Unabhängig von Klasse, Bildungsstand, Alter und Wohnort ist die Gesundheit von Frauen durch häusliche Gewalt gefährdet. Der Mangel an Frauenhäusern lässt viele Schutzsuchende allerdings ins Leere laufen. Über die Unsicherheit im eigenen Zuhause und die Überforderung derer, die helfen wollen.

Fast jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland durch ihren (Ex)Partner, so das Bundesministerium des Innern in seinem letzten Bericht.
In Deutschland wird die Debatte um die Gleichstellung der Geschlechter gerne mit Vorzeigebeispielen wie Angela Merkel erstickt. Eine Frau als Regierungsoberhaupt dient für viele als endgültiger Beweis von Gleichberechtigung und das Patriarchat als abgeschafft, sofern es vorher überhaupt als strukturelle Realität anerkannt wurde.
Die schockierende geschlechtsspezifische Gewalt, die sich gegen die Hälfte unserer Bevölkerung richtet, ist ein Totschlagargument für den Kampf um Gleichberechtigung über leere Argumente hinweg weiterzuführen. Es gilt, lautstark Maßnahmen des Staates zur Einhaltung unserer Grundrechte einzufordern, zu denen wir uns selbst verpflichtet haben.

Gewalt in den eigenen vier Wänden

Das Schreckensbild eines im Schatten verborgenen Mannes, der nachts einer schutzlosen Frau auflauert, ist fest in unseren Köpfen verankert und das, obwohl Gewalt gegen Frauen viel häufiger von Menschen im näheren sozialen Umfeld ausgeübt wird. Vor allem häusliche Gewalt ist ein anhaltendes Kriminalitätsproblem in Deutschland: 2021 wurden der Polizei knapp über 143.000 Fälle gemeldet. Dabei gilt zu beachten, dass sich diese Zahlen auf aktenkundige Meldungen beziehen, wobei Hilfsorganisation wie beispielsweise der Weiße Ring eine Dunkelziffer von mindestens 80 Prozent angibt.
Unsere Strukturen machen es Betroffenen enorm schwer, schnell angemessene Hilfe zu bekommen, denn obwohl sich Deutschland 2017 in der Istanbul-Konvention rechtlich dazu verpflichtet hat, „angemessene personelle und finanzielle Mittel“ zum Schutz gewaltbetroffener Frauen bereitzustellen, bleibt unklar, was sich hinter der vagen Formulierung konkret verbirgt.

Tausende Frauenhausplätze fehlen

Frauenhäuser sind eine der wichtigsten Einrichtungen, um Opfer häuslicher Gewalt zu schützen. Unter diesem diffusen Begriff versteht man eine Gewalttat zwischen Menschen, die in häuslichen Gemeinschaften leben. Kontrollausübung durch wirtschaftlichen Druck, soziale Isolation, Demütigung oder Drohung zählen ebenso dazu wie physische Angriffe. Die Täter sind zu 80 Prozent Männer und die Opfer in vier von fünf Fällen Frauen.
Dabei darf bei der Debatte um Frauenhäuser nicht vergessen werden, dass sie nicht für jedes Opfer häuslicher Gewalt in Frage kommen. Frauen mit jugendlichen Söhnen oder mit schweren Behinderungen haben im Vergleich zu alleinstehenden Frauen größere Schwierigkeiten, einen Wohnplatz zu finden. Außerdem nimmt eine einseitige Fokussierung von Frauenhäusern im Umgang mit häuslicher Gewalt politische Entscheidungsträger aus der Verantwortung, in Gewaltprävention zu investieren. Aktuell gibt es in Deutschland rund 370 Frauenhäuser. Sie bieten insgesamt 3900 Plätze, wobei die offizielle Empfehlung des Europarates nicht einmal zur Hälfte erreicht wird. Diese spricht von einem Platz pro 7500 gemeldeten Bürger*innen.

Betroffene, die den Mut zusammennehmen, eine Einrichtung zu kontaktieren, haben zwar einen essentiellen Schritt getan, aber der bringt sie noch längst nicht in Sicherheit. Eine Recherche von CORRECTIV.Lokal hat ergeben, dass Frauenhäuser im Jahr 2022 bundesweit an 303 Tagen voll belegt waren. Selbst wenn Plätze frei wurden, waren diese nach einem Ansturm an Anrufen innerhalb weniger Stunden erneut besetzt.

Corona und Hilfe

Mit dem Start der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 ist die ohnehin schon grenzwertige Lage noch prekärer geworden.
Sowohl die Mitarbeiterinnen als auch gewaltbetroffene Frauen sind durch die Krisensituation unter doppelten Druck geraten. Der Virus hat zu personellen Ausfällen geführt, die meist nicht vertreten werden konnten. Gleichzeitig ist die Nachfrage an Schutzunterkünften gestiegen. Besonders nach den Lockdowns haben sich viele Frauen, trotz des hohen Infektionsrisikos, mitgeteilt. Häusliche Gewalt ist aufgrund der starken psychischen Belastung durch Kontaktbeschränkungen und Kurzarbeit deutlich angestiegen, wie eine Studie der TU München im Zeitraum des ersten Lockdowns zeigt.

Überlastung, Unsicherheit und Mangel an Mitteln

Die Mitarbeiterinnen wissen um die Notlage, daher bemühen sie sich um zeitlich begrenzte Notaufnahmen, nur um die Betroffenen dann weiterzuvermitteln. Oftmals können sie lediglich versuchen, Kontakt zu anderen Frauenhäusern hunderte Kilometer entfernt herzustellen, die noch einen Platz frei haben. Trotz ihrer Bemühungen müssen sie jährlich hunderte Frauen mit nicht mehr als einer Telefonnummer für alternative Hilfsangebote abweisen.
Sie arbeiten ständig an ihrer Belastungsgrenze und darüber hinaus, denn es mangelt an Ressourcen in allen Arbeitsbereichen. Dazu zählen die Unterstützung bei amtlichen Antragstellungen, emotionale Fürsorge, Kinderbetreuung und Hilfe bei der Wohnungssuche. Es verlangt große Aufopferung, den Frauen zu ermöglichen, sich (wieder) eine selbstständige Existenz aufbauen zu können.

Lösungsansätze sind in Bearbeitung

Neben dem Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen, welches rund um die Uhr kostenlos unter der Nummer 08000 116 016 erreichbar ist, erleichtert es die bundesweite Frauenhaussuche, online schnelle Unterstützung zu bekommen.
Die Politik ist sich der Missstände bewusst. Um ihnen entgegenzuwirken, braucht es zunächst eine bessere Datenlage im Dunkelbereich. Die Lösung dafür liefert eine repräsentative Befragung, die vom Familienministerium in Auftrag gegeben wurde, jedoch sind ihre Ergebnisse erst voraussichtlich 2025 einsehbar.
Bis dahin werden Hilfsangebote mit einem Budget von 120 Millionen Euro unterstützt und ausgebaut. Ihre Finanzierung ist bundesweit bisher nicht einheitlich geregelt. In Baden-Württemberg zum Beispiel müssen Frauen ihren Aufenthalt selbst bezahlen, wodurch für viele eine schwer überwindbare Hürde aufgestellt wird.

Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Politik ihre Vorhaben in der aktuellen Legislaturperiode umsetzt. Bis dahin gilt es, jegliche Gewalt gegen Frauen klar zu benennen, denn sie ist strukturell und allgegenwärtig.


Illustration: Céline Bengi Bolkan