Wir lesen, sprechen nach und internalisieren, dass Zucker schlecht und jede Körperform, die von einem Magazincover abweicht, abzulehnen sei. Junge Frauen und Mädchen sind die am häufigsten von Essstörungen betroffene Bevölkerungsgruppe. Eine Beobachtung am Frühstückstisch, die nachdenklich macht.

Zu hören ist am Esstisch eines Frühstückssaals in einem Hamburger Hotel: “Mama, macht Ananas dick?” Geäußert hat die Frage ein Mädchen, das kurz darauf einen schwarz-weiß gestreiften Stofftiger auf den Tisch legt. Sie ist ungefähr fünf Jahre alt. 

Äußerungen, wie diese, stellen keine Einzelfälle dar, sondern ein strukturelles Problem. Zu Störungen des Essverhaltens schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI): “ Bei einem Fünftel der Kinder und Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren finden sich Hinweise auf ein gestörtes Essverhalten, wobei Mädchen fast doppelt so häufig betroffen sind wie Jungen.” Nicht näher erläutert wird, wo Essstörungen eigentlich anfangen. Und wie früh. 

Auf den Titelseiten von Klatschmagazinen, deren Namen häufig die von Frauen tragen, werden Diätrezepte und -kuren angepriesen. Sie werben mit ihrem Sofort-Effekt, der schlank und glücklich machen soll. Ihre Zielgruppe sind Frauen, meist ab dem Alter von 14 Jahren. Wahrgenommen werden diese vermeintlichen Regeln aber schon früher. Anorexie, Bulimie und Binge-Eating-Störung definiert das RKI als die am häufigsten diagnostizierten Essstörungen bei Kindern. Besonders häufig tritt Anorexie dem 12. und dem 14. Lebensjahr auf, so weiter das RKI. Für die Diagnostizierung einer Essstörung wird das Screeninginstrument SCOFF (Sick, Control, One stone, Fat, Food) verwendet. Trotzdem gibt es kaum wissenschaftliche Erhebungsmethoden dafür, was frühkindliche Sozialisationserfahrungen, gerade hinsichtlich des Geschlechts, für einen Einfluss auf das Verhältnis zum eigenen Körper und Ernährung birgt. 

Denn je strikter die Ernährung, je mehr Superfoods, desto größer der Erfolg und die Anerkennung der Gesellschaft.  Das ist ein gefährliches Narrativ, das sich nicht nur bei erwachsenen Frauen, sondern schon im frühkindlichen Alter einprägt. Es wird mitgelesen, mitgezählt und internalisiert, dass Zucker schlecht und jede Körperform, die vom normschönen Modell auf dem Magazincover abweicht, abzulehnen sei.

Gegen solche normativen und restriktiven Bilder setzen sich inzwischen viele Magazine ein. Das “Missy Magazin” widmete die 03/2023 Ausgabe dem Thema Genuss und Verzicht. Indem Pop, Politik und Feminismus in den Vordergrund gestellt werden, hat die Missy-Redaktion Artikel zusammengestellt, die sich mit Body-Positivy, Essen als Genuss und Leidenschaften beschäftigen.   Denn das Thema ist präsenter denn je, aber kann hier ausgewogen betrachtet und vor allem hinsichtlich körperlicher wie seelischer Gesundheit rund ums Essen betrachtet werden. Doch das bildet noch längst nicht die Mehrzahl aller Artikel, Bilder und Parolen ab. 

Gerade vor diesem Hintergrund ist es deshalb so besorgniserregend, dass sich junge Mädchen beim Frühstück darüber Gedanken machen, ob das Obst, das sie zu sich nehmen, sie wohl dick machen wird. Sie scheinen sich bewusst darüber zu sein, dass ein gesellschaftlicher Fokus auf ihnen liegt, nicht nur darauf, wie sie sich kleiden und wie laut sie sind, sondern auch, was sie in welchen Mengen zu sich nehmen.

Als das Frühstück beendet ist, nimmt das fünfjährige Mädchen den Stofftiger in die Hand, schiebt ihren Stuhl zur Seite und verlässt mit ihren Eltern den Saal. Ananas hat sie nicht gegessen.


Illustration: Céline Bengi Bolkan