Wegen seiner Äußerungen zur US-Wahl und der Erstürmung des Kapitols durch seine Anhänger hat Twitter den scheidenden US-Präsidenten Donald Trump gesperrt. Jetzt fragen sich viele, ob sie eventuell Zeuge eines digitalen Angriffs internationaler Konzerne auf unsere Demokratie geworden sind. Können wir einem online Unternehmen erlauben zu entscheiden, wer sprechen darf und wer nicht?

Bevor wir Twitters Entscheidung, Trumps Account zu löschen, richtig einordnen können sollten wir uns den Unterschied zwischen einem sozialen Netzwerk und älteren Medien wie Zeitung, Fernsehen oder Radio anschauen. Während in einer Zeitung eine Redaktion entscheidet welche Inhalte die Leser*innen zusehen bekommen, kann in sozialen Netzwerken jede*r Teil der Berichterstattung werden. Dabei basiert der Erfolg dieser Netzwerke auf einem Tauschgeschäft, denn wir müssen uns als Gegenleistung für die Nutzung der Plattform Werbung ansehen. Es gilt die alte Weisheit: „Wenn du nichts für das Produkt bezahlst, bist du das Produkt.“

Dass sich mit Hilfe von Werbung aus Aufmerksamkeit Geld machen lässt, ist erstmal nichts neues. Neu ist, wie die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen erlangt wird. Bei einer Zeitung ist das Aufgabe der Redaktion. Sie stellt sich Fragen wie: Was interessiert die Leute? Was ist wichtig? Was könnte wichtig werden? Die Redaktion sorgt dafür, dass das Interessante vom Unwichtigen getrennt wird. Sie gewichtet und ordnet ein. In einem sozialen Netzwerk heißen die Redakteur*innen, die das machen, Algorithmen. Man kann sie sich wie einen persönlichen Animateur vorstellen: Jedes Mal, wenn wir uns auf einem sozialen Netzwerk bewegen, werden von uns Daten gesammelt. Wie viele Sekunden betrachte ich ein Bild, welche Videos klicke ich an, welche anderen Nutzer*innen interessieren mich. Anhand dieser gesammelten Daten können Algorithmen berechnen, welche Inhalte, zu welcher Tageszeit, in welcher Reihenfolge uns dazu veranlassen maximal viel Zeit auf der Plattform zu verbringen.

Schauen wir in eine Zeitung, dann sehen wir ein redaktionell beeinflusstes Spiegelbild der Wirklichkeit. Schauen wir aber in die Timeline eines sozialen Netzwerkes, dann sehen wir vor allem ein Spiegelbild unseres eigenen Verhaltens. Eine permanente Bestätigung der eigenen Weltanschauung, die, wenn’s schlecht läuft, zu einer unumstößlichen und einzigen Wahrheit wird. Dass ein Wahlergebnis gefälscht wurde, glaubt man nicht nur weil ein Präsident das behauptet, man glaubt es, weil man von morgens bis abends mit Tweets, Posts und You-Tube Videos konfrontiert wird in denen Millionen von Menschen genau das zu beweisen scheinen.

Kinder müssen schon in der Schule lernen, wie soziale Netzwerke funktionieren

Die gute Nachricht ist, dass die Leute nicht einfach verrückt geworden sind, sondern sie wurden Opfer der Gewinnmaximierungsstrategien von Konzernen. Dass dies nicht der einzige Grund für die Spaltung der Gesellschaft sein kann ist zweifelsohne korrekt. Fakt ist jedoch, dass soziale Medien durch ihre Funktionsweise Verschwörungstheorien erheblichen Vorschub leisten. Die Frage, ob Twitter eigentlich bestimmen kann wer öffentlich sprechen darf und wer nicht, ist deswegen einerseits falsch gestellt und andererseits reichlich spät. Viel interessanter wäre es zu hinterfragen, ob es eigentlich eine gute Idee ist, einem Konzern zu erlauben, den Zusammenhalt unserer Gesellschaft gegen einen riesigen Haufen von Werbeeinnahmen zu tauschen.

Eine Lösung ist deswegen nicht nur eine Reform der sozialen Netzwerke, sondern vor allem der Schutz der Gesellschaft durch Aufklärung. Kinder müssen schon in der Schule lernen, wie soziale Medien funktionieren, wie sie Verschwörungstheorien erkennen und wie sie sich gegen sie schützen können. Bis diese Generationen von Nutzer*innen jedoch die Mehrheit der Gesellschaft bilden, wird es wohl noch eine Weile dauern.

1 KOMMENTAR

  1. Grenzenloser Individuslismus und gesellschaftliche Verantwortung schließen sich vielleicht aus? Der Text hat mir sehr gut gefallen;)

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