Irgendwann habe ich mal 50 Gründe fürs Laufen aufgeschrieben. Jetzt will ich einen Marathon laufen und keiner scheint mir Grund genug dafür zu sein mich dieser Quälerei hinzugeben. Ich hoffe einfach auf meinem Leidensweg zur erfolgreichen Marathoni 50 Weitere zu entdecken.

Meine Familie – väterlicherseits – ist sehr ehrgeizig. Sehr wettkampflustig und dabei unerträglich perfektionistisch. Das hab ich geerbt und das fand ich auch immer super. Als ich sieben war musste ich für die Bundesjugendspiele 800 Meter in nur knapp drei Minuten laufen. Mein Vater stand mit der verbalen Peitsche hinter mir und brüllte mich regelrecht an jetzt doch endlich mal ein bisschen Tempo zu machen. Einige Mütter wollten schon das Jugendamt rufen – ihnen muss ich bis heute erklären, dass ich den Ansporn durch meinen Vater immer gut fand.

In unserem Ehrgeiz und dem Drang aus allem einen Wettkampf zu machen, tun mein Vater und ich uns nichts. Wir sind uns grundsätzlich sehr ähnlich. Allerdings hat er eine Sache deutlich besser drauf als ich und das ist Disziplin. Als ich diese Zeilen schrieb, bin ich schon eine Weile nicht mehr laufen gewesen – was ungünstig bis ganz schlecht ist, wenn man sich in einer Marathonvorbereitung befinden sollte. Natürlich hatte ich triftige Gründe: Krank, Periode, wieder krank und gelegentlich auch mal einfach keine Zeit.

Solche Phasen sind jetzt allerdings überwunden und trotzdem bekomme ich – sorry – den Arsch nicht hoch. Das ist so ein leidliches Phänomen, dem ich bisher noch bei keiner Sportart aus dem Weg gehen konnte: Man hört für eine Weile auf, die Sportart auszuüben und ist es dann Zeit wieder loszulegen, ist doch keine Ausrede zu albern.

Hier ein paar, die ich in der Vergangenheit schon verwendet habe: Ich bin heute schon mit dem Fahrrad zur Arbeit hin und zurück gefahren – das ist genug Sport. Ich bin jetzt viel zu vollgegessen. Lieber gehe ich jetzt schlafen und dann stehe ich morgen ganz früh auf und gehe laufen (HA, als ob!).

Wenn ich mich dann einmal aufraffe und wieder in Trainingsmodus verfalle, habe ich auch Spaß daran. An dieser Stelle muss man einwerfen, ich mach das nicht nur zum Spaß. Wenn ich laufe, will ich auch gut darin sein – schnell in diesem Fall. Wie gesagt, an ungesundem Ehrgeiz mangelt es mir nicht.

Der Knackpunkt ist aber dahin zu kommen. Mir selbst zu sagen: „Heute gehst du laufen. Wirklich!“ Mich in den Sport-BH zu schnallen, die Schuhe anzuziehen und tatsächlich aus der Haustür zu gehen und loszulaufen. Viel zu bequem ist mein Couch, als das Schritt zwei, drei und weiter auch nur ansatzweise verlockend klingen könnten. Siegt das Sofa und ich gehe nicht, setzt das schlechte Gewissen ein, von dem ich an dieser Stelle erst gar nicht anfangen will zu sprechen.

Irgendwann überwinde ich mich dann aber doch. Oft erst dann, wenn sogar mein Gewissen so frustriert ist, dass es mich am liebsten mit einem meiner Sofakissen ersticken würde. Allerspätestens dann, wenn mein Vater von seinem Training erzählt – er bereitet sich gerade auf seinen zweiten Iron Man vor. Denn die Option schlechter und weniger als mein Vater zu trainieren, lässt mein von ihm geerbter Wettkampfgeist auf gar keinen Fall zu.


Illustration: Jens Jeworutzki