Yoga, Conscious Dance, veganes Dinner und Wein – ein elitäres Berliner-Bubble-Klischee. Das junge Kollektiv openflowstudios arbeitet für zwischenmenschliche Verbundenheit statt Profit und Profilierung.

Hier ist viel Platz, warme letzte Herbstsonnenstrahlen fluten den Raum zwischen Fischgrätenparkett und hohen Decken. Auf den Küchentisch sind mit Tesa kleine Namensschilder geklebt, daneben liegt ein Berg Karotten, der fein säuberlich und mit nötiger Hast geschält wird. Die Gäste sollen schließlich pünktlich empfangen werden, insgesamt 14 sind es heute.
15 Uhr – offizieller Beginn des „House of Workshops“. An den weit geöffneten weißen Holztüren hängen handgeschriebene Programmpläne zur Orientierung. Schon bald sind die meisten eingetrudelt und versammeln sich vor dem offenen Kamin auf dem Sofa, um den sieben Workshopgeberinnen zu lauschen, die sich mit aufgeregtem Lächeln nacheinander vorstellen. Bevor die Runde mit Applaus aufgelöst wird, heißt Mia alle willkommen. Sie ist 20 Jahre alt, die Initiatorin dieses Nachmittags und außerdem die Gründerin des Kollektivs openflowsstudios. Aktuell studiert sie Psychologie und Linguistik in London, doch für die Veranstaltung ist sie für einige Tage zurück ins Haus ihrer Eltern nach Berlin-Zehlendorf gekommen. Sie hat für diesen Nachmittag alle zusammengebracht, viele kennen sich, sie sind Freund*innen von Freund*innen aus verschiedensten Ländern.

Vielfältige Fähigkeiten

Hanna und Alma zum Beispiel, Mias Ex-Mitbewohnerinnen aus London, haben sich zusammengetan, um den großen Esstisch in eine Schmuck- und Nähwerkstatt zu verwandeln. Hanna studiert Mode, für heute hat sie extra Spitze und Knöpfe aus London mitgebracht. Neben dem Tisch steht eine Kleiderstange mit alten Klamotten, die die Teilnehmer*innen upcyceln können, um ihnen auf kreative Weise ein zweites Leben zu geben, anstatt sie wegzuwerfen. Openflowstudios richtet seinen Fokus auch auf bewussten Konsum und Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst, der Umwelt und seinen Mitmenschen. Auch an diesem Sonntag ist es Ziel des Kollektivs, Raum für Zusammenkunft, Kreativität und Austausch zu schaffen. Junge Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten sollen hier die Möglichkeit bekommen ihr Wissen für alle zu teilen, die neugierig sind und lernen möchten.
Während im Erdgeschoss gewerkelt wird, bietet ein kleiner Raum im ersten Stock Zuflucht vor Geschirrgeklapper und Stimmengewirr. Anouk blickt in die Runde. Sie gibt selten Yogastunden auf Englisch, möchte aber, dass alle teilnehmen können. Auch sie ist erst Anfang 20, praktiziert Yoga bereits seit 6 Jahren und hat eine Ausbildung absolviert. Die Teilnehmenden strecken und dehnen sich, geben sich ihren Anweisungen vollkommen hin. Anouk möchte den „Yoga Spirit“ weitergeben, bei dem es für sie um bewusste Wahrnehmung des eigenen Körpers geht.
Auch die Spanierin Inés greift dieses Konzept auf. In ihrem Concious Dance Workshop macht sie den Teilnehmenden Mut, immer wieder betont sie, dass es nicht um besonders beeindruckende Körperbeherrschung gehe, sondern darum, seelischen Ballast loszulassen – ganz ohne Scham. Für sie ist Tanzen eine Form des Selbstausdrucks, was sie ohne Druck und Profilierung weitergeben möchte.

Kein bloßer Egoboost

Ebendiese intrinsische Motivation teilen alle Mitglieder des Kollektivs. „Ich glaube es geht nicht darum Menschen zu profilieren, sondern ein bestimmtes Mindset zu teilen. Es soll kein Egoboost sein“, erklärt Mia. Sie selbst machte zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 eine viermonatige Ausbildung zur Yogalehrerin. In diesem Sommer hat sie gemeinsam mit Ellis und Tara als Kollektiv openflowstudios zum ersten Mal selbst ein Yoga Reatreat über ein Wochenende hinweg organisiert.
Doch Mia wollte noch mehr Menschen und Dimensionen verbinden, um einen Raum zu kreieren, in dem Freelancer*innen eigene Workshops in verschiedensten Bereichen geben können. Das Kollektiv ist fluide, viele Fragen sind noch unbeantwortet, doch das bremst den Tatendrang nicht. Vielmehr fokussieren sich die Mitglieder darauf, mit dieser Ungewissheit weiterzumachen, bis sich die Strukturen organisch ergeben. Sie sind lose, es gibt keine Notwendigkeit für ein festes Commitment gleich zu Beginn. Veranstaltungen unter dem Namen openflowstudios können überall dort stattfinden, wo Menschen zusammenkommen, um Veranstaltungen zu organisieren. Der Fokus liege auf zwischenmenschlichen Beziehungen und ehrlichem Erfahrungsaustausch, in vertrauter Atmosphäre. Große Pläne hat Mia in jedem Fall: „Meine Vision ist es openflowstudios irgendwann in eine GmbH umzuwandeln, damit wir unser Konzept kollektiv anbieten können, auch international“.

Zusammensein im Kerzenschein

Mittlerweile ist es dunkel, draußen im Garten sitzen die Gäste um ein Feuer herum. Mia und ihre Schwester Lou führen durch eine gemeinsame Meditation. Es fängt leise an zu regnen, als Papier und Stifte herumgereicht werden. Nacheinander wirft jede*r seinen mit Wünschen und Sorgen beschriebenen Zettel ins Feuer. Gemeinsam beobachten alle, wie die Worte verschwinden.
Die Ruhe schlägt in Vorfreude um, als zum zweiten Mal an diesem Tag alle zusammenkommen. Den krönenden Tagesabschluss bildet ein veganes Abendessen. Soph hat den Tag damit verbracht für alle zu kochen, während Hanna verschiedene vegane Weine ausgewählt hat, die ausschließlich aus FLINTA*- geführten Betrieben stammen. Die meisten zucken die Schultern bei ihren ausführlichen Erklärungen, doch die Ukrainerin belustigt die Gäste mit ihrer warmherzigen Moderation des Abendessens.
Das Vier-Gänge-Menü ist kunstvoll angerichtet, die Stimmung ist „total wholesome“, wie es eine Gästin beschreibt. Sie fühle sich wie zuhause und finde es toll, dass auch Mias Eltern und Großvater den ganzen Tag dabei sind. Openflowstudios begrenzt seine Zielgruppe nämlich nicht. Jede*r könne dabei sein und sich wohlfühlen. Vor allem Menschen, die sich vermutlich nicht primär adressiert fühlen, könnten laut Mia viel lernen.

Vision weiterwachsen

Openflowstudios soll noch zugänglicher werden und weiter wachsen. Doch wie groß können die Events sein, ohne diese besondere Intimität zu verlieren? Und wer kann letztendlich wirklich teilnehmen?
Der offizielle Preis für den Nachmittag beträgt 85 Euro – für viele ein Grund, zweimal über eine Teilnahme nachzudenken. Das Kollektiv finanziert sich bisher privat, einige bieten ihre Workshops heute aber sogar umsonst an. Ziel sei es, die Workshopgeber*innen gebührend zu entlohnen. Dabei sei es schwierig, ihre Arbeit wertzuschätzen und die Veranstaltungen gleichzeitig finanzierbar zu halten. In Zukunft möchte openflowstudios mit Solipreisen arbeiten, damit das Kollektiv nicht nur ein weiteres elitäres Konzept bleibt, das vorrangig weiße Akademiker*innen anspricht. Sponsor*innen wären ein wichtiger Schritt hin zu mehr Stabilität und Zugänglichkeit. Dafür müsse sich openflowstudios erst einmal etablieren: „Dieses Konzept von wegen, ey, wir verbinden ganz viele unterschiedliche Sachen, ist für viele noch fremd, da müssen wir noch ein paar Beispielevents präsentieren, damit Leute sehen, dass das wirklich klappt.“

Kurz vor Mitternacht – drei Stunden nach dem offiziellen Ende des “House of Workshops”: Die US – amerikanische Indiemusikerin Mer spielt zum Abschluss einige ihrer selbstgeschriebenen Songs. Die Klänge ihrer Gitarre füllen den Raum, nach und nach hieven sich die Gäste vom Sofa. Openflows ermöglicht es jungen Menschen, eigenständige Workshops zu geben, bei denen sie ihre Fähigkeiten ohne Leistungsdruck für andere zugänglich machen. Jede*r hat die Freiheit sowohl als Veranstalter*innen als auch Teilnehmer*innen mitzumachen, alle werden herzlich aufgenommen. Es geht nicht um Coolness, extravaganten Kleidungsstil oder Prahlen mit den eigenen Talenten. Ideen, um den Grundsatz der Offenheit und Zugänglichkeit auch für Menschen außerhalb der Berliner-Achtsamkeits-Bubble umzusetzen gibt es, allerdings müssen sie, genau wie das Kollektiv selbst, noch in Mias Vision hineinwachsen.


Foto: openflowstudios