Wie steht’s um die Zukunft der deutschen Literatur? Der open mike 2018 sucht Antworten.
Zum 26. Mal fand im Heimathafens Neukölln der Open Mike des Haus der Poesie statt. Jedes Jahr haben 6 Lektoren die verantwortungsvolle Aufgabe aus über 500 Einsendungen 20 Finalist*Innen zu küren. Mit 7500€ ist der Preis dotiert, der anteilig an die drei Gewinner verteilt wird. Zusätzlich vergibt die taz einen Publikumspreis. Der Open Mike gilt weithin als einer der renommiertesten Preise für junge Literatur in Deutschland und als Gradmesser ihrer Zukunft.
Die ersten Zeilen des Nachmittags “Die Ballade von Schloss Blutenburg” von Caren Jeß nehmen gewissermaßen die beiden Tage des 26. Open Mike im Heimathafen Neukölln vorweg: “Neulich nachts auf Schloss Blutenburg / ich hatte Gespenster erwartet. / Ich hatte blutende Gespenster erwartet. / Doch da war nichts.”
Auf Gespenster ließ sich in der Tat lange warten. Körpersäfte fließen aber zuhauf in den Texten der Jungautoren. Sperma schmeckt wie Salzlakenkäse. Eitriger Wundsaft, Blut an dem sich Egel laben, nur die Gespenster, die bleiben fern.
Die diesjährigen Texte kleben zwar nicht auf dem Boden der Realität, die Verhältnisse ihrer Protagonisten sind aber alles andere als luftig und diesseits transzendenter Erfahrungen. Es sind prekäre Lebensweisen, in denen Liebe und Anerkennung den Personen nie ganz sicher sind.
Menschliche Gefühle und Beweggründe nie ganz verstehen zu können, darin scheint die Melancholie der jungen Autor*Innen zu liegen – wie in der berührenden Erzählung einer Entfremdung und Annäherung eines schwulen Mannes zu seiner Mutter.
Auffällig ist die Professionalität mit der die Nominierten Stimmen und Rhythmus, ganze Gefühlslagen intonieren. In Erinnerung bleibt der Auftritt von Olivia Meyer. Sie trägt ihren Text über eine am Leben verzweifelnde Frau und ihren Ausbruchsversuch mit solch eindringlicher Vehemenz vorträgt, dass der Bewusstseinsstrom der Protagonistin fühlbar wird. Der Text mangelt es indessen etwas an Überraschungen – ein Vorwurf, den sich sogenannte Institutsliteratur, seitdem das Erlernen literarischen Schreibens in Leipzig und Hildesheim institutionalisiert worden ist, ohnehin gefallen lassen muss.
Dagegen bezog Lyriklektor Ulf Stolterfoth vehement Stellung: formale Ausbildung und die Ausbildung einer eigenen subjektiven Stimme schlössen sich nicht aus.
“Mein Körper hat sich jahrelang vorbereitet zu sterben”
Unterschiedlich waren die Stimmen der diesjährigen Kandidaten allemal. Insbesondere die lyrischen Texte waren in ihrer Gestaltung und thematischen Gestaltung höchst abwechslungsreich und qualitativ. Dreimal wurde Lyrik mit einem Preis bedacht wurde.
Die morbiden Sprachbilder von Lara Rüter („mein körper hat sich jahrelang vorbereitet zu sterben“) gehören wie die angesprochene Ballade von Blutenburg in die Reihe der ausgezeichneten Beiträge.
Der Prosagewinnerbeitrag von Yade Yasemin Önder bulimieminiaturen verwebt mehrere Erzähl- und Zeitebenen in einer. Ihre Familiengeschichte verhandelt en passant Pubertätskonflikte und den Hintergrund einer türkischen Einwanderungsfamilie – ohne, dass das Thema zu aufdringlich wird und der Humor zu kurzgerät.
Dass die Lyrik an diesen zwei Tagen stärker im Gedächtnis bleibt, ist auch einer zu unbestimmten Prosa geschuldet.
Zu wenige Texte haben es gewagt, ihrer Geschichte einen roten Faden zu verleihen, der der 15-minütige Lesezeit einen durchgehenden Spannungsbogen geben könnte. Das einige der Prosatexte Bestandteile eines längeren Romanprojektes sein sollen, mag hierfür eine Erklärung sein, aber so funkeln die Texte nicht ausschließlich aus sich selbst heraus, was als Zuhörer schade ist.
Es bleibt trotzdem der Eindruck, verdienstvolle Gewinner beim diesjährigen Open Mike gesehen zu haben. Mehr ist von einem Wettbewerb, der den literarischen Nachwuchs präsentieren möchte, auch nicht zu erwarten.
Für die Gegenwart der jungen Literatur heißt das: Talent ist vorhanden, alles weitere, wie Lektor Stolterfoth zum Abschluss des Wettbewerbs betont, ist Beharrlichkeit. Für die Zukunft heißt das wiederum, dass es sich lohnt neugierig zu bleiben.