Elīna Brasliņa ist lettische Künstlerin und Illustratorin. Sie wechselt jeden Tag zwischen Wohnung und Atelier, dann zwischen Simone de Beauvoir und Judith Butler. Elina ist Feministin in Riga. 

Frauen sollen nicht weinen. Das proklamiert der Titel der bisher größten kollektiven Ausstellung von Frauen in Riga. Eine von ihnen ist Elīna Brasliņa. Das Selbstporträt auf ihrer Website zeigt sie mit kurzen Haaren, in denen eine Brille steckt. Die Künstlerin und Illustratorin lebt mit ihrer Familie in Riga. An der lettischen Kunstuniversität hat sie Grafikdesign studiert. Noch während ihres Studiums fertigte sie Figuren und Fotografien an, die jetzt in der feministischen Ausstellung im Lettischen Nationalmuseum der Kunst zu sehen sind. Aber was heißt es für Elīna, feministische Kunst zu machen?

Im Atelier

Wir treffen Elīna in einem Vorort von Riga. Direkt am Wasser, in einer grauen Siedlung, liegt ihre Wohnung. Davon hat sie zwei gemietet, eine mit ihrer Familie und ein Atelier im Stockwerk darunter, das sie sich mit ihrem Mann teilt. Es ist eine Ein-Zimmer-Wohnung mit Einbauküche. Hier gibt es eigentlich alles, was Elīna zum Arbeiten braucht. Ihr Arbeitszimmer hat sie erst kürzlich hier eingerichtet. “Bücher kommen später”, sagt sie, “die stehen noch alle im alten Arbeitsraum.” Elīna kann sich erst seit kurzem eine eigene Wohnung zum Arbeiten leisten. Das hat sie früher immer von zuhause gemacht, aber seit sie ein Kind hat, sei das einfach nicht mehr möglich. 

Elīna illustriert hauptsächlich Kinderbücher. Ein Brotjob, wie sie ihn nennt, der aber auch Spaß macht. Kunst grenzt sie davon ab, sowas muss man sich leisten können, betont sie. Der Spagat zwischen Pflichtbewusstsein als Geldverdienerin und ihrer Identität als Künstlerin sei da nicht immer einfach. 

Die Kuratorin von “Don’t cry” hat Elīna explizit für die Ausstellung angefragt. Schon vorher hatte sie an einzelnen Ausstellungen teilgenommen, aber in dieser Größe hat sie noch nicht gearbeitet. Umso erstaunlicher findet sie es, dass gerade ein Werk aus ihrer Studienzeit, also den Anfängen ihrer Arbeit und ihres Weges in den Feminismus, für die Ausstellung ausgewählt wurde. Der Kalender, eine philosophische Feminismus-Übung, macht auf ironische Weise deutlich, welchen Themen welches Maß an Aufmerksamkeit gewidmet wird. “Man könnte es als Einführung verstehen, wenn man will. Feminismus 101”, sagt Elīna und schmunzelt. “Mir geht es nicht darum, wütende Texte zu machen, sondern vor allem zugängliche.” 

Das Werk geht auf ihre Lieblingsbücher ein. Butler, Beauvoir, Foucault – Elīna hat sie aufgelistet. Das sind auch die Bücher, die noch in das neue Büro kommen sollen. Als Nachschlagewerke oder tägliche Lektüren, wie sie meint. Daraus entstehen schließlich ihre Bilder und Texte.

Elīna illustriert hauptsächlich Kinderbuchliteratur. Darin geht es auch um Themen, die ihr wichtig sind, wie Feminismus, Sexualität und Gleichberechtigung. In dem 2022 erschienenen Buch “Kati will Großvater werden” sind Illustrationen von Elīna zu sehen. Sie arbeitet mit ausdrucksstarken Farben, denn die Bilder sollen auch eine Geschichte erzählen. Sie hat bisher rund 30 Titel illustriert, viele wurden übersetzt und international veröffentlicht – insbesondere queere Geschichten.

Feministische Arbeit

“Ich beschäftige mich hauptsächlich mit den Erfahrungen von Frauen”, erzählt Elīna auf die Frage nach einem Motiv ihrer künstlerischen Arbeit. “Mir geht es darum, sichtbar zu machen, welche körperlichen Geschichten zu erzählen sind.”

Feminismus bedeutet für Elīna vor allem die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Seit sie selbst Mutter geworden ist, beschäftigt sie aber vor allem die stereotypische Rollenzuschreibung der Mutter als so genannte Sorgearbeiterin. Feminismus sollte nicht als Nische verstanden werden, findet sie. Das sei die Gefahr der feministischen Kunst, wie sie häufig präsentiert wird. Feministische Kunst sollte zur Selbstverständlichkeit werden, nicht zum Novum. 

Dass an der Ausstellung nicht nur Frauen teilnehmen, die sich selbst als Feministinnen bezeichnen, setzt Elīna mit der Historie Lettlands in Beziehung. Viele von ihnen haben Schwierigkeiten mit dem Begriff des Feminismus, der unter sowjetischer Besatzung stark negativ, sogar beleidigend konnotiert war. Elīnas Beobachtung ist, dass das jetzt langsam als Haltung aufbricht. Deshalb sei es umso wichtiger, dass sich der Kreis aus Künstlerinnen in Riga erweitere. “Sonst sind es immer dieselben Leute”, sagt sie. 

Elīna ist jetzt 35 Jahre alt. In ihrer Generationen gehe man positiv mit Feminismus und Gender um, in älteren Generationen sei das anders. “In den Anfängen der 90er war hier pures Chaos”, erzählt sie. Erst mit der Unabhängigkeit Lettlands konnten sich neue Konzepte und Fragen formen. Für Elīna ist besonders wichtig, dass sie sich mit Frauen austauschen kann, die sich ebenfalls mit feministischen Themen auseinandersetzen. Sexistische Kommentare gebees zwar zwischendurch, gerade wenn es um queere Kinderbuchliteratur geht, aber für Elīna ist das kein Grund, damit aufzuhören. “Glücklicherweise wurde ich noch nie persönlich bedroht wegen meiner Arbeit und Haltung”, berichtet sie. 

Im Schatten des Krieges

“Nach Kriegsausbruch waren alle wie gelähmt. Wir haben uns in Internetforen ausgetauscht und wussten nicht, wie es weitergeht. Wir sind uns der Präsenz des Krieges durchaus bewusst und auch der Gefahr, die von Russland für feministische Themen ausgeht. Aber wir lassen uns davon nicht unterkriegen.” Elīna hat dazu eine persönliche Erfahrung, denn ein von ihr illustriertes Kinderbuch  wurde in Russland veröffentlicht. Es bekam einen 18+ Stempel und wurde mit dem Begriff “gay propaganda” gekennzeichnet. Der Verlag musste kurz nach der Veröffentlichung aufgelöst werden. Das ist ihre Arbeit im Schatten des Krieges. 

“Meine größte Herausforderung ist das absolute Fehlen von Zeit. Seit ich Mutter geworden bin, muss ich umso mehr überlegen, ob ich es rechtfertigen kann, Kunst für Ausstellungen zu machen. Für eine Ausstellung zu Mutterschaft habe ich kürzlich mehrere kleine Zeichnungen angefertigt, das hat unheimlich viel Ressourcen gekostet. Auch so eine Arbeit muss ich abwägen.” Nach dem Interview setzt Elīna sich wieder an den Schreibtisch und zeichnet.

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Illustration: : Elīna Brasliņa