„Warum bist du gekommen, uns zu stören?“, hallt Adolfos markige Stimme durch den Keller. Ich und der Eremite stehen uns angesicht zu angesicht gegenüber – ich bin zugast im Ein-Mann-Theater des Exil-Chilenen Adolfo Assor. 

Mit einer lauernden Bewegung schiebt sich seine gebückte Gestalt, die dann hinter einer schwarzen Mönchskutte verschwindet, vor mich. Mit strafendem Blick sieht er mir in die Augen: „Denn zu stören, bist du gekommen!“ Aus Ofenrohren zusammengebaute Scheinwerfer hüllen den Raum in ein bleiernes Licht. Hier unten, sechs Meter unter der Erde, dringt auch in den Sommermonaten kaum Wärme ein. Zwei Heizkörper kämpfen kläglich darum, dem Moder etwas Behagliches abzugewinnen.

Tatsächlich braucht es ohnehin nicht viel, um das alte Gemäuer als eben jenen Kerker auszuweisen, von dem „Der Großinquisitor“ erzählt: Die Geschichte aus Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ spielt zur Zeit der spanischen Inquisition Ende des 16. Jahrhunderts. Nachdem der greise Großinquisitor am Tag zuvor 100 Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrennen ließ, erscheint Jesus vor der Kathedrale in Sevilla. Erzürnt darüber, dass dessen Wiederkehr sein Werk zunichtemacht, lässt ihn der Kardinal ins Verlies werfen. Während Jesus still bleibt, sinniert der Großinquisitor in einem Monolog darüber, der in Adolfo Assor ein Ebenbild gefunden hat.

Dank einer Einladung des Goethe-Instituts bot sich ihm 1986 die Chance, der chilenischen Diktatur unter Pinochet zu entkommen, woraufhin es ihn letztlich nach Berlin verschlug. Der nunmehr über 70-jährige betreibt das Garn-Theater nahe dem Viktoriapark seit einem Vierteljahrhundert und ist dabei alles in einem: Ticketverkäufer, Bühnenbildner und Schauspieler. Gerade wochentags verirren sich nicht allzu viele Menschen hierher. Platz böte die Ein-Mann-Institution für gut ein Dutzend Besucher, heute sind es gerade einmal vier. Das wiederum macht gerade den Reiz des Exil-Chilenen aus: Assor bespielt die beklemmende Enge höchstselbst. In einem größeren Theater würde seine Wirkung wohl verpuffen, hier jedoch habe ich das Gefühl, selbst auf der Anklagebank der Inquisition zu sitzen.  


Garn-Theater, Katzbachstraße 19
Eintritt, ermäßigt: 9€