Ein Wildschwein erhebt sich zum Herrscher und versklavt die letzten Menschen. Der französisch-kambodschanische Film Everything will be ok erzählt von Totalitarismen und wie wir blindlings in sie hineinfallen können. Er ist vermutlich der experimentellste und damit spannendste Film des Festivals.

Am Ende steht der Anfang. Ein schwarzer Monolith schiebt sich aus sandigem Grunde, über ihm der wolkenverhangene Himmel des jüngsten Tages. Die Menschheit ist passé, holzschnittartige Figuren, Wildschweine, Affen, Hunde und ein Orang-Utan, stellen sich um den schwarzen Block. Was in Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum den zivilisatorischen Aufstieg der Menschheit beschreibt, wird nun Zeuge eben dessen Untergang. Nun gründen die Tiere ihre eigene Zivilisation. In Rithy Panhs Film Everything will be okay rächen sich die Tiere an den Menschen. Man fühlt sich an Christian Morgensterns Worte erinnert: Wehe dem Menschen, wenn nur ein einziges Tier im Weltgericht sitzt.

Dabei geht Panhs düster dystopische Fabel weiter und erklärt das Tier zum Richter und Henker einer längst verlorenen Spezies. Doch weit über das Maß der eingeforderten Gerechtigkeit hinaus, schauen sich die Tiere die „Erfindungen“ der Menschen ab. Um ihre neu erreichte Macht über die Natur, in diesem Fall dem Menschen, zu sichern, greifen die Tiere auf allzu menschliche Machtinstrumentarien zurück: Unterdrückung, Überwachung, Diktatur.

Panorama eines katastrophalen Jahrhunderts

Und spätestens hier spannt der Film einen Bogen über die Katastrophen des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, bis zu jenem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. In einer raffinierten Splitscreen-Technik bleibt den Betrachtenden nichts anderes übrig, Exekutionen durch sowjetische Offiziere, Hitlermärsche und Atomexplosionen auf sich wirken zu lassen. Letztere klingen im Kinosaal besonders brachial.

Das alles mischt sich mit expliziten Schlachtszenen, in denen etwa einem Kalb bei vollem Bewusstsein der Kopf abgetrennt wird. Diese dokumentarischen Einschübe sind teils so wild gestreut, und so grausam, dass sich die Kinogänger*innen schnell an ihnen sattgesehen haben und stumpf im Sessel des CinemaxX zurückbleiben. Man möchte meinen, spätestens hier sei Schluss und alles auserzählt und dass das Panorama eines katastrophalen Jahrhunderts verhandelt sei. Und doch gelingt es Rithy Panh die Betrachtenden zu überraschen. Der Film erzählt nämlich nicht nur einen aufdämmernden Fortschrittspessimismus. Sein Ton ist meist wenig mitfühlend mit den Menschen, ja Teils sogar ermüdend moralisch, und doch fordert er die Zuschauer*innen heraus. Trotz eindringlicher Bilder tanzt der Film am Rande der Dringlichkeit, ohne in die Beliebigkeit abzudriften. Ein Spagat-Akt, der bei so viel moralisch aufgeworfenen Fragen eine wahre Leistung ist.

„Es gibt keine modernen Zeiten, nur Formen moderner Unterdrückung.“

Anstatt dass die Tiere aus den Fehlern der Menschheit lernen, schauen sie sich in Panhs Fabel die Techniken der Macht ab. Sie verpacken sie als Revolution, als Leidenschaft der Entrechteten, und fallen somit der Macht anheim. Das Wildschwein wird zum twitternden

Foto: CPD, Anupheap Production

Diktator und lässt seine Vorderhufe vergolden. Affen fahren auf Jeeps mit Maschinengewehren umher und die versklavten Menschen müssen den Tieren schließlich eine Atombombe konstruieren helfen. Der Mensch ist des Menschen Wolf, könnte die altbekannte hobbesche Lehre dieser Fabel sein. Doch das wäre langweilig und würde einem solchen Stoff auch nicht gerecht werden. Rithy Panh denkt da weiter und fragt sich, wer des Wolfes Wolf sei. So hangelt sich der Filmemacher von Katastrophe zu Katastrophe, stets im Blick, dass die Geschichte der Menschheit weder „Grammatik noch Lektionen“ kennt.

Panhs Beitrag zur 72. Berlinale ist ein verspielter Film, der nicht jedem gefallen wird. Everything will be OK erzählt, wie Totalitarismen fallen und entstehen. Der Film ist ein Experiment. Es gibt weder Schauspieler*innen, noch animierte Charaktere. Einzig die Figuren in ihren arrangierten Standmotiven erzählen diese Geschichte, begleitet von einer Off-Stimme, die so schöne Sätze sagt, wie „Die Revolution ist ein Drama aus der Leidenschaft.“ oder „Es gibt keine modernen Zeiten, nur Formen moderner Unterdrückung.“


Foto: CPD, Anupheap Production