Ich habe zwei große Leidenschaften: Männer und Feminismus. In den letzten zwei Jahren habe ich meine beiden liebsten Freizeitbeschäftigungen in einer Art Feldstudie vereint, mich mit 21 Männern getroffen und dabei gemerkt, dass wir unsere verinnerlichten -ismen nicht automatisch überwinden können, nur weil wir gern würden.

Eigentlich gehört Jonas* gar nicht auf die Liste meiner Tinderdates. Denn während alle anderen zu einer mehr oder weniger homogenen Masse verschwimmen, ist irgendwann aus einem weiteren Match einfach nur Jonas geworden und zumindest eine(r) von uns hat sich verliebt.

Jonas wollte reden, zuhören und verstehen. Wo wir vielleicht besser über uns geredet hätten, haben wir also über Feminismus geredet. Man könnte Jonas vorwerfen, interessiert gewesen zu sein, weil man das aktuell eben zu sein hat und weil er wusste, dass mich das beeindruckt. Trotzdem hat er zugehört, als ich mich über Catcalling aufgeregt habe, und darüber, dass nur „Ich habe einen Freund“ als Nein akzeptiert wird. Er hat nach dem Grund für Pronomen in Instagram-Bios gefragt und auch in den belanglosesten WhatsApp-Nachrichten gegendert. Wir haben über vergangene Tinderdates, die mir die Welt erklären, gelästert und mit ihm zusammen ist die Idee für diese Kolumne gereift. Er hat all das, was ich ihm erklärt habe, verinnerlicht und in unserer Beziehung gab es keine Rollenverteilung. Dachte ich.

Obwohl Jonas sich für Gleichberechtigung eingesetzt hat, konnte er sich im Dating nicht von 30 Jahren patriarchaler Prägung lösen. Während es ihm anfangs, so hat er es zumindest gesagt, egal war, dass ich wenige Zentimeter größer war als er, war es das nach sechs Monaten plötzlich doch nicht mehr. Immer wieder hat er betont, wie selbstbewusst ich sei. Anfangs beeindruckt, später weniger. Und immer mehr ist der „Typ Frau“, auf den er eigentlich steht, deutlich geworden: Klein und zurückhaltend. Als er kurz vor unserer Trennung gesagt hat, er sei eher „Typ Maus“ und ich „Typ Babo“ wusste ich, dass seine Vorstellung davon, wie die Rollen in einer Beziehung verteilt sind, so tief greift, dass sie sich nicht auflöst, nur weil er sich „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay von mir ausleiht. Feminismus bedeutet für Jonas, sich genderneutral auszudrücken und dass er beim Date nicht zahlen muss. Dass seinem „Typ“ eine sexistische Sozialisierung zugrunde liegt, konnte er nicht sehen.

Jonas reflektiert zwar, beobachtet dabei aber mehr andere Männer als sich selbst und bewertet eher die toxische Männlichkeit anderer als seine eigene. Einfach, weil er sie an sich selbst nicht sieht. So hat er die Ansichten, die er vertritt, einfach noch nicht ganz verinnerlicht.

Und selbst wenn er erkennen würde, dass sein „Typ“ anerzogen ist: Worauf er steht, kann er nicht mal eben so ändern. Und auch ich muss mir die Frage stellen, wieso ich mich für so aufgeklärt halte, und trotzdem auf dominante Männer stehe. So kann ich als weiblicher Teil im heterosexuellen Dating hin- und hergerissen sein zwischen den Ratschlägen der sexistisch sozialisierten Stimme und denen der feministischen in meinem Kopf. Genauso können Männer zerrissen sein zwischen dem, was sie sein wollen, und dem, was sie immer noch sind.

Diese ganze Kolumne basiert auf meinen inneren Widersprüchen. Darauf, rational zwar zu erkennen, dass etwas sexistisch ist, sich emotional aber nicht davon lösen zu können. Feminist*Innen dürfen innerlich zerrissen sein, sich selbst hinterfragen und sexistische Muster an sich selbst beobachten. Solange sie es nur tun. Die Fortschritte, die wir in Sachen Gleichberechtigung in den letzten Jahrzehnten gemacht haben, müssen wir als Gesellschaft im Dating noch anzuwenden und zu verorten lernen. Nur indem wir über unsere inneren Widersprüche sprechen, und nicht so tun, als existieren sie nicht, können wir sie überwinden.


*Name von der Redaktion geändert

Illustration von Isabelle Aust

Alle Texte der Kolumne Tinder vs. Feminismus lest ihr hier.