Wer sich in den Kommentarspalten von Facebook & Co. bewegt, wird unumgänglich auf Inhalte mit rechtem Gedankengut stoßen. Im Netz sind extremistische Meinungen nicht wegzudenken. Aber wie organisieren sich Extremist*innen im Internet?

Karolin Schwarz ist freie Journalistin und Expertin für Rechtsextremismus im Internet. Sie hat als unabhängige Sachverständige im Prozess gegen den rechtsextremen Attentäter von Halle ausgesagt. 2020 hat sie außerdem das Buch Hasskrieger: Der neue globale Rechtsextremismus” veröffentlicht.

UnAuf: Wie hat sich Extremismus verändert, seitdem es das Internet gibt? 

Karolin Schwarz: Klar ist, dass Rechtsextreme sich das Internet sehr früh angeeignet haben – einfach weil es schon von Anfang an klar war, dass es ein Raum ist, in dem quasi frei agiert werden kann, ohne Sanktionen, ohne dass irgendwas gelöscht wird – in den frühen Vorzeiten des Internets mit Usenet und Co, bevor die ersten Websites online waren. Als es dann Websites gab, gab es relativ schnell Holocaustleugner wie Ernst Zündel, die online waren. Die NPD hatte super viele Websites für Verbände, für Veranstaltungen. Sie waren vor den demokratischen Parteien da, mit sehr viel mehr Auftritten. Wir hatten außerdem ein Problem, als Google sich als Suchmaschine etabliert hat”, und zwar mit dem Algorithmus, sodass einem, wenn man etwas zum Thema “Juden” gesucht hat, sehr viele antisemitische Beiträge vorgeschlagen wurden. Und dann kam natürlich das Zeitalter der sozialen Medien. Sowohl in der ersten Runde mit MySpace und StudiVZ waren Ku-Klux-Klan, NPD und Co. aktiv. Und heutzutage sind sie sowohl auf den großen Plattformen, haben teilweise eigene Plattformen gebaut, haben aber auch wie früher immer noch eigene Foren. Es sind sehr vielfältige Angebote, durch die man sehr schnell an Menschen herankommt. Wenn man Vereine gründet oder über Fußball geht, oder über Konzerte oder Ähnliches, dann ist der Organisationsaufwand natürlich deutlich größer.

Hat Rechtsextremismus dadurch zugenommen?

Wir wissen, dass ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild in Deutschland eher abnimmt. Das heißt aber nicht, dass es nicht einen Haufen Ideologien, antisemitische, rassistische, islamfeindliche Einstellungen, Antiziganismus oder Antifeminismus gibt, die teilweise anschlussfähig und auch in der Mitte der Gesellschaft zu finden sind. Und entsprechend kann man schon von einem Erfolg reden, der jetzt nicht nur von Rechtsextremen ausgeht, sondern zum Beispiel auch von Rechtspopulisten, von rechten Parteien, teilweise auch von Konservativen, wenn wir überlegen, wie wir in den letzten Wochen und Monaten über Klimaaktivist:innen gesprochen haben. Es ist erschreckend, wie verroht der Diskurs geworden ist.

Nutzen auch andere Formen von Extremismus das Internet so intensiv für sich? 

Was radikale Linke betrifft, sind die Organisationsformen und die Kommunikationsformen völlig anders. Dann gibt es natürlich auch immer noch Islamismus. Gerade wenn man sich TikTok anschaut, ist das durchaus ein Format, das genutzt wird. Außerdem haben wir in den letzten Jahren sehr viel mit Verschwörungstheorien zu tun gehabt, die teilweise auch eine Anschlussfähigkeit zum Rechtsextremismus haben oder beides sich da gegenseitig ein bisschen unter die Arme greift. Wenn wir beispielsweise von  Querdenken (Anm. d. Red.: gemeint ist die Organisation „Querdenken 711”) sprechen, dann wissen wir, dass es dort antidemokratische Kräfte gibt und das teilweise nicht zu knapp. Wenn man sich bestimmte Protagonisten von Querdenken anschaut und wie sie heute auf Telegram agieren, dann ist teilweise der Schritt zur Holocaustleugnung nicht weit. Es werden dort teilweise klar rassistische, antisemitische Motive verbreitet.

Ist es so, dass man durch Verschwörungstheorien in ein rechtes Weltbild hinein rutscht, oder ist es eher, dass sich beides gegenseitig bedingt und verstärkt?

Es gibt genügend Neonazis, die in sehr konspirative Weltbilder eintauchen, in denen es dann auch um sehr obskure Sachen geht. Grundsätzlich ist auch eine Menge antisemitisches Gedankengut „verschwörungsideologisch“ aufgebaut. Und wenn wir zum Beispiel über Halle sprechen, und das steht in einer Reihe mit verschiedenen rechtsterroristischen Anschlägen der letzten Jahre, dann spielen Ideologien eine Rolle. Zum Beispiel die Verschwörungserzählung vom Großen Austausch, die Great Replacement Theory”, hat massiv eine Rolle gespielt und wird immer wieder zitiert in den Pamphleten der Täter. Es gibt eine klare Überschneidungen zwischen Verschwörungsideologie und Rechtsextremismus, aber nicht alle Verschwörungsideologien haben zwingend ein klares, geschlossen rechtsextremes Weltbild.

Nach dem Anschlag von Halle wurde kritisiert, dass die rechten Subkulturen, in denen sich der Täter Stephan B. im Netz bewegt hat, gesamtgesellschaftlich und auch von Sicherheitsbehörden viel zu wenig verstanden wurden und nicht darauf geschaut wurde, wie radikal, gewaltbereit und international vernetzt die Menschen sind. Hat sich das seitdem geändert?  

Wenn wir uns den Prozess angucken, den Umgang auch direkt im Anschluss an die Tat, dann ist es schon so, dass teilweise unzureichend ermittelt wurde und bestimmte Zusammenhänge nicht aufgeklärt wurden. Wir haben das relativ viel bei politisch motivierter Gewalt, gerade auch im Rechtsextremismus, dass zum Beispiel bestimmte Netzwerke oder Radikalisierungen nicht Teil der Ermittlungen sind und teilweise das Umfeld nicht klar ist. Wir wissen zum Beispiel bei Halle bis heute nicht so richtig, ob Stephan B. Zahlungen per Kryptowährung bekommen hat und diese für seine Tat eingesetzt hat. Da geht es jetzt auch darum, dass das Passwort nicht da ist. Insofern kann man teilweise einfach nicht so viel machen, aber man konnte teilweise von Glück sprechen, dass engagierte Beamte da waren. Es kommt darauf an, über welche Behörde wir sprechen. In den Verfassungsschutzämtern ist es teilweise so, dass man inzwischen etwas schneller unterwegs ist, würde ich vorsichtig sagen. Das heißt nicht, dass alles gut läuft. Es ist auch, wie wir es am Anfang besprochen haben, eine riesengroße Landschaft. Und gerade bei Anhängern von Rechtsterroristen sprechen wir dann von Leuten, die in Chaträumen von wenigen 100 Leuten sind, davon gibt es dann aber auch wiederum Hunderte. Also es ist selten ein großes Feld und schwer zu erfassen. Aber es ist schon so, dass es Nachholbedarf gab und auch immer noch gibt, was den Umgang und das Verstehen dieser Subkulturen betrifft. Ja, ich würde sagen, es sind Fortschritte gemacht worden- zumindest in einigen Ämtern. In der Polizei würde ich das jetzt nicht überall unterschreiben. Gerade wenn wir uns völlig alltägliche Dinge angucken, wenn es um Hate Speech geht oder Bedrohungen von Rechtsextremisten, ist es oft nicht so, dass man da auf Verständnis stößt. 

Wie kann denn verhindert werden, dass Menschen in extremistische Subkulturen abgleiten? 

Es ist schon ein Punkt, dass soziale Netzwerke anders gestaltet werden müssen. Aber da tut sich gerade auf EU Ebene mit dem Digital Services Act ein bisschen was, was bald auch nationales Recht umgesetzt wird. Es ist interessant zu beobachten, wo das hinführt, wie gut das umgesetzt wird. Am Ende ist es nämlich so, dass soziale Netzwerke eine Verantwortung haben. Gerade weil Algorithmen auch eine Rolle spielen und eine Website im Zweifelsfall einfach nicht solche Reichweiten bekommt wie Posts auf Facebook, Twitter oder YouTube. Aber am Ende sind, wie schon gesagt, viele menschenfeindliche Haltungen anschlussfähig in der Mitte der Gesellschaft. Also haben wir als Gesellschaft insgesamt etwas dagegen zu tun. Ich meine, wenn wir uns Halle angucken, wenn wir uns Hanau ansehen, gab und gibt es in der Familie jeweils menschenfeindliche Einstellungen. Da hat man eine gewisse Verantwortung als Umfeld. Wenn ich mir überlege, dass eine Lehrerin als Mutter im Spiel ist, dass der Vater des Täters von Hanau Überlebende und Angehörige bedroht, dann müssen wir uns überlegen, wie wir Betroffene schützen, wie wir mit ihnen umgehen und solidarisch sein können. 2023 sollten wir außerdem auch endlich aufhören, zwischen digital und nicht digital zu unterscheiden.

Das Gespräch führte Pia Wieners.


Foto: Andi Weiland