„In der Demokratie endet die Hoffnung nie”, dieses türkische Sprichwort sagte Ferat kurz vor unserem Treffen. Bedeutsame Worte für einen Mann, dessen Leben vom Kampf gegen Rechtsextremismus geprägt ist.

Ferat Kocak, 41 Jahre, geboren in Kreuzberg, ist derzeit stellvertretender Vorsitzender der Linken in Neukölln und arbeitet als Campaigner im Bereich Rechtsextremismus. Er setzt sich seit seiner Jugend mit den Themen Antirassismus und Antifaschismus auseinander und engagiert sich in Bürger*inneninitiativen und sozialen Bewegungen. Seit 2016 sorgt eine bislang unaufgeklärte Anschlagsserie von Rechtsextremisten in seinem Heimatbezirk Neukölln für Aufmerksamkeit. 2018 wurden Kocak und seine Familie selbst Opfer eines rechten Anschlags. Seitdem ist politischer Aktivismus seine Lebensaufgabe: „Mich gibt es nur im Gesamtpaket mit den Nazis.“

Kocaks politisches Interesse begann jedoch viel früher: „Ich bin quasi in der Bibliothek des Otto-Suhr-Instituts aufgewachsen. Meine Eltern haben mir meine Windeln zwischen Büchern von Marx und Engels gewechselt.“ Kocaks Vater war Gewerkschafter in der Türkei, kam vor dem Militärputsch in den 1970er-Jahren nach Deutschland und studierte dann in Berlin Politikwissenschaften. Seine Mutter ist Frauenrechtlerin. Nach dem Abitur wollte auch Kocak Politikwissenschaften studieren. Von ihren Erfahrungen geprägt, waren seine Eltern jedoch dagegen. Sein Vater sah in der Politik eine brotlose Kunst, seine Mutter eine Gefahr. So absolvierte er sein Volkswirtschaftsstudium und arbeitete bei der Allianz. Dort habe er auch verstanden, wie das Wirtschaftssystem funktioniere, gegen das er jetzt Politik mache, sagt Kocak.

2010 veränderte das Buch Deutschland schafft sich ab des ehemaligen SPD-Politikers Thilo Sarrazin Kocaks Leben. Er konnte nicht glauben, wie viel Zuspruch Sarrazin für seine antimuslimischen Thesen bekam und wie tief Rassismus in der deutschen Gesellschaft verankert ist. Erschüttert von dieser Erkenntnis brach Kocak sein Leben in Berlin ab und zog in die Türkei. Doch auch dort bekam er als Deutscher mit kurdischen Wurzeln Rassismus zu spüren. Nach einem Jahr kehrte Kocak zurück und wusste: „Da, wo ich aufgewachsen bin und die Strukturen kenne, wo ich weiß, wie ich etwas verändern kann, da will ich aktiv werden.“

2016 trat er, auch aufgrund des Erstarkens der AfD, der Linkspartei in Neukölln bei. Heute sieht er seine Aufgabe innerhalb der Linken darin, den Bereich Antirassismus und Antifaschismus stärker in die Parteiarbeit zu integrieren und eine Verbindung zu den sozialen Bewegungen zu schaffen. Mit der Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln kandidiert Kocak in diesem Jahr für das Berliner Abgeordnetenhaus.

Kocaks Aktivismus kommt an. Tausende Follower*innen können seine Arbeit und seine persönliche Meinung zu tagespolitischen Themen auf seinen Social Media-Kanälen verfolgen. Dabei überzeugt er mit seiner lockeren, ungezwungenen Art, die kaum der eines „typischen“ Politikers entspricht. Seine mediale Präsenz führt jedoch immer wieder zu Angriffen aus dem rechtsextremen Spektrum. In den vergangenen Monaten erhielt er unter anderem Drohungen des NSU 2.0 sowie von Sympathisant*innen der erst kürzlich verbotenen Sturmbrigade 44. Und auch sein Privatleben kommt oft zu kurz: „Ich arbeite seit dem Anschlag auf mich am Limit meiner Grenzen und überschreite sie. Ich springe von einem Burnout zum nächsten, doch sie haben sich den Falschen ausgesucht. Ihr müsstet mich umbringen, um mich ruhig zu kriegen.“

Der Anschlag, sagt Kocak, ermögliche ihm nicht nur, seine persönliche Geschichte in die Öffentlichkeit zu tragen, sondern auch den politischen Kampf, den er gemeinsam mit anderen Aktivist*innen führe. „Kämpfen ist für mich ein Wort, das Widerstand gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Diskriminierung ausdrückt.“ Und Kocak kämpft – wenn er Veranstaltungen organisiert, an Diskussionsrunden teilnimmt und auf Demonstrationen spricht. Sein rhetorisches Vorbild ist Gregor Gysi: „In der 10. Klasse musste ich im Deutschunterricht eine Rede vorbereiten. Ich habe daraufhin eine Rede von Gysi auf Video aufgenommen, sie mit Mimik und Gestik einstudiert und zum ersten Mal eine Eins in Deutsch bekommen. So wie Gregor Gysi erzähle auch ich gerne persönliche Geschichten, wenn ich über politische Themen rede. Damit hat er mich immer verzaubert. Vielleicht schaffe ich das auch.“


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #256 zum Thema Menschenrechte erschienen. Weitere Beiträge aus dem Heft lest ihr hier.

Foto: Emilia Stroschein