierend wie wir von der Nachbarschaft für unsere Arbeit angefeindet wurden“, erzählt Maren. „Es gab aber auch hilfsbereite Nachbarn, die sich mit uns solidarisiert und das Projekt unterstützt haben“, sagt sie. Die negativen Erlebnisse hätten aber überwogen.

Italien setzt auf Abschreckung

„Baobab ist ein kleiner Teil von dem, was in ganz Italien passiert“, sagt Marlene. Mehrere tausend Geflüchtete würden alleine in Rom auf ihre Papiere warten, häufig an Orten ohne jegliche Hilfsstrukturen. Ständig würden Migrant*innen rassistisch angefeindet. Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini setzt seit 2018 auf Abschreckung, rechtsfreie Räume würden „nicht mehr toleriert werden.“ Die Aktivist*innen hätten schon längst mit einer Auflösung gerechnet, im November 2018 war es dann so weit: Das Camp Baobab wurde mit Planierraupen geräumt. Dutzende Migrant*innen leben seitdem auf der Straße, paradoxerweise noch immer am gleichen Ort, jetzt nur ohne Zelte.

„Europa inszeniert sich selber als Vorreiter von Menschenrechten, schaut aber teilnahmslos dabei zu, wie sie in europäischen Städten gebrochen werden“, sagt Maren. „Wer Europa scheitern sehen will, muss nach Baobab fahren.“

 

Mehr Informationen zum Verein „Support Convoy“ und die Möglichkeit zu Spenden unter www.supportconvoy.org.