Immer mehr Menschen suchen nach einem Weg, mit sich und der Außenwelt ins Reine zu kommen. Eine Pädagogin und eine Yogalehrerin erzählen von ihren Methoden und Erfahrungen.
Wo noch vor kurzem der Glaube vorherrschte, dass vier unbezahlte Praktika, ein Master und zehn Jahre Praxiserfahrung nötig sind, um besser fürs Leben vorbereitet zu sein, wird jetzt Selbstannahme beschworen – es wimmelt an Yoga-Angeboten, Meditationskursen und Life-Coaches. Das soll Stress für sich und andere reduzieren und ganz nebenbei auch noch Glückseligkeit versprechen. In vielen Bereichen unseres Lebens wird die eigene Ausgeglichenheit allmählich in den Mittelpunkt der Leistungsfrage gestellt.
Achtsamkeits- und Beziehungsmanagement als Lernaufgabe
Auch in der Erziehungswissenschaft scheinen die Themen „Selbstannahme“ und „Ausgleich“ an Relevanz zu gewinnen. Beate Nedel arbeitet als Pädagogin an der Professional School of Education der Humboldt-Universität zu Berlin. Zusammen mit ihrem Team organisiert und leitet sie Kurse, in denen Lehramtsstudent*innen und Lehrer*innen sich auf den Schulalltag vorbereiten. Hier soll nicht die Frustrationstoleranz des zukünftigen Lehrpersonals gefestigt, sondern ein gleichwertiges Miteinander jenseits der Bewertungskategorien von Gut und Böse vermittelt werden.
„Achtsamkeit und Beziehungskompetenz im Lehramt als Beruf heißt, ich bin in der Lage gleichwürdige Kommunikation zu führen“. Das hieße, dass alle die gleiche Würde haben und den gleichen Respekt verdienen. Autoritäten gebe es trotzdem noch: „Ich kann und muss die Führungsrolle übernehmen. Aber das heißt nicht, dass ich die Schüler*innen herabsetze und klein mache“, sagt die Pädagogin. Durch die fortschreitende Digitalisierung und Individualisierung muss das Zwischenmenschliche laut Ihrer Auffassung auch neu gedacht werden – und das fängt auf der Schulbank an. Frau Nedel geht davon aus, dass uns allein der Umgang untereinander in den kommenden Jahrhunderten noch menschlich sein lässt. Herz, Geist und eine gute Atemtechnik, bilde dafür die Grundlage, so Nedel.
Eine solche zeitgemäße Pädagogik solle in Ergänzung zu der Erweiterung fachlicher Fähigkeiten eingesetzt werden. Damit Lehrpersonen auf diese Weise erfolgreich im Klassenraum arbeiten können, müssen sie zuerst mit sich selbst im Reinen sein. Ein Schlüssel für eine gelungene Kommunikation sei der respektvolle Umgang des Lehrpersonals mit sich selbst.
Wenn die Frage nach dem gut oder schlecht verschwindet
Außerhalb der Schulpädagogik sucht der Mensch nach anderen Strategien, die teils auf Entspannung und Erfahrbarkeit ruhen. Der Effekt überrascht jedoch, denn ab einem bestimmten Punkt scheint das Bewusstsein die Frage nach dem besseren Miteinander nicht mehr zu stellen. Marion Brings lehrt Hatha Yoga der Pranayoga Methode, in Berlin-Wedding.
Sie sitzt in einem beinahe leeren Raum auf einer Matte, die Beine verschränkt und sagt beiläufig, es hätte 25 Jahre gebraucht, um Yoga regelmäßig praktizieren zu können. Als sie anfing, gab es noch kaum ein professionelles Yogastudio. Dass sie auch lehren wolle, habe sie während einer dreijährigen Ausbildung immer stärker wahrgenommen. Sie möchte jenen Menschen einen Raum geben, die Yoga erfahren möchten, denn „lernen“ könne man es schon mal nicht. Zwar leitet sie die Menschen physisch in ihren Stunden an, zwinge sie aber nicht zu einer bestimmten Erkenntnis.
Der Trend zum Yoga hat Berlin schon vor einer ganzen Weile erreicht. „Darüber wird hier aber gar nicht gesprochen“, sagt Brings. Ob sich die Leute in ihren Kursen selber begegnen wollten, sei auch nicht wirklich zu beantworten. „Die Motivation zur Teilnahme kenne ich nicht“, sagt die Yoga-Lehrerin.
„Die Frage, was ein guter Mensch ist, interessiert mich überhaupt nicht“
Wenn man durch eine yogische Erfahrung überhaupt von einem „Effekt“ ausgehen könne, müsse man laut Brings die inneren Prozesse beschreiben. Eine plötzliche Epiphanie könne man nicht erwarten, wohl aber ein gesteigertes Bewusstsein seinen eigenen Bedürfnissen gegenüber. „Die Außenwelt begegnet mir anders, seitdem ich mich verändert habe“, sagt Marion Brings. Dabei sei ihr aufgefallen, dass sie sich viel weniger mit ihrem Ego identifiziere. Ihr gehe es nicht darum, herauszufinden, was einen besseren Menschen ausmache: „Die Frage, was ein guter Mensch ist, kann ich überhaupt nicht beantworten, sie interessiert mich überhaupt nicht.“
Viel wichtiger sei es, sich selbst und anderen einen Raum zu schaffen, in dem Erfahrungen möglich werden. Die yogische Erfahrung bleibe ausschließlich persönlich. Sie habe begriffen, welche Verantwortung damit einhergehe, einen solchen Raum zu schaffen, in dem den Teilnehmern keine Weltanschauung und kein Gefühl aufgezwungen werden. Die darin gemachten Erfahrungen könnten dabei sehr intim sein.
Die Yoga-Praxis habe Brings geholfen, mit Emotionen anders umzugehen. So könne die Yogalehrerin etwa das Gefühl von Wut ohne einen destruktiven Charakter nach außen tragen. Sie unterdrücke diese nicht mehr und bemühe sich, dieser Wut auch eine Stimme zu geben, die niemandem schadet. „Wir haben alle ein Zusammenleben zu organisieren. Man muss sich an bestimmte Regeln halten, aber ich bin vor allem mir selbst verpflichtet, in dem Sinne, dass ich mir und anderen nicht schade“.