Marco kann sein Glück nicht fassen. Er und Anna sind ein Paar, doch das gemeinsame Glück wird gleich zu Beginn durch den Spott der alteingesessenen Dorfgemeinschaft gestört. Als in Marcos Gehirn dann auch noch ein Tumor diagnostiziert wird, scheint das Schicksal der zwei Liebenden besiegelt. Micheal Kochs Film „Drii Winter“ bricht mit dieser gängigen Erzählkonvention und wagt sich an das Drama hinter der Diagnose.

Marco ist ein kalter Klotz wie die wuchtigen Felsen im Alpenidyll vor seiner Haustür. Scheinbar unberührt von allem arbeitet er in einem Schweizer Dorf beim Bauern Alois. Er zertrümmert Steine, pflegt die Kühe – er macht Gelegenheitsjobs, ohne zu murren. Was auch daran liegt, dass Marco mit seiner Anna glücklich ist. Sie sind ein ungleiches Paar. Anna ist schön, oder entspricht einem gängigen Schönheitsideal, und Marco ein wandelnder Stiernacken mit stets schmollendem Gesichtsausdruck. So entsteht der Eindruck, der Regisseur wolle lediglich die Geschichte „Die Schöne und das Biest“ nacherzählen.

Doch gleich zu Beginn entführt Koch die Kinogänger*innen in die Dorfkneipe und während die Männer an einem Tisch Bier trinken, sitzt Marco abseits bei seinem Eistee. Das ist eines der liebenswürdigen und tiefgehenden Detail, mit denen Drii Winter in Bildsprache und Dialogen nicht geizt. Die Bauern des Ortes hingegen belustigt nicht allein die Erscheinung Marcos, sondern auch die innige tiefe Liebe zwischen ihm der schönen Anna. Anna ist eine alleinerziehende Mutter und niemand im Ort will so recht daran glauben, dass diese Beziehung halten wird.

Die große Leistung der beiden Laiendarsteller*innen Simon Wisler und Michèle Brand verdienen einer Würdigung. Sie spielen das Herzklopfen, dass sie durch wenige Worte und vorsichtige Gesten zur Schau tragen. Glaubhaft spüren sie einander nach, ob eine solche Liebe überhaupt wahr sein kann. Die Momente rühren, denn sie nehmen diese Unsicherheit vorweg, dass eine solche Beziehung in jedem Augenblick zerbrechen kann. Marco traut sich kaum, die Wange seiner Anna zu streicheln, und was zu Beginn eher als ein plumpes, erzählerisches Mittel erscheint, überrascht durch seinen Tiefgang. Denn in der Hand Marcos spiegelt sich die Angst wider, damit etwas kaputt zu machen. Und so verwandelt sich die karge Felslandschaft oberhalb der Baumgrenzen in ein Liebeslager, ohne dass es allzu kitschig wird.

Im Konflikt mit dem Triebhaften

Die Liebe der zwei Figuren ist getragen vom Alltag. Was sie zu zerstören droht, ist ein Tumor im rechten Frontallappen von Marcos Hirn. Was erst mit Kopfschmerzen beginnt, verwandelt sich in allerlei Aussetzer und triebhafte Handlungen, die keine rationale Erklärung zulassen. Die fehlende Impulskontrolle Marcos, bedingt durch die unbarmherzige Krankheit, zerrüttet die Beziehung. So offenbart sich eine weitere Stärke des Films darin, die Frage zwischen Natur und Mensch, zwischen Trieb und Triebverzicht aufzuwerfen. Das klingt vielleicht freudianisch, ist aber gar nicht so gemeint. Denn Michael Koch scheint auch der Frage nachzugehen, wie nah der Mensch am Tier ist und wie das Verhältnis zu sich selbst und dem Außen aufgebaut ist.

Er hilft dem Bauern dabei, seine Kühe durch einen Zuchtbullen besamen zu lassen. Eine solche Szene spart Koch bewusst nicht aus, zeigt die Gewalt dahinter. Der Akt der Besamung ist Gang und Gebe auf einem Bauernhof, doch in Drii Winter vermittelt er den Betrachtenden durchaus den Eindruck, hier einem Akt der Gewalt, einem Akt der Grenzüberschreitung beizuwohnen. Dieses Verhältnis erzeugt Spannung und auch viele Fragen. Denn Drii Winter scheint das Gleichnis in die Geschichte um Anna und Marco einweben zu wollen. Bedingt durch seinen Hirntumor, verhält sich Marco immer irrationaler und überschreitet schließlich selbst körperliche Grenzen, was das Leben des Paares zerrüttet.

Wohin mit der Handlung?

Dabei wird das Drama wie eine griechische Tragödie von einem Chor begleitet, der vor wuchtigen Alpenkulissen die Geschehnisse singend kommentiert. Das wirkt aufgezogen und passt doch rein, denn Kochs Film bietet den Stoff dafür. Aber als ob das nicht genügt, findet sich ein indisches Filmteam in den Bergen wieder, das ebenfalls einen Liebesfilm dreht. Dieser Einschub á la Bollywood soll vermutlich die Sehnsucht nach der Leichtigkeit der Liebe symbolisieren. Das ist auf der Leinwand zwar schön anzusehen, und soll vermutlich ein wenig Ironie in die Handlung tragen, aber gleichzeitig zeigt es die große Schwäche des Films auf: Die Gewalt des Stoffes droht unter der Erzählweise auszufransen.

Denn Michael Koch will mit Drii Winter sehr viel erzählen. Die Liebesgeschichte zwischen Anna und Marco beschreibt das brüchige Verhältnis von Menschen und Natur, es beschreibt die Kraft von Nähe und Verbindlichkeit und auch wohin diese führen kann. Bei all dem geht die eigentliche Frage fast verloren: Wie viel hält die Liebe eigentlich aus?


Foto: Armin Dierolg/ hugofilm