Ein Jahr nach dem entsetzlichen Anschlag tritt Salman Rushdie (“Die satanischen Verse”) wieder bei öffentlichen Veranstaltungen auf. Die Lesung beim 23.  Internationalen Literaturfestival in Berlin ist dementsprechend restlos ausverkauft. Eine vitale Diskussion über melancholischen Feminismus und rosa Affen. 

30 Grad an einem Sonntagnachmittag, der Saal des Berliner Ensembles ist brechend voll. Das spricht wohl für die Veranstaltung, stellt Daniel Kehlmann zu Beginn schmunzelnd fest. An der Seite von Bernhard Robben führt er das Gespräch mit Salman Rushdie – wobei schnell klar wird, dass es dabei um mehr geht als um dessen neuestes Werk Victory City. Kehlmann, selbst renommierter Schriftsteller und Robben, der Rushdies Buch ins Deutsche übersetzt hat, bezeichnen sich beide als Freunde und Vertraute des Autors. Was man dem Dialog auch anmerkt: Es ist kein Interview, sondern ein Gespräch, bei dem zwischendurch über Superhelden und Basketball geplaudert wird. 

Als Rushdie zugeschaltet wird und auf dem Bildschirm erscheint, wird heftig geklatscht und als er zu sprechen beginnt, ebbt der Applaus genauso schlagartig wieder ab – umsonst, denn der Ton lässt zunächst noch auf sich warten. Es ist ein starkes Bild: Die imposante Theaterbühne, die Kehlmann und Robben eben noch zu verschlucken schien, wirkt durch Rushdies Erscheinen auf dem großen Bildschirm plötzlich gut eingenommen. Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller zeigt sich gewohnt bescheiden und redet nicht lange über seine körperliche Verfassung – das getönte Brillenglas, hinter dem sich sein erblindetes rechtes Auge verbirgt, scheint das einzige sichtbare Überbleibsel des brutalen Messerattentates zu sein, dem er letztes Jahr zum Opfer fiel. Stattdessen wird locker über das neue Buch gesprochen – angenehmerweise ganz ohne geschwollene Worte und elitäres Getue. 

Es handelt von dem Waisenmädchen Pampa Kampana, das im Südindien des 14. Jahrhunderts von einer Göttin dazu beauftragt und ermächtigt wird, eine Stadt zu erschaffen, in der Frauen frei von patriarchalen Strukturen aufwachsen und gleichberechtigt wie selbstbestimmt leben können – eine „Victory City“ eben. Als Rushdie anmerkt, er habe für seine Geschichte bewusst ausschließlich weibliche Heldinnen erfunden, bricht erneut, für eine Literaturveranstaltung wirklich unüblich tosender Beifall aus. Ebenso, als er lächelnd sagt, das Detail der rosa-hell-häutigen Affen, stellvertretend für die britischen Kolonialisten in Indien, habe ihm Spaß bereitet.

Auf Kehlmanns Aussage hin, der Feminismus des Buches sei ein sehr melancholischer, antwortet Rushdie: “Ja, aber eben auch ein sehr realistischer.” Das ständige Auf und Ab, das Vor und Zurück, Erfolge, die sich mit Niederlagen abwechseln, seien eben schon immer die Realität feministischer Kämpfe gewesen. Das Mittelalter etwa, in dem die Geschichte spielt, habe bekanntermaßen eine regelrechte Regression hervorgebracht, einen Schlag ins Gesicht für alle, die unter dem Patriarchat litten. Warum also sollte die Geschichte Pampa Kampanas nicht für diesen immer wieder ernüchternden Weg sprechen? 

Rushdie bleibt nicht für die gesamte Veranstaltung, die letzte halbe Stunde wird von Kehlmann und Robben gefüllt, zwischendurch wird von Schauspielerin Cynthia Micas vorgelesen. Es wird über den magischen Realismus gesprochen, der alle von Rushdies Werken prägt. Kehlmann wird gefragt, ob er denn Parallelen zu seinen eigenen Büchern sehe – schade, dass Rushdie zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr am Gespräch teilnimmt, Kehlmanns Antwort und der restliche Dialog fallen etwas befangen und eher inhaltsleer aus. Dennoch strömt die Menge nach Ende sichtbar zufrieden ins gleißende Spätsommerlicht – eine gelungene Lesung in einem Theater, das seine Bühne nur in ganz besonderen Fällen einer anderen Kunstform als dem Schauspiel schenkt. 


Foto: Charlotte Kunstmann