In ihrem Debütfilm erkunden die Esiri-Brüder die nigerianische Metropole Lagos anhand zweier Einzelschicksale und erzählen eine Geschichte von Abhängigkeit und Freiheit. 

Den Filmen der für ihr gemächliches Tempo bekannten Forum-Sektion gelingt es dann am besten, uns in ihren Bann zu schlagen, wenn charaktergetriebene Dringlichkeit und narrative Eleganz zusammenfinden. Wo sich bedauerlicherweise viele Filme in einer sinnentleerten Sinnsuche verlieren, wo Form und Inhalt selten harmonieren, wo es den Filmemacher*innen zu selten gelingt, ihre Drehbuchfiguren in dreidimensionale Charaktere zu übersetzen, da kann ein Film wie Eyimofe gar nicht anders, als herauszuragen. Auf wunderschönem Super-16-Film erzählt das Regiegespann Arie Esiri und Chuko Esiri eine Geschichte um das Sehnen nach Selbstbestimmung, das immer wieder in einer neuen Form von Abhängigkeit mündet.

In der nigerianischen Hafenstadt Lagos lernen wir den Elektroingenieur Mofe (Jude Akuwudike, Beasts of No Nation) kennen, der unter prekären Verhältnissen seiner Arbeit nachgeht. Ein Schild an der Wand, wonach die besten Sicherheitswerkzeuge sichere Arbeiter seien, beweist sich schon nach wenigen Minuten als Farce. Die freistehenden Sicherungen, mit deren Drahtgeflechten sich der Autodidakt Mofe noch am besten zurechtfindet, was ihn indes nicht vor regelmäßigen Stromschlägen schützt, könnten kaum weniger mit der Vorstellung eines sicheren Arbeitsumfeld korrespondieren. Geschlagen mit einer familiären Tragödie, die insbesondere im Bruch mit dem Vater mündet, brennen Mofe nach einem weiteren Stromschlag auf Arbeit wortwörtlich die Sicherungen durch, als sich all seine Wut an der Elektroschaltzentrale entlädt. Alle Verbindungen bis auf jene zu seinem treuen Azubi Wisdom (Fortune Nwafor) kappend, macht er sich in einer winzigen Werkstatt selbständig.

In selbiger Werkstatt landet eines Tages auch der Kühlschrank Rosas (Temi Ami-Williams), der zweiten Protagonistin dieser Geschichte. Rosa arbeitet in einem Friseursalon, doch da ihr Verdienst nicht ausreicht, um sich und ihre kleine Schwester Grace (Cynthia Ebijie), ihrer wichtigsten Bezugsperson, über Wasser zu halten, sehen wir sie auch ab und zu hinterm Tresen einer Bar arbeiten. Dass Grace schwanger geht, macht ihrer beider Leben indes nicht einfacher; jede weitere Behandlung der Schwester bedeutet ein neues finanzielles Loch, das es zu stopfen gilt. Als der US-Amerikaner Peter (Jacob Alexander) eines Tages an den Tresen tritt und ihr schöne Augen macht, verspricht ihr Leben eine kleine Wendung zu nehmen. Und doch könnte sich womöglich nicht einmal Grace die Frage selbst beantworten, ob es nur Peter ist oder das Leben, das dieser verkörpert, in das sie sich verliebt.

Eine Bitte um Geld, so heißt es schon bei Flaubert und seiner Madame Bovary, sei von all den Stürmen, die über die Liebe herzögen, die kälteste, schließlich besäßen seine Böen die Kraft, der Liebe die Wurzeln auszureißen. Präzise beobachten die Zwillingsbrüder Arie Esiri und Chuko Esiri in ihrem Debütfilm, wie zwischenmenschliche Beziehungen in der Hafenstadt Lagos immer erst auf eine Berechnung des ökonomischen Nutzens folgen können, und wie es für jene endet, die sich von dieser Frage freizumachen versuchen. Ohne es dezidiert anzusprechen, thematisieren die Esiris auch die divergierende Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern. Während sich Mofe irgendwie auf dem freien Markt zu behaupten weiß, taumelt Rosa von einem Abhängigkeitsverhältnis in das nächste. Ganz so wie in einem alten 2-D-Videospiel kann sie nicht über die Richtung ihrer Reise entscheiden, sondern lediglich darüber, wann sie die Konfrontation sucht und wann es besser ist, sich wegzuducken.

Eyimofe
Jude Akuwudike in Eyimofe. © Eyimofe LLC

In einem Interview gibt das Brüderpaar an, sich in ihrer Darstellung des pulsierenden Lagos’ an Inszenierungen von Regie-Größen wie Robert Altmann oder Edward Yang orientiert zu haben. Die Abgänger der New Yorker Elite-Universitäten NYU und Columbia bebildern uns eine Metropole, in der in der Vergangenheit die rasanten wirtschaftlichen Entwicklungen nur zu selten Hand in Hand mit sozialpolitischem und infrastrukturellen Fortschritt gegangen sind, und es ist diese vernarbte Struktur von Wachstumsstreifen, aus dem sich beide Hauptfiguren befreien wollen. Spanien spukt bei dem einen, Italien bei der anderen im Kopf herum, Sehnsuchtsorte, die angesichts der Mühen, die bereits ein VISA-Antrag mit sich zieht, zunehmend unerreichbar erscheinen. Viel zu präsent ist da Lagos mit seinen Radiomeldungen über neue Korruptionsvorfälle in der Politik, den täglichen Stromausfällen, die so normal sind, dass man im Gespräch nicht einmal mehr inne hält. So präsent ist Lagos, dass die Esiris die Megacity gar zur dritten Protagonistin kühren. Umso bitterer ist da Mofes Urteil, als er wieder einmal mit einer Maschine zugange ist und nüchtern feststellt, dass es nicht die Maschine ist, an der es hapert – es ist der Treibstoff.

Je länger man über diese Metaphorik nachdenkt, umso stärker schlägt die allgemeine Bitterkeit in Verbitterung um. Was Eyimofe im Angesicht dessen so herausragen lässt, ist der Unwillen, seine Figuren in ihren Umständen ersticken zu lassen. Mögen Mofe und Rosa in ihren unterschiedlichen Situationen auch stets in eine jeweilige Richtung gedrängt werden, gibt es da doch noch immer den menschlichen Faktor, der einen Konflikt auch immer als Chance begreift und uns — irgendwie — hoffen lässt.

Eyimofe

Regisseure: Arie Esiri und Chuko Esiri

Filmlänge: 116min

Produktionsland: Nigeria