Es geht um Vorwürfe der Vertuschung, der lückenhaften Aufklärung und dem fehlenden Willen, dem Fall nachzugehen – all dies soll der parlamentarische Untersuchungsausschuss UNA 20/2 zum Anschlag in Hanau endlich beantworten. Dieser tagt schon seit knapp zwei Jahren und soll diesen Sommer enden. Eine Zwischenbilanz.

Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist dafür zuständig, unklare Sachverhalte zu bestimmten Ereignissen aufzuklären und Missstände in der Politik aufzuarbeiten. Im Hessischen Landtag wird solch ein Ausschuss gebildet, wenn sich ein Fünftel der Abgeordneten des Landtages für diesen aussprechen. Je nach Fraktionsstärke im Parlament werden die Sitze im Ausschuss verteilt. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss UNA 20/2 zum Anschlag in Hanau im Hessischen Landtag bildete sich auf Drängen der Familienangehörigen der Opfer im Sommer 2021. Den Vorsitz hatte Marius Weiß aus der SPD inne, dieser trat aber vor kurzem zurück. 

Der UNA 20/2 wurde gebildet, um die angeblichen Missstände des Polizeieinsatzes in der Tatnacht des 19. Februar 2020 aufzuklären. Es geht um Vorwürfe, die das Verhalten der Behörden in Frage stellen, wie beispielsweise bezüglich des verschlossenen Notausgangs in der Arena Bar, welcher sich am zweiten Tatort befand. Außerdem soll erklärt werden, wieso der bekanntlich psychisch kranke Täter eine Waffe haben durfte und wieso der Notruf an diesem Abend nicht erreichbar war. Zusätzlich werden auch polizeiliche Maßnahmen hinterfragt und deutliche Kritik an der Einsatzführung und dem Umgang mit den Angehörigen geübt. Manche Faktoren sind für die Angehörigen so wichtig, da diese möglicherweise unter anderen Umständen den Tathergang verändert hätten. Die Initiative 19. Februar, welche kurz nach dem Anschlag überwiegend von Betroffenen gegründet wurde, hat diesbezüglich zehn Fragenkomplexe formuliert, die der UNA 20/2 untersuchen sollte. Die Aufklärung dieser Fragen verlief jedoch anders, als die Betroffenen erwartet hatten. 

Kritik von Innen

Abgesehen von der Kritik an der polizeilichen und behördlichen Arbeit kritisiert die Initiative 19. Februar auch die Arbeit des Untersuchungsausschusses. Oft können Fragen nicht im Detail geklärt werden. Da der Anschlag mittlerweile drei Jahre zurückliegt, weisen manche Zeug*innen bei der Befragung Erinnerungslücken auf, die laut der Initiative teilweise nicht glaubhaft zu sein scheinen. Genügend Nachfragen auf Seite des Ausschusses gäbe es anscheinend nicht. Falls diese doch gestellt werden, seien sie insbesondere durch die CDU und deren Obmann J. Michael Müller aus Sicht der Initiative suggestiv und somit leicht zu beantworten. Demzufolge seien die Nachfragen des Ausschusses nicht zielführend für die Aufklärung des Falles. Dies sei nicht das einzige Problem: seriöse Stimmen wie die von „Forensic Architecture“, einer Forschungsinitiative, welche mit einer Videorekonstruktion des Tatorts der Arena Bar für Aufklärung bezüglich des verschlossenen Notausgangs sorgen wollte, würden nicht ernst genommen und somit Teile der Aufklärung verhindert werden. Zudem sollen sich einige Abgeordnete des UNA 20/2 laut Berichten der Initiative immer wieder respektlos gegenüber den Angehörigen verhalten haben. Mitunter seien während der Sitzungen Telefonate geführt oder parteipolitische Angelegenheiten geklärt worden. Es entsteht also der Eindruck, die Aufklärung der Versäumnisse jener Tatnacht sei von geringer Relevanz.

Der „AG NAH”

Hinzu kommt, dass Ende Mai ein polizeiinterner Abschlussbericht durch die Frankfurter Rundschau namens „AG NAH“ (Arbeitsgruppe Nachbereitung Anschlag Hanau) veröffentlicht worden ist, welcher die langjährigen Vorwürfe der Angehörigen gegenüber der Polizeiarbeit bestätigt. Dieser stammt aus dem November 2020 und erläutert, welche Probleme es in der Tatnacht während des Einsatzes gegeben hat. Unter anderem wird über diverse Informationsverluste berichtet, welche durch die unterschiedlich genutzte Funkgruppe der Einsatzkräfte zustande kamen. Das heißt, viele kannten die Tatdetails nicht und die Reaktionen verspäteten sich dementsprechend. Tatsächlich fiel im Bericht der Satz, dass „über die interne Kommunikation weniger Informationen erhalten wurden, als über das Internet und soziale Medien.“ Zudem sei für die Polizist*innen an dem Abend erst sehr spät klar geworden, dass es sich bei der Tat um einen rassistischen Anschlag handelte. Zuerst vermuteten sie, es handle sich um Milieukriminalität. Eine nicht ausreichende Anzahl an Einsatzkräften verzögerte die Ermittlungen zusätzlich sowie den erst späten Einsatz am Täterhaus. Der Vorwurf des falschen Umgangs der Polizei mit den Angehörigen der Opfer wurde auch bestätigt. Laut Bericht wurde den Angehörigen gegenüber eine sogenannte Gefährderansprache gehalten. Diese werden normalerweise verwendet, wenn durch eine Person die öffentliche Sicherheit oder die Sicherheit eines Einzelnen bedroht wird. Die Person, die durch die Gefährderansprache geschützt werden sollte, ist der Vater des Täters. Dementsprechend wurde ein Teil der Angehörigen so behandelt, als seien sie eine potenzielle Gefahr, obwohl sie gerade Familienmitglieder verloren hatten. Auf Seite 45 bis 50 des Polizeiberichts werden abschließend elf Verbesserungsmöglichkeiten aufgezählt, die zukünftig bei solchen Einsätzen in Kraft treten und zusätzlich Einsatzkräfte besser auf solche Situationen vorbereiten sollen.

Gegen das Vergessen

Wieso war der Untersuchungsausschuss in fast zwei Jahren schlussendlich nicht im Stande, die Fragen der Betroffenen zu beantworten und die Missstände in der Tatnacht aufzuarbeiten? Die Initiative 19. Februar fordert eine unabhängige Untersuchungskommission, da parlamentarischen Untersuchungsausschüssen „klare Grenzen“ gesetzt seien. Die UnAufgefordert kontaktierte die Pressestelle des Hessischen Landtags, um die gegensätzliche Einschätzung zum Untersuchungsausschuss zu erfahren. Jedoch konnte diese keine Auskunft geben und verwies auf die Obleute des Ausschusses, welche sich gegenüber der UnAufgefordert nicht geäußert haben. Anders als Claus Kaminsky, der Oberbürgermeister der Stadt Hanau, der bei einem Interview mit der UnAufgefordert unter anderem über den Untersuchungsausschuss sprach. Einerseits empfiehlt er noch abzuwarten, da die Arbeit des Ausschusses noch nicht zu Ende ist, andererseits wünscht er sich eine parteiunabhängige Bewertung des Ausschusses und zusätzlich eine schon lange fällige Entschuldigung des Staates bei den Angehörigen, deren Familien in dieser Nacht nicht besser geschützt zu haben. Nichtsdestotrotz ist eine weitere Forderung der Initiative der Rücktritt des Hessischen Innenministers Peter Beuth – zu viele Fehler hätte er durchgehen lassen, zusätzlich die angeblich fehlerhafte Polizeiarbeit an diesem Abend, als „exzellent“ bezeichnet.

Am 07.07.23 ist der letzte Tag des Untersuchungsausschusses, dieser ist insofern ein besonderes Ereignis, da Innenminister Peter Beuth im Ausschuss zu den zehn Fragenkomplexen befragt werden soll. Die Betroffenen planen mit anderen Unterstützer*innen eine große Kundgebung vor dem Hessischen Landtag, in dem der Ausschuss sitzt. Hauptsächlich wird weiterhin Aufklärung gefordert und das Versagen des Untersuchungsausschusses unterstrichen. Nach der letzten Sitzung soll der Abschlussbericht folgen, welcher aber erst nach den Hessischen Landtagswahlen im Oktober diskutiert und veröffentlicht wird. Nicht nur die Initiative 19. Februar positioniert sich stark dagegen, sondern beispielsweise auch die SPD-Fraktion des Hessischen Landtages betitelt dies als „skandalös“. Nach Beendigung des UNA 20/2 wird es, laut den Familien der Opfer, immer noch keine Aufklärung geben – der Untersuchungsausschuss habe sein Ziel verfehlt. Jedoch bleibt die zentrale Forderung: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen.


Illustration: Franziska Auffenberg