In der lettischen Hauptstadt Riga liegt der von Nikita, Anton und Natasha gegründete russischsprachige Buchladen „Novaya Riga”, zu Deutsch: Neues Riga. Damals fehlte den dreien in ihrer Stadt ein Ort, an dem ein Austausch über moderne Literatur stattfinden kann. Heute ist Novaya Riga in erster Linie bei jungen Menschen und russischen Intellektuellen im Exil geschätzt. 

Von außen betrachtet wirkt Novaya Riga unauffällig. Es scheint, als wäre das Geschäft geschlossen, da kein Tageslicht durch die abgedunkelten Fensterscheiben hineinfällt – beinahe so, als wolle der Laden etwas verheimlichen. Nach dem Öffnen der Tür zeigt sich  ein moderner Raum mit lilafarbenen Akzenten. Die Bücher sind nach Genres, teils nach Farben geordnet. Hinter der Kasse stehen zwei Mitarbeiter*innen des Ladens: George und Anastasia. George arbeitet in dem Buchladen, weil er Literatur liebt und Novaya Riga der modernste Buchladen Rigas ist. Anastasia hat hierher gefunden, da sie aus Russland floh, kein Lettisch sprach und Arbeit brauchte. 

George und Anastasia lächeln uns freundlich an. Gerne führen sie uns durch das Geschäft  und durch die Weiten der russischsprachigen Literaturlandschaft: Philosophie, Gender Studies, Psychologie oder Geschichte. Was die Werke in Novaya Riga vereint? Sie alle wurden auf Russisch verfasst oder übersetzt, viele von ihnen wurden aus Russland verbannt.

In Novaya Riga ausgestellte Bücher und Magazine

George zieht ein Buch aus dem Regal. Es erzählt die Geschichte von Menschen, die im nationalsozialistischen Deutschland unter der Mobilisierung litten:  „Das hier war sehr beliebt, als Putin die Invasion der Ukraine begann”, sagt er nachdenklich. Auf dem dunkelroten Buchcover schimmert in schwarzen Lettern eine kleine 18. Wir sind irritiert und fragen nach. „In Russland muss man 18 Jahre alt sein, um das Buch zu kaufen. Das ist immer dann der Fall, wenn Bücher „starke” Inhalte haben und dem russischen Staat  zufolge „gefährliches” politisches Gedankengut vermitteln könnten. Diese Bücher liegen eingeschweißt oder mit Papier umwickelt in den Buchläden, damit es nicht möglich ist, einfach so auf sie zuzugreifen”, erklären uns die beiden Buchhändler*innen. Oftmals trifft diese Art von Zensur auf Autor*innen zu, die in Russland als sogenannte „ausländische Agenten” betitelt werden. Bei ihnen handelt es sich um Personen oder gesellschaftliche Organisationen, die durch europäisches Gedankengut beeinflusst oder „aus Europa finanziert” seien. 

Ein Werk, das von dieser Zensur betroffen sei, ist der berühmte Roman 1984 von George Orwell. Dieser werde in Belarus “zwar noch verkauft, aber nicht mehr gedruckt”, wie  George schildert. Der Gedanke, dass ausgerechnet auf dieses Buch nicht mehr ohne weiteres zugegriffen werden kann, löst bei uns das Gefühl aus, Orwells totalitärer Überwachungsstaat werde im belarussischen Nachbarland zur Realität.

Anastasia unterbricht unser Gespräch kurz. Ob wir gerne einen Kaffee hätten oder ein Gebäck? Sie weist auf die Vitrine hinter der Theke, in der fein säuberlich geordnetes Gebäck liegt. Die Buchhändler*innen möchten, dass Novaya Riga auch zu einem Ort des Austausches und Zusammenkommens wird. Also nicht bloß ein Buchladen, sondern auch ein kultureller Raum. Deshalb auch das kleine Café über den Buchladen verteilt mit  Tischen und Stühlen, die so positioniert sind, dass die lettische Nationalgalerie auf der gegenüberliegenden Seite betrachtet werden kann. Ein Ort also, an dem man sich aus dem hektischen Stadtleben zurückziehen und für ein paar Stunden den auf vielen Ebenen bedrückenden (politischen) Zustand der Welt vergessen kann.

George und Anastasia sprechen gerne über Bücher und über Novaya Riga als Ort des kulturellen Austauschs. Weniger gerne erzählen sie von persönlichen Erfahrungen mit russischer Repression. Kurz deuten sie an, dass manche Besucher*innen des Buchladens in der Tat aggressives Verhalten an den Tag legen, wollen aber nicht weiter darauf eingehen. Eigentlich möchten sie, dass Novaya Riga ein Ort der Unterstützung und Unterhaltung ist. Und im Namen dessen treten sie auf. Denn ein Buch zu kaufen, das sei wie eine kleine Therapie: „Man hat Zeit für sich und seine Gedanken.” Es ist nicht so, dass die Menschen, die hinter Novaya Riga stehen, keine politische Meinung haben. Sie alle positionieren sich klar gegen den Krieg, was auch von im Laden verkauften Plakaten mit der Aufschrift „Kein Krieg” verdeutlicht wird: „Nun, wir haben unsere Position sofort bekannt gegeben; wir sind auch alle derselben Meinung: Wir sind gegen den Krieg.” 

Nach unserer Führung durch die Kultur-und Literaturlandschaft Novaya Rigas, bleibt eine Frage offen: Wie wird sich Novaya Riga in Zukunft entwickeln? George überlegt kurz. Sie wollen multilingualer werden und nicht bloß russischsprachige, aber auch lettisch- und englischsprachige Literatur verkaufen. Damit wollen sie Menschen mit unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Hintergründen zusammenbringen – in dem, was sie alle vereint – ihrer Liebe zur Literatur. 

________________________________________________________________________

Fotos: Rahel Bueb