Der Putin-Kritiker Mikhail Zygar ist zu Gast beim Internationalen Literaturfestival Berlin. Im Gespräch erzählt er von Russland und wie er die Geschichte seines Landes verändern will. Kritik kam vor allem von der Moderation.

Mikhail Zygar hat schon viel erlebt. Er gründete einen Fernsehsender in Russland, der freie Berichterstattung versuchte. Mit dem Beginn des Krieges Russlands gegen die Ukraine musste Doschd (zu Deutsch: Regen) jedoch seine Türen dicht machen. Aber bereits vor seiner Zeit als Chefredakteur des Senders war Zygar in Russland kein unbes chriebenes Blatt: Er schrieb als Kriegskorrespondent für eine der größten russischen Tageszeitungen, Komersant, und traf auf diesem Wege auch Putin.

Viel wichtiger sei ihm aber, erklärte der energische Mann im schwarzen Sakko mit Palmen-Revers, „dass ich das Glück hatte, alle ukrainischen Präsidenten einmal interviewt zu haben.“ Schon seit Jahren schreibt er Bücher, sie gehen immer wieder kritisch mit Russland und seiner Elite ins Gericht. Die Moderatorin der Veranstaltung im Haus der Berliner Festspiele, Franziska Davies, meinte sogar, sein aktuelles Buch sei noch weitaus kritischer als alle Vorigen. Es trage „eine persönliche Note.“

Zygar verneinte das nicht. „Es ist nicht nur ein Buch über Russland, sondern auch über mich. Auch wenn das schlecht für einen Journalisten ist.“ Sein Anspruch sei, so erklärte er, ein „Gegen-Narrativ“ für die gegenwärtige Lesart der russischen Geschichte aufzubauen. Katharina II. „die Große“ habe diesen Namen nicht verdient, Solschenizyn sei ein grausamer Vordenker des „Putinismus“ gewesen. Aber die Arbeit sei schwer: „Alle großen russischen Historiker bisher waren Propaganda-Historiker. Das ist unser Fluch.“

Lang und trotzdem zu kurz

Er erhoffe sich damit keinen direkten politischen Wandel, entgegnete er auf eine Frage der UnAuf. Ihm gehe es vielmehr darum, die grundlegenden Werte in Russland zu verändern, um damit auf lange Sicht das ganze Land zu transformieren. „Wir müssen davon wegkommen, alles im Zusammenhang mit Russland Stehende als ‚groß‘ zu bezeichnen. Die ‚große‘ russische Literatur, die ‚große‘ russische Sprache. Wir müssen unseren inneren Imperialisten besiegen, wie das die Engländer bereits tun. Aber der Weg ist lang.“

Im Publikum wurde nach einem Ende von Putins System gefragt: „Ist Nawalny die Alternative zu Putin?“ Das bejahte Zygar vehement. Für ihn sei Nawalny, obwohl er im Gefängnis sitze, immer noch ein aktiver Politiker, der seine Arbeit sehr gut mache. Moderatorin Davies, eine Historikerin aus München, widersprach allerdings ebenso vehement. Nawalny habe zahlreiche rassistische Kommentare auf seinem Konto, auch seine Haltung zur Krim sei nicht eindeutig. Zygar verteidigte Nawalny. „Menschen können sich ändern! Und das hat er getan. Er ist ein gutes, moralisches Beispiel für die Menschen in Russland.“

Im Publikum waren die Eindrücke von der Veranstaltung gemischt. Sie seien beeindruckt von dem Zygars Mut, erklärten zwei Zuschauer im Anschluss an die Veranstaltung, insbesondere in Anbetracht der Lebensgefahr, in die sich Zygar damit auch in Berlin begebe. Ein Beispiel sei der „Tiergartenmord“ oder das Attentat auf Sergej Skripal in England. Die Moderation von Franziska Davies sahen sie allerdings kritisch. Sie habe schlecht vorbereitet gewirkt und lange geredet. Auf die Frage hin, ob ihnen die Veranstaltung gefallen habe, antwortete einer der Zuschauer: „Sie war nur viel zu kurz!“ 


Foto: Schirin Moaiyeri