In Berlin sind unkommerzielle Räume selten geworden. Hohe Mieten gefährden viele Projekte. Das Breakout Non-Profit Café in der Kreuzberger Bergmannstraße hält sich jedoch im Kiez. Hier arbeiten die Betreiber mit geflüchteten Menschen Hand in Hand.
Während ich an meinem Cappuccino aus fair gehandelten kolumbianischen Bohnen nippe, eröffnet sich mir eine Welt der Erinnerungen gleich derer in dessen Strudel Marcel Proust dank einer Madeleine gerät.
Im Spätsommer letzten Jahres finde ich mich im Sozialen Non-Profit Café in Kreuzberg wieder. Der Mann, den ich Monate später interviewen werden sollte, schenkt mir ein warmherziges Lächeln und schneidet vom Rest des mit Basilikum verfeinerten Schokoladenkuchens ein Stück für mich ab. Sicherlich hätte es noch für zwei gereicht. Doch wichtiger schien es, mich, der die Liebe für Schokolade wohl ins Gesicht geschrieben stand, glücklich zu machen.
Profitieren kann er von meinem schüchternen Lächeln wohl kaum. Mit der Gabel im Mund denke ich: dass muss Non-Profit sein und oh man, wie lecker ist dieser Kuchen. Die Sonne wärmt mir den Rücken. Im Café ist es rappelvoll, weshalb mich meine Füße in den lichtdurchfluteten Hinterhof und auf die Sommerterrasse tragen.
Aus dem Strudel der Erinnerung auftauchend nehmen meine Blicke von der ausgebauten Fensterbank, auf der ich Platz gefunden habe, ihren Weg durch den Raum – die weißen Wände sowie das hellere Holz des im Stile der Moderne schlicht gehaltenen Mobiliars verleihen ihm Größe. Hängen bleiben sie an dem amerikanischen Wagen der in den 60er Jahren heißbegehrten Automarke Plymouth, dessen Scheinwerfer von oben herab der Neugierde der Gäste sowie ihren schnell gezückten Smartphones standhalten.
Trotz der Termindichte wirkt der Sozialarbeiter mit Teilanstellung als Pastor nicht abgehetzt. Eigentlich auf dem Sprung, schenkt er mir ein offenes Lächeln. Das Ganze zu planen und zu organisieren, so Jonathan über die Anfänge, die das Non-Profit Projekt Mitte April 2018 nahm, sei nur zu zweit zu bewerkstelligen gewesen. Jonathan als auch Luise – eine Sozialarbeiterin, die seit 2011 mit der Kinder- und Jugendeinrichtung breakout unterwegs ist – betreiben das Non-Profit Café mitten im Bergmannkiez neben der Sozialarbeit her.
Breakout Non-Profit Café: „Wir sind das Gründungsduo“
Im Plausch mit Hamid erfahre ich, dass Jonathan mit der Idee, ein Café auf die Beine zu stellen, auf ihn zukam und um seine Hilfe bat. „Ich bin der Erste gewesen“, schon beim Malern und Möbel aussuchen war er dabei. Ein seichter Blues untermalt unser Gespräch. Hamid wippt im Takt. Es nimmt ihm einen Teil der Aufregung, die in Perlen von seiner Stirn rinnt. Hamid war von Anfang an nicht unbedingt begeistert davon, mit mir ein Interview zu führen. Liebevoll streicht er an diesem ruhigen Donnerstagmorgen über den Tisch. In seinem Zuhause, einem Asylheim an der Ullsteinstraße, darf er nichts verändern – keine Wand streichen, kein Möbelstück selbst aussuchen.
Hamid migrierte vor ein paar Jahren nach Deutschland. Im Iran hatte er als Schweißer sein Geld verdient, Metallbau sei etwas komplett anderes. Barista oder wieder Schweißer? – er würde sich niemals mehr umentscheiden. „Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe, würde ich gern weiterhin im breakout Café arbeiten.“ Aus seinem Inneren kommt dieser Wunsch, Jonathan hält ihn hier nicht fest. Er gibt dem 39-jährigen eine Möglichkeit, beruflich noch Fuß zu fassen. Denn es wäre beschönigend, den Geflüchteten zu suggerieren, sie könnten alle noch Ärzte und Ingenieure werden. Anders stehe es um die beschäftigten Jugendlichen, in denen Jonathan das Potential sieht, mehr als eine gastronomische Ausbildung erreichen zu können.
Jonathan und Luise machten auch Hamid schon früh klar, dass sie nur Leute einstellen, die keine Faxen anstellen und geschickt sind: „Im Rahmen des Cafés können wir ernste Anforderungen an das Team stellen.“ Doch kannten sie Hamid zu beginn nicht gut. Im Café fing er vorerst ehrenamtlich an, da die größte Hürde darin bestand, eine Arbeitsgenehmigung für ihn aufzutreiben.
Etwas leisten für den Kiez
Dabei unterstütze Jonathan Hamid, währenddessen dieser in seinem kleinen Zimmer saß, das genau genommen gar nicht seines ist. Er muss es sich mit einem anderen Mann teilen. Probleme entstehen immer dann, wenn er schlafen möchte und der andere nicht. Gestern habe Jonathan gesagt, er wolle eine Wohnung für ihn finden – Hamid selbst habe nicht um Hilfe gebeten. In meiner Gegenwart betont er: „Ich hatte lange nach etwas gesucht, doch nichts hatte sich ergeben.“
Es wirkt, als würden die Strukturen ihn ausgrenzen. Vor anderthalb Monaten fing er eine Ausbildung zur Fachkraft im Gastgewerbe an – drei Wochen Praxis, eine Woche Schule. Nach acht Stunden auf den Beinen im Café ist er meist müde. Ein dumpfer Schmerz im Rücken erinnert an sein vergangenes Leben. Die Erschöpfung, die er jetzt spürt, ist eine zufriedene, „denn das Café stärkt den Menschen den Rücken, hier können sie neue Kraft sammeln.“ Mit dem beständigen Drang, etwas tun zu wollen, verfliegt die Zeit.
Die Arbeit im Café würde ihm mehr Spaß bereiten. Auf die Berufsschule habe er langsam keine Lust mehr. Es fällt ihm schwer, alles zu verstehen, vieles muss er sich selbst übersetzen und eigenständig nachholen. Doch sich krankschreiben zu lassen, kommt für ihn nicht in Frage: „Ich will lernen.“ Berufliche Chancengleichheit muss er sich selbst schaffen, er ist derjenige, der seine eigene Integration vorantreiben muss. Mit dem sozialen Café sollte ein Raum für reale Berufsförderung geschaffen werden, die dort ansetzt, wo Menschen durchs Raster fallen.
Jonathan weiß, dass er mit einem Auszubildenden und fünf weiter jungen Menschen in Bezug auf die gesamtgesellschaftlichen Probleme und Herausforderungen nur wenig erreichen kann. Dennoch strahlt er Optimismus aus – wie die hellen Töne sowohl aus der Musikbox als auch an den Wänden des Cafés : „Es ist der Beitrag, den wir leisten können.“
Eine Non-Profit Flamme im Cappuccino
Hamid zaubert mit Leichtigkeit eine Flamme in den Milchschaum des Cappuccinos, jeder Handgriff sitzt. Gerade ärgert er sich, dass das zweite kleine Kunstwerk im Kaffee nicht perfekt geworden ist. Obgleich ihm die deutsche Sprache manchmal den letzten Nerv raubt, plaudert er mit seinen Kunden, zum Beispiel über Cappuccino – auf diesem Gebiet kennt er sich aus. Mehr noch als Jonathan, der nicht viel vom Bedienen einer Kaffeemaschine wisse.
Hamid hatte sich das Gießen über die Plattform YouTube beigebracht. Ein Herz in den Kaffee gießen zu können, hat ihm zwei Monate intensiven Übens abverlangt. Als Omar dann zum Team hinzu stieß, war Hamid sein Lehrer. Er brachte ihm all das bei, was Omar heute über das Handwerk weiß. Unermüdlich half er ihm, egal wie oft jener Fragen stellte. „Seit diesen Anfängen kann ich guten Kaffee machen“, erklärt Omar während er das schmutzige Geschirr abwäscht und lautstark Ray Charles über die Anlage läuft.
Omar beschreibt das Café als einen Ort, an dem man lernt, ohne zu schreiben – mit den Händen, den Kunden*Innen und Kollegen*Innen. Der Standort macht es, dass das Café sich über Wasser hält, vor allem an Zeit stecken sie mehr rein, als sie gewinnen können. Fakt ist: auf der Bergmannstraße eröffnen sich viele kulinarische Pforten. Die Gastronom*innen wechseln aufgrund der hohen Gewerbemieten ständig.
Das breakout Café hat es der Kooperation mit der Kirche zu verdanken, dass man nur für eine relativ geringe Miete aufkommen muss. Viele treten über dessen Schwelle, mit dem Ziel Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen. Ein Mann mittleren Alters verwickelt mich und Omar, die wir hier an einem Nachmittag im Winter noch sitzen, in ein Gespräch. Nun mit dem frisch gebrühten Café Crema in der Hand fragt er nach dem Sozialen des Non-Profit Cafés.
„Ich liebe die Atmosphäre, die Gäste, den Kiez – ich wohne hier“
Das breakout Café sorgt selbst für seine Einbindung und Akzeptanz im Kiez, mit dem Ziel den Zusammenhalt zu stärken. Doch viel Raum steht dafür nicht zur Verfügung. Hamid erlebt es jeden Tag aufs Neue, vor allem nach 16 Uhr. Das Café ist einfach zu klein. „Aus den Ressourcen muss das Optimale herausgeholt werden“, als Organisation müssten sie noch lernen, betont Jonathan. Ernsthafte Gewinne könnten mit einem Café dieser Größe nicht erreicht werden, aber das sei überhaupt nicht notwendig. Dennoch gibt es einen gewissen Zwang zu Effizienz und Wirtschaftlichkeit.
Mindestlöhne müssen nämlich gezahlt werden. Gleichzeitig könnten manche Jugendliche nicht die Leistung erfahrener Gastronomiekräfte erbringen. „Einer Zuweisung vom Jobcenter fehle aber die reale Lebenswelt, der gewisse innere Antrieb des Menschen“, Jonathan befürchtet man würde in eine fremdgesteuerte Maschinerie geraten. Einer Zusammenarbeit mit dem Jobcenter steht er kritisch gegenüber. Der Fokus läge auf dem Beeinflussbaren – die Menschen vor Ort. Auch Künstlern gibt das breakout Raum: Aron Boks, ein junger Berliner Schriftsteller, liest kurz vor Weihnachten aus seinem ersten Werk „Luft nach unten“.
Am Anfang war es Omar egal, was er eines Tages tun würde – „Hauptsache ein Dach über dem Kopf“. Dass er einmal später an der Humboldt Universität Medizin studieren möchte, erzählt er mir über den seichten Blues hinweg. In vielem hat ihn die soziale Unterstützung im breakout bestärkt. Hamid spricht davon, dass sich sein Leben mit dem Café komplett verändert habe. Nicht nur der Blues und Ray Charles haben es ihm angetan. Im Café finden Hamid als auch Omar Anschluss, Menschen, die ihnen auf ihrem Weg unterstützend zur Seite stehen werden. Sie kommen im Kiez und im Berufsleben beieinander an.