Eine besorgte Mutter will ihren Sohn befreien, der in Guantánamo einsitzt. Die Frau aus Bremen Hemelingen schließt sich mit einem Anwalt zusammen und zieht bis vor den Supreme Court der Vereinigten Staaten. Andreas Dresen erzählt in seinem vierten Berlinale-Film die wahre Geschichte um Murat Kurnaz, um staatliche Willkür und politisches Kalkül. Das hierbei Humor eine zentrale Rolle spielt, funktioniert erstaunlich gut.

Oktober 2001: Wolfgang Thierse hält im Bundestag eine Rede, Tauer um die Opfer des 11. September. Rabiye Kurnaz will ihren ältesten Sohn Murat zum Essen rufen. Das Geschehen im Fernsehen interessiert sie überhaupt nicht. Murat tritt nicht aus seinem Zimmer. Am Telefon erfährt sie, dass ihr Sohn auf dem Weg nach Pakistan ist. Und obwohl für Murat Kurnaz’ Mutter in diesem Moment eine Welt zusammenbricht, geschieht das für die Zuschauer*innen eher auf eine erheiternde Art und Weise. Denn sofort rafft sich Rabiye auf und sucht nach einer Lösung, nach einem Weg, um ihren Sohn wiederzubekommen. Dass sie dabei, koste es was es wolle, auch Grenzen sprengen muss, wird sie bis vor das oberste Gericht Amerikas bringen.

Mit der deutsch-türkischen Schauspielerin und Autorin Meltem Kaptan hat Regisseur Andreas Dresen die richtige Wahl getroffen. In ihrer Rolle verkörpert sie fast schon gewissenhaft den resoluten Optimismus einer Frau, die völlig angstfrei Wege aufsucht ihren Sohn zu befreien. Sie hört nicht auf zu leben, nur weil Murat als von den Behörden potentieller Terrorist in Guantánamo gefoltert und verhört wird. In den richtigen Momenten schafft die Schauspielerin es, den Ernst der Lage und die Tränen einer Mutter so zu zeigen, dass dem*der Kinogänger*in zumindest das Schmunzeln schnell wieder vergeht. Dresens Film verhandelt die Gefühle einer Mutter, deren Sohn in Guantánamo einsitzt und unter terrorverdacht steht. Wo soll da Hoffnung sein, wo Geduld auf eine Lösung des Konflikts? Mit Meltem Kaptan als Rabiye Kurnaz dürfen die Betrachtenden mit hoffen, und ja, teils auch mit verzweifeln und vielleicht sogar den Tränen nahe sein.

Einfach machen lautet die Devise

Rabiye Kurnaz gibt sich mit der Entscheidung zur Inhaftierung ihres Sohnes nicht zufrieden. In einem Telefonbuch stößt sie auf den Anwalt Bernhard Docke, gespielt von Alexander Scheer, der in Dresens „Gundermann“ den ostdeutschen Baggerfahrer und Musiker Gerhard Gundermann darstellte. Der Schauspieler ist kaum wiederzuerkennen, eine erstaunliche Leistung. Hier glänzt Scheer im wahrsten Sinne des Wortes als ein rationaler Büromensch mit zugeknöpftem, faltenfreiem Hemd, der vor Rabiyes Unbeschwertheit Berührungsängste hat. Er ist ein Idealist, der gern von Gerechtigkeit schwadroniert, doch mit dem Eifer von Rabiye bislang nicht sonderlich viel anfangen kann.

Und das ist auch die größte Stärke des Films: die ungleiche Beziehung zwischen der Hausfrau aus Bremen Hemelingen und dem studierten Advokaten. Letzterer ist meist erschrocken, wie wenig Rabiye über Weltpolitik versteht, begeistert, wie wenig sie locker lässt, und belustigt, wie mütterlich sie sich um ihn sorgt. Aber genau das ist wiederum auch eine Schwäche. Dieses Verhältnis von resoluter Hausfrau aus dem Arbeitermilieu und intellektuellen Anwalt ist zwar nett gemeint, spielt aber mit den gängigen Mustern von Alltagsklassismus. Der joviale Pragmatismus der Arbeiterschicht verbündet sich mit der akademischen Besonnenheit. Eine Geschichte, die man gerne glauben möchte, aber einem im Kern manchmal auch unglaubwürdig vorkommt. Zum Glück ruht sich der Film nicht allein auf diesem Duo aus, sondern schafft es immer wieder, das Drama gebührend in den Vordergrund zu heben.

Das Thema Heimat kommt auf den Tisch

„Heimat ist da, wo du satt wirst“, sagt Rabiye Kurnaz, als sie den sichtbar überarbeiteten Bernhard Docke mit Selbstgemachtem überschwemmt. Die Tupperbüchsen stapeln sich auf seinem Schreibtisch, Rabiye schmückt die Tischlampe. Manchmal ist der Humor überladen, wie in dieser kurz beschriebenen Szene. Aber sie bringt etwas auf den Punkt, dass Dresens Geschichte spannend macht: was ist Heimat? Ist es der Pass? Der Mercedes der ersten Generation Gastarbeiter*innen, die unter anderem zum Erfolg des Mercedes-Benz-Werkes in Bremen Hemelingen beitrugen? Oder das gemeinsame Essen und Satt-werden am Frühstückstisch? Gerade letzteres musste Rabiye für fünf Jahre missen, denn Murat saß ohne Anklage und Gerichtsverfahren in Guantánamo.

„Es ist wie bei Kafka“, sagte Dresen nach der Pressevorführung den anwesenden Journalist*innen. Es ist eine Geschichte über bürokratische Willkür, Terror und Unrecht. Es ist wenig optimistisch. Dresen wolle mit seinem Film jedoch zeigen, dass sich die einfachen Menschen gegen die unbesiegbaren Mächte der Welt zu Wehr setzen können.

Eine universelle Mütterlichkeit?

Der Drehbuchautorin Laila Stieler ist es zu verdanken, dass der Film trotz manch unbeholfener Humoreske gut geworden ist. In Gesprächen mit Rabiye Kurnaz schuf sie einen Film, der die Perspektive der Mutter in den Vordergrund rückt. Dabei übernahm sie die schwere Aufgabe eine Geschichte vom Warten zu erzählen. „Ein Sieg der Geduld ist nicht so sexy“, sagte Stieler dazu auf der Pressekonferenz. Stieler wolle die „unfassbare Kraft der Mütterlichkeit“ und die positive Lebenseinstellung der realen Rabiye Kurnaz gebührend zeigen. Am Ende stellt der Film eine entscheidende Frage: Wie kann Gerechtigkeit aussehen? Unrecht kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber „eine moralische Rechtfertigung ist wenigsten im Nachhinein möglich“, so Dresen.

Bis heute hat die Familie Kurnaz von der deutschen Regierung keine Entschuldigung erhalten. Murat Kurnaz hätte bereits im Herbst 2002 nach Deutschland zurückkehren können. Er wurde vom BND verhört und als harmlos eingestuft. Die deutsche Regierung unter Schröder reagierte hierauf nicht, erst 2006 fädelte die neue Bundesregierung unter Angela Merkel seine Freilassung ein. Die Geschichte um Murat Kurnaz verdient es, gehört und gesehen zu werden. Das hochkomplizierte Verfahren im Hintergrund sollte mitschwingen und nicht an Komplexität verlieren, doch sollte es kein Gerichtsfilm, kein schnöder Präzedenzfall werden, sondern eine Erzählung über Hoffnung. Und genau das ist „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush” gelungen.


Foto: Andreas Hofer/ Pandora Film