Die afghanischen Autor*innen Homeira Qaderi und Siamak Herawi stellen ihre jüngsten Werke vor und berichten von ihrer Heimat vor der Machtübernahme der Taliban. Ein Gespräch über den Kampf der Frauen und die Macht der Worte.

Im Rahmen des diesjährigen Internationalen Literaturfestivals Berlin besuchte ich die Veranstaltung Stories from Kabul. Der Raum, in dem wir Platz nahmen, war schwarz verhangen, jeder einzelne Platz besetzt. Die junge Schülerin Mumtaz Ibrahim Isack, die vor drei Jahren aus Afghanistan floh, las einen kurzen Ausschnitt aus Egon Erwin Kischs “Landung in Australien” vor. Heute sollte es neben den Buchvorstellungen auch um das Leben im Exil gehen. Geladen für das Gespräch und eine Buchvorstellung waren die afghanische Autorin und Literaturprofessorin Homeira Qaderi und der afghanische Autor und Journalist Siamak Herawi. Beide sprachen während der Veranstaltung ausschließlich Dari, eine Übersetzerin nahm in ihrer Mitte Platz. Qaderi stellte ihr Memoir „Dich zu verlieren oder mich“ vor und Herawi sprach über seinen neuen Roman „Tali Girls“. Neben dem Studium der persischen Literatur verbindet die Autor*innen auch die politische Arbeit. Qaderi, die sich als Beraterin des afghanischen Ministeriums für Arbeit und Soziales engagierte, floh im August 2021 während der Machtübernahme der Taliban aus Kabul nach Amerika. Siamak Herawi kehrte Anfang der 90er Jahre mit seinem Masterabschluss aus Moskau nach Afghanistan zurück und begann eine Karriere als Journalist. Auch er lebte bis zur Machtübernahme der Taliban in Kabul. Seit 2021 lebt Herawi im Exil in London und zählt mit zwölf veröffentlichten Romanen zu den erfolgreichsten Autoren Afghanistans.

Ein Land versinkt in der Dunkelheit

Homeira Qaderi begann ihren Vortrag mit einem emotionalen Bericht über die Entwicklungsgeschichte der Freiheit von Frauen in Afghanistan. Vor zwanzig Jahren seien Frauen noch zu Ärztinnen ausgebildet worden und hätten in allen Arbeitsbereichen eine wichtige Rolle gespielt. Als Siamak Herawi das erste Mal das Wort ergriff, sprach er ebenfalls über die Entwicklung seines Landes vor dreißig Jahren. Es sei kaum vorstellbar, dass sein Land, das einst über eine blühende Kulturlandschaft verfügte, heute in Dunkelheit versinke. Für die junge Generation vor Ort sei es unmöglich, etwas zu tun, daher appellierte er an alle Menschen im Ausland, Afghanistan „international vorzustellen, damit die Aufmerksamkeit der Menschen geweckt wird.“ Herawi sagte weiterhin, für ihn sei Afghanistan schon lange vor der Machtübernahme der Taliban gefallen, da die kriegerischen Auseinandersetzungen schon so lange andauern. Man dürfe dennoch die Hoffnung nicht aufgeben.

“Warum hat man solche Angst vor den Frauen?”

Homeira Qaderi erzählte von den Lebensbedingungen der Frauen, bevor die Taliban die Macht übernahmen. Sie berichtete, dass Frauen in vielen Familien Alleinverdienende waren und nun durch das Arbeitsverbot der Taliban gezwungen seien, ihre Töchter an fremde Männer zu verkaufen, um nicht zu verhungern. Fragend wandte sie sich an das Publikum: „Warum hat man solche Angst vor den Frauen?“. Siamak Herawi schloss sich an, er richtete scharfe Worte an die U.S.A. und warf der amerikanischen Politik vor, die Entwicklung Afghanistans um einhundert Jahre nach hinten geworfen zu haben. Die Frauen, die zu Beginn der Machtübernahme noch auf die Straßen gingen, um zu protestieren, seien vergewaltigt worden und ins Gefängnis gekommen. Sie seien bei geheimen Treffen in geschlossenen Räumen aufgespürt oder verraten worden. Homeira Qaderi wandte sich wütend an die Menschen im Raum. Ob niemand wissen würde, dass Frauen in großer Zahl Suizid begehen würden, fragte sie. Weltmächte wie Russland und China kritisierte sie dafür, offen mit den Taliban ins Gespräch zu gehen, wohlwissend, wie deren Herrschaft aussähe. „Wir kämpfen ganz ohne Waffen. Mein Bruder, der Lyriker ist, hat ein Jahr im Gefängnis verbracht, weil er für die Frauen gekämpft hat“, berichtete Qaderi.

“Wir kämpfen mit Schreibwerkzeug, das ist der einzige Unterschied”

Die Moderatorin fragte, was man tun könne, um dem afghanischen Volk zu helfen. Daraufhin antwortete Homeira Qaderi: „Ich glaube nicht, dass es eine Grenze gibt zwischen Literatur und Politik. Das eine beeinflusst das andere. Politiker kämpfen mit Waffen, und wir kämpfen mit Schreibwerkzeug, das ist der einzige Unterschied.“ Daher sei es wichtig, Bücher von afghanischen Autor*innen, die übersetzt würden, zu lesen und sich kontinuierlich mit der Situation auseinanderzusetzen. Im Anschluss hörten wir einen kurzen Abschnitt aus Qaderis Memoir „Dich zu verlieren oder mich“. Bildhaft wurde der Prolog eines Märchens erzählt, in dem ein Junge eine Wunderlampe mit einem Dschinn darin auf dem Speicher seiner Großmutter findet. Qaderi erzählte nach der Lesung, ihre Großmutter sei der Ansicht gewesen, Allahs schwerste Prüfung sei es, ein Mädchen zu sein. Nach der Geburt ihres Sohnes, als Mutter in ihrem Heimatland, habe sie zum ersten Mal in ihrem Leben Anerkennung erfahren. Es folgte eine Lesung aus Herawis neuem Roman „Tali Girls“, in dem er sich mit der Rolle der Ehefrauen an der Seite von Taliban-Kämpfern auseinandersetzt. Bevor die Lesung begann, wurde eine Trigger-Warnung ausgesprochen, einige Menschen verließen den Raum. Beschrieben wurde der bestialische Femizid einer jungen Frau eines Taliban, nachdem sie ihn um die Scheidung bat, da er sich eine zweite Frau genommen hatte. Auch während der Lesung verließen einige Menschen den Saal.
Als der Vorleser zum Ende kam, herrschte im Raum entsetztes Schweigen. Der Autor griff zum Mikrofon und teilte uns mit, er habe diesen Mord so ausführlich beschrieben, um zu dokumentieren, welchem Leid Frauen in Afghanistan täglich ausgesetzt seien.


Foto: Schirin Moaiyeri