Geschrieben von Angela Schuberth
Berlin, 10. Februar 2014
Wo war der französische Schriftsteller Michel Houellebecq im September 2011? Damals war der Skandalautor – er machte sich nicht zuletzt einen Namen durch islamophobe Aussagen und stark sexualisierte Passagen in seinen Romanen – für einige Tage nicht auffindbar. Die Presse rätselte über seinen Verbleib: Hatten Islamisten ihn geschnappt, weil er sagte „die dümmste Religion ist der Islam?“ War ihm der Trubel um seine Person zu viel, brauchte er einfach einige Tage eine Auszeit? Hatte er sich umgebracht? Houellebecq äußerte sich später nie über sein geheimnisvolles Verschwinden. Stattdessen spielt er sich nun im Film „L’enlèvement de Michel Houellebecq“, was so viel wie „Die Entführung des Michel Houllebecq“ bedeutet, unter Regie von Guillaume Nicloux, selbst.
Das Verhältnis zur Wahrheit bleibt dabei stets ungeklärt. Den Film als kuriose Kidnapping-Story abzustempeln, die man nicht wirklich ernst nehmen kann, ist nicht so leicht, wie die absurde Handlungskonstellation zunächst vermuten lässt: Der Schriftsteller Michel Houellebecq, ein in den ersten Szenen eher trottelig wirkender Mann mit leichtem Überbiss, wird von drei bulligen, teilweise cholerischen, aber eigentlich freundlichen Männern überwältigt, „sanft“ in eine Metallkiste gesperrt und im Kofferraum aus Paris wegtransportiert. Auf einem abgelegenen Landsitz führt er dann tiefsinnige Gespräche mit den Kidnappern: Während er ein Wurstbrot verspeist, gibt er auf neugierige Nachfrage eines passionierten Boxers poetologische Überlegungen zu den Bedingungen, die ein Alexandriner-Reim an den Autor stellt, zum Besten. („Gar keine“, seiner Meinung nach.) „Mir scheint, als hättet ihr keinen Plan“, macht er die Entführer auf ihr unorganisiert wirkendes Auftreten aufmerksam.
„Wer soll schon für mich zahlen?“ fragt er sich zweifelnd, als er nach einigen Tagen immer noch nicht gehen darf. „Hollande wird mit Freude zahlen“, beruhigen ihn die netten Entführer, die Houellebecq in die Geheimnisse des Kampfsports Krav Magna einweihen: Der schmächtige Literat wird begraben unter einem massigen Mann – eine komödiantische Einlage. Ansonsten verhindert Houellebecqs ruhige Überlegenheit und sein tendenziell traurig-ernster Blick albernen Slapstick, selbst wenn das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Milieus skurril wirkt: Theoretische Abhandlungen über die Existenz der polnischen Identität die, wie Houellebecq sagt, nicht existiert, wird mit einem strikten „Aber Polen existiert doch!“ quittiert. Der Boxer präsentiert dem Schriftsteller seine Brustmuskeln, zuckt mit diesen. „Das ist lustig“, stellt Houellebecq ernst fest. Das altbekannte Stockholm-Syndrom stellt sich ein. Es ist ein gutes Zeichen, findet Houellebecq, dass seine Entführer ihm keine Maske aufgesetzt haben. In Büchern sei das immer ein Zeichen dafür, dass sie das Opfer töten wollten. Die Entführer lachen mit ihm: „Nimm nicht zu ernst, was geschrieben ist“, sagen sie. Am Ende wird der Schriftsteller dann doch wieder freigelassen. Irgendjemand hatte das Lösegeld gezahlt. In der Schlussszene läuft klassische Klaviermusik, und Michel Houellebecq braust neben seinem Entführer im Auto sitzend mit Tempo 220 über die Autobahn.
„L’enlèvement de Michel Houellebecq“ imitiert nicht den Stil eines fiktiven Dokumentarfilms, sondern integriert groteske Elemente in ein plausibles Szenario, sodass die Grenzen zwischen Glaubwürdigkeit und ironischer Selbstinszenierung verschwimmen. So könnte es gewesen sein, oder auch nicht, wer weiß das schon? Wahrheit ist im Film nichts wert, es geht um die Unterhaltung. Diesen Anspruch löst „L’enlèvement de Michel Houellebecq“ ein.
„L’enlèvement de Michel Houellebecq“
Frankreich 2014
Regie: Guillaume Nicloux
Darsteller: Michel Houellebecq, Mathieu Nicourt, Maxime Lefrançois, Françoise Lebrun
92 min.