In den Hotelburgen Riminis stapeln sich Stühle. Der Saal ist freigeräumt für Richie Bravo, seines Zeichens Schlagerstar. Sein Glitzersakko mag ein bisschen angestaubt sein, aber eigentlich ist doch alles cool beim Richie. Er trinkt zu viel und bringt ältere Frauen nach dem Gelegenheitssex um ihr Geld. Wäre da nicht noch seine Tochter, die ihn mit seinem miserablen Leben konfrontiert.

Ulrich Seidls Beitrag für den Wettbewerb zur diesjährigen Berlinale ist mein bisheriger Favorit. Das liegt ganz besonders auch daran, weil Seidl es schafft, die Hotelburgen Riminis als verschrammelte Kulissen einer längst vergangenen Zeit darzustellen. Die Neonlichter, die Straßen bei Nacht, alles an dem Film versprüht eine melancholische, mitreißende Aura. Und tatsächlich träumte ich vergangene Nacht davon, wie ich mit eben diesem Richie Bravo in seinem Seehund-Mantel betrunken auf den Straßen von der Liebe sang. Rimini, das ist ein Film über die Macht und Gefahr von Träumen, das ist bei Ulrich Seidl Budenzauber und der eingetrocknete Schnapsfleck auf dem weißen Kragen eines paillettenbesetzten Sakkos.

Rimini, das ist das Traumziel all jener, die noch daran glauben, es gäbe noch so etwas wie ein Paradies. Hier lebt der Schlagersänger Richie Bravo in seiner Richie-Bravo-Villa und die fetten Jahre sind definitiv vorbei. Nach dem Begräbnis seiner Mutter begleitet uns der Film in den Alltag eines österreichischen Schlagersängers in Geldnot, der seine letzten Hunderteuro-Noten versäuft und Rentnergruppen via Playback in leeren Konferenzräumen bespaßt. Die Hotelburgen im Winter schweigen, wenn sich Richie Bravo nach dem Sex von betuchten Frauen Geld geben lässt. Die Ü-50-Sexszenen, eine Melange aus verblühter Liebe, der Sehnsucht nach mütterlicher Geborgenheit und Pornographie. Richie Bravo verkörpert all das sehr gut, beziehungsweise macht Schauspieler Michael Thomas hier einen wirklich guten Job. Weiterer Knackpunkt bleibt: Besoffenes Österreichisch ist nur mit Untertitel zu verstehen. Und ob die pornographischen Einlagen den Film nach vorne bringen, sei dahingestellt. Aber doch, irgendwie passen sie rein.

Die Geschichte wirft ein Licht auf die Schattenseite des Schlagers. Denn Schlager heißt träumen und träumen muss man sich leisten können. Richie Bravo träumt einfach weiter und stapft dabei durch den Strandsand Riminis. Aus Afrika Geflohene liegen kauernd an den Strandbuden oder sitzen schweigend in der Straße. Richie Bravo tut so, als sehe er sie nicht. Seidls Film spielt neben Sehgewohnheiten mit den Elementen: Wind, aufgepeitschtes Wasser, der Strand Riminis verliert sich im weißen Nebel. Richie Bravo träumt jedoch weiter den Traum einer heilen Welt, so wie vermutlich viele Renter*innen von heute. Die Welt gerät aus den Fugen, nur eben nicht für Richie Bravo und jener Generation des Wirtschaftswunders.

Ein Schlagerstar kann nicht weinen

Ein einschneidendes Erlebnis ist die Begegnung mit seiner Tochter Tessa. Die von Tessa Göttlicher gespielte wirkt auf den ersten Eindruck eher eindimensional. Tessa hat Richie 18 Jahre lang nicht gesehen und möchte nun den ausstehenden Unterhalt einfordern. Es dauert ein wenig, bis dieser wichtige Kern der Erzählung zum*r Betrachter*in überspringt, vielleicht auch ein wenig zu lange. Die Kurve krieg der Film dann aber doch noch, als Richie versucht, zu weinen. Ein Schlagerstar weint nicht, oder zumindest nicht gut und ehrlich, und Michael Thomas spielt diese Szene grandios. Tessa Göttlicher schenkt dabei der Figur von Richies Tochter so viel, wie es in Seidls Film irgend möglich ist. Zusammen brillieren sie, weil sie viel mehr als nur eine gescheiterte Vater-Tochter-Beziehung inszenieren. Es ist eine Allegorie auf den derzeit aktuellen Generationskonflikt: Die Alten hinterlassen den Jungen eine kaputte Welt.

Ulrich Seidls Wettbewerbsbeitrag ist der Favorit dieser Festspiele. Rimini im Winter ist ein universelles Schaubild unserer Zeit, dass vor Melancholie fast überschäumt. Die Wellen schlagen bedrohlich an die von Schnee bedeckten Strände und Richie Bravo singt und kann nicht weinen. Gibt es etwas Schöneres?


Foto: Ulrich Seidl Filmproduktion