Ich habe zwei große Leidenschaften: Männer und Feminismus. In den letzten zwei Jahren habe ich meine beiden liebsten Freizeitbeschäftigungen in einer Art Feldstudie vereint, mich mit 21 Männern getroffen und dabei gemerkt, dass ich beim Dating irgendwie manchmal vergesse, dass ich eigentlich Feministin bin.

Ich bin zwei Jahre jünger als heute, in Sachen Dating um 21 Männer und in Sachen Feminismus um viele Gespräche, Bücher und Gedanken unerfahrener. Es ist Februar 2019, alle um mich herum sind im Online-Dating-Fieber und ich bin auf der Suche nach ein bisschen Aufregung, Spannung und Kribbeln. Also lade ich mir Tinder herunter, fange an zu wischen und matche Paul*. Dann warte ich, dass er schreibt, eine Alternative kommt mir nicht in den Sinn. Der erste Liebesbrief von Paul: Ein GIF mit einem winkenden Panda. Wir verabreden uns in einer Bar, landen irgendwann im Club und haben viel Spaß. Auf Augenhöhe.

Die zwei Dates, die wir danach haben, sind unspektakulär, aber wir verstehen uns gut. Vor allem aber verändert sich langsam die Dynamik zwischen uns: Paul ist ein normschöner Typ, der morgens sein Rennrad aus der Altbau-Wohnung in Berlin Mitte trägt, ins Büro fährt und erst spät abends, nachdem er noch irgendeinem kosmopolitischen, extrem individuellen Hobby nachgehen musste, nach Hause kommt. Hab’ ich ein Glück, dass ich so jemanden daten darf. Dass ich das denke, weiß auch Paul.

Irgendwann bricht der Kontakt ab, weil er sich nicht mehr meldet. Und ich? Schreibe natürlich auch nicht. “Wenn er wollte, würde er.” Ich weiß nicht mehr, wo ich dieses Spruch her habe. Ob ich ihn irgendwo gehört oder gelesen oder selbst gedacht habe, jedenfalls sitzt er so tief (und das bis heute), dass ich im Februar 2019 nicht mal darüber nachdenke, mich selbst bei Paul zu melden. Stattdessen: Stundenlange Analysen mit Freundinnen. Während Paul mit seinen Freund*innen über Politik spricht, spreche ich mit meinen über Paul.

Die Ratschläge meiner Freundinnen sind getränkt von ihren eigenen Erfahrungen und den gleichen Rollenbildern, die ihnen, genau wie mir, seit über 20 Jahren eingeflößt werden. Meine Freundinnen zeigen Catcallern den Mittelfinger, gendern (und wissen vor allem auch warum), gehen auf Demos und natürlich ist es ihnen egal, wer zahlt. Sobald es aber um einen Mann geht, von dem wir uns wünschen, dass unser Interesse auf Gegenseitigkeit beruht, können wir uns alle nicht von der heteronormativen Vorstellung davon, wie wir uns zu verhalten haben, um gut anzukommen, lösen. Also raten meine Freundinnen: “Lauf ihm nicht hinterher.” Antifeministische Dating-Regel Nummer eins: Bloß nicht zu aktiv werden, und das obwohl oder gerade weil ich ihn so gut finde.

Zwei Monate später, als ich ihn fast vergessen habe, erscheint Pauls Name plötzlich wieder auf meinem Sperrbildschirm. Wir treffen uns noch ein paar Mal. Die Kommunikation mit ihm ist zäh, manchmal antwortet er zwei Tage nicht. Da ich aber in Kategorien denke und er nach dieser Rechnung eine Liga über mir ist, heißt es: Bloß keine Vorwürfe machen, bloß keine Forderungen stellen. Alles easy.

Nach jedem unserer Dates frage ich mich, wie er es und vor allem mich wohl fand und gehe jedes Detail nochmal durch. Ich denke gar nicht darüber nach, wie ich das alles überhaupt finde. Wie selbstverständlich entwickelt sich eine Dynamik zwischen uns, in der Paul sich zurücklehnt und ich mich bemühe, es ihm bequem zu machen, indem ich versuche, den Teil von mir zu verstecken, von dem ich denke, dass er Paul zu viel, zu laut, zu anspruchsvoll oder (mein Lieblingsadjektiv) zu zickig wäre. Unbewusst, manchmal aber auch sehr bewusst, beuge ich mich so, um Paul zu gefallen, den heteronormativen Rollenklischees, gegen die ich mich außerhalb unserer Date-Blase so vehement wehre.

Nach drei Monaten mit Paul fällt mir dann doch irgendwann auf, dass das zwischen uns ganz und gar nicht mehr auf Augenhöhe stattfindet. Weil er es dank seines Genders nicht anders gewohnt ist, hat Paul sich in unserer Beziehung wie in allen Bereichen seines Lebens ohne nachzudenken und ganz selbstverständlich so verhalten, wie es für ihn gepasst hat und sich den Raum genommen, den er wollte. Ich habe mich da positioniert, wo er eben gerade Platz gelassen hat.

Obwohl ich mir dieses Verhaltens bewusst bin, muss ich mich immer wieder aktiv daran erinnern, im Dating den Raum einzunehmen, den ich einnehmen möchte. Besonders wenn Emotionen ins Spiel kommen und ich nicht mehr rational sein kann, passiert es mir manchmal, dass ich mich auf Altbekanntes verlasse und vergesse, dass ich mich nicht nach irgendwelchen Gendernormen verhalten muss, um meinem männlichen Gegenüber zu gefallen. Dieses ständige aktive Reflektieren des eigenen Handelns und das Aushandeln der eigenen Position ist emotionale Arbeit, die oft sehr anstrengend ist. Und natürlich sind auch meine männlichen Gegenüber mit internalisierten Rollenbildern konfrontiert. Der Unterschied ist aber, dass sich für sie nicht die Frage stellt, ab wann die Grenze nach oben hin erreicht ist, ab der sie sich, um nicht zu viel oder zu stark zu sein, zurücknehmen müssen.

Dass es sich hierbei um ein strukturelles Problem handelt, das auf beiden Seiten so viel tiefer geht, als dass es mit der Frage, wer zahlt oder wer zuerst schreibt, geklärt wäre, merke ich bis heute immer wieder.

Bei einem meiner letzten Dates im Herbst 2020 bin ich, ohne nachzudenken, vor dem Typen ins Restaurant gegangen und habe den Kellner nach unserer Reservierung gefragt, anstatt hinter meinem Date zu laufen und ihn sprechen zu lassen. Und das als Frau! Meinem Date jedenfalls ist es sehr positiv aufgefallen, wie er mir später erzählt hat. Er hat gesagt, ich wirke “tough”. Weil ich vor ihm ins Restaurant gegangen bin. Nun gut.

Mir jedenfalls ist es gar nicht aufgefallen, wer als erstes ins Restaurant gegangen ist. Und so sollte es ja auch sein. Aber hey, danke für’s Kompliment. Die mögen Frauen ja bekanntlich sehr.


*Name von der Redaktion geändert

Illustration von Isabelle Aust

Alle Texte der Kolumne Tinder vs. Feminismus lest ihr hier.

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