Humor und Drama halten sich gekonnt die Waage in einem starken Film über den unglaublichen Überlebenswillen in einem NS-Arbeitslager.
Ein Buch auf Farsi gegen ein Sandwich. Der wohl beste Tausch seines Lebens, denn dieses Buch wird dem Belgier Gilles das Leben retten. Als Jude im 2. Weltkrieg ist er kurz davor von Deutschen Soldaten erschossen zu werden. Mit letztem Lebenswillen behauptet er, Perser und kein Jude zu sein. Beweis dafür sei das Buch in seiner Jacke, auf Farsi geschrieben, welches ein Mann ihm kurz zuvor gegen sein letztes Mahl getauscht hatte. Gilles wird gespielt von Nahuel Perez Biscayart, den einige aus dem französischen AIDS-Drama 120 BPM kennen. Er hat Glück im Unglück, da ein Kommandant einen Perser sucht und ihm so vorerst sein Leben rettet.
Diese furchtbare historische Zeit wird mit kahlen, verlassenen und dennoch schönen Landschaften gezeigt, verschneit und kalt ist es. Die menschenfeindliche Umgebung verschlimmert sich als wir Gilles in ein Arbeitslager irgendwo in Frankreich folgen. Dort erwartet ihn der Obersturmführer Koch (Lars Eidinger), der unbedingt Persisch lernen möchte, da er nach dem Krieg nach Teheran ziehen und dort ein Restaurant eröffnen möchte. Noch absurder wird das ganze als Gilles sich nun Wörter in einer Sprache ausdenken muss, die er gar nicht beherrscht, doch die Lüge ist die einzige Hoffnung noch ein wenig weiterzuleben.
Jeden Tag möchte Koch neue Vokabeln lernen, die er sich penibel auf Karteikärtchen aufschreibt. Und jeden Tag erfindet Gilles neue Wörter, die er an Namen der Gefangenen anlehnt, um sie sich ansatzweise merken zu können. Bald entwickelt sich eine Abhängigkeit zwischen den Männern, die zu sehr vielen lustig-absurden Momenten führt. Ein anderer Soldat (Jonas Nay) ist jedoch darauf geeicht Gilles Lüge aufzudecken und so ist jeder Tag aufs Neue ein Kampf ums Überleben.
Die unglaubliche Kraft dieses Films besteht darin eine Balance zwischen Humor und dramatischen Momenten zu finden, was angesichts der erschütternden Thematik eine echte Herausforderung ist. Außerdem präsentiert uns der Regisseur Vadim Perelman eine Geschichte, die zu verrückt klingt, um wahr zu sein, aber auf wahren Ereignissen basiert und einen völlig neuen Blickwinkel eröffnet. Filme die im 2. Weltkrieg spielen sind wirklich keine Seltenheit, doch dieser schafft es, sich mit einem von Beginn an starkem Narrativ neu anzufühlen.
Mut zur Mehrsprachigkeit
Sprache ist das interessanteste Mittel dieses Films, denn er ist ein Mischmasch aus verschiedenen Einflüssen. Diese mehrsprachige Realität gab es auch schon vor 70 Jahren, wird aber selten so explizit gezeigt. Persian Lessons ist ein wahres europäisches Produkt; eine Verflechtung aus verschiedenen Sprachen und Kulturen, ein Ergebnis der kontinentalen Verbindungen, die im Laufe des 20. Jahrhunderts aufgebaut und zerstört wurden. Gedreht wurde in Weißrussland, mit einem Setting in Frankreich und Text weitestgehend auf Deutsch, dazu kommt noch das ausgedachte Pseudo-Farsi.
Der Regisseur Perelman ist selbst jüdisch und so war es für ihn ein persönliches Anliegen, diesen Film zu drehen. Lars Eidinger bemerkt über seinen Regisseur: „Es ist interessant, dass jemand, der nicht Deutsch ist, diesen Film macht, die Außenperspektive war mir sehr wichtig.” Wie eine nicht-deutsche Crew eine solche unfassbare linguistische und kulturelle Detailtreue inszeniert ist wirklich beeindruckend. Der Schauspieler Lars Eidinger beschreibt die Besonderheit dieses Films auf der Pressekonferenz selbst am passendsten:
„Ehrlich gesagt war der Punkt, der mich am meisten an dem Drehbuch interessiert hat, die Sprache. […] Eines der aufregendsten und bedeutendsten Drehbücher, die ich je gelesen habe. Und ich finde den Umgang mit dem Thema über den Weg der Sprache wichtig, denn es trifft den Kern dessen. Ein Jude sitzt mit einem Nationalsozialisten in einem Raum und sie sprechen eine erfundene Sprache. Das ist das großartigste Bild für das, was Kultur und Sprache überhaupt ist. Man merkt, dass es etwas menschengemachtes ist und dass man Menschen für etwas verurteilt, was man selber erfunden hat und tut so als wäre es etwas naturgegebenes. Das finde ich künstlerisch wahnsinnig interessant.”
Beinahe alles kann also erlernt werden, wie auch der Hauptdarsteller Nahuel Perez Biscayart beweist, dessen Muttersprache Spanisch ist und der für diesen Film Deutsch, Französisch und ‘Farsi’ trainierte. Die Szenen, in denen er und Lars Eidinger ganze Konversationen in einer erfundenen Sprache führen, gehören sicherlich jetzt schon zu den außergewöhnlichsten Szenen des Jahres. Ausgedacht heißt jedoch längst nicht sinnlos. Perelman verriet, dass in Zusammenarbeit mit einem Linguisten extra für diesen Film ein 600 Wörter umfassender Wortschatz und eine funktionierende Grammatik erarbeitet wurde. Vielleicht steht hier ja die nächste große Sprachentdeckung nach Klingonisch bevor.
Die Grausamkeit des Alltags
Trotz all den absurden comic relief Momenten bleibt dies ein Film in einem NS-Arbeitslager, der sich nicht vor visuell harten Bildern scheut sowie der emotional erschöpfenden Permanenz der Angst. Auf der anderen Seite zeigt Persian Lessons Nationalsozialisten als Menschen die lieben, streiten, essen und Intrigen spinnen. Sie werden nicht wie so häufig in amerikanischen Filmen als reine Monster gezeigt, eher wird der Kontrast zwischen den furchtbaren, mörderischen Aktionen und der Banalität ihres Alltags hervorgehoben.
Diese Gratwanderung könnte schiefgehen, doch schafft es der Film eine plausible Realität zu spiegeln, die sehr selten auf der Leinwand zu sehen ist. Auch Nebencharaktere, wie der Deutsche Soldat, perfekt gespielt von Jonas Nay, erheben den Film zu einer Gesamtleistung, die nicht nur auf einzelnen Schauspielern ruht.
Es gibt für mich wenig an Persian Lessons zu kritisieren, denn er ist einer der interessantesten deutschsprachigen Filme der letzten Jahre und einer der Besten über den 2. Weltkrieg. Sehr gut geschriebene Dialoge, ein starkes Szenenbild und grandiose schauspielerische Leistungen sind klare Highlights. Ein unerwarteter Film, denn auch das Ende bietet einen hoffnungsvollen Ausgang, der zunächst gänzlich unmöglich erschien. Mit einem lachenden und weinendem Auge verlässt man den Saal, denn über diese zwei Stunden wird man noch lange nachdenken.
Regisseur: Vadim Perelman
Filmlänge: 127min
Produktionsländer: Russland, Deutschland, Weißrussland
Kinostart in Deutschland: 7. Mai 2020
(Foto: Persian Lessons © HYPE FILM)