Youtie Ma lebt ein schweres und abgeschiedenes Leben in einem nordchinesischen Dorf. Weil er noch unverheiratet ist, arrangieren seine Verwandten eine Ehe mit Guiying Gao. Sie ist schweigsam und kämpft mit den Folgen schwerster Misshandlung. Was die beiden eint, ist eine besondere Sicht auf die Welt – für den Film von Li Ruijun Fluch und Segen zugleich.

Youtie Ma ist weder in seinem Dorf noch in seiner Familie hoch angesehen. Seine Familie nutzt seine Treuherzigkeit charmelos aus. Die Dorfbewohner*innen respektieren ihn für seine Ehrlichkeit und bemitleiden ihn wegen seiner Armut. Er lebt von Ernte zu Ernte, ist durch und durch Bauer. Selbst als der Junggeselle mit Guiying Gao zwangsverheiratet wird, hat es den Anschein, als würde sich in seinem Leben nicht viel ändern.

Li Ruijun erzählt die Geschichte eines ungleichen Paars in den Ebenen Nordchinas, die durch das Herannahen der Wüste zu versanden drohen. Und so spielt in dem Film Yin Ru Chen Yan/ Return to Dust Staub und Sand eine zentrale Rolle. Er symbolisiert den Niedergang ländlicher Traditionen und Sitten inmitten des vom wirtschaftlichen Aufschwung transformierten Chinas. Denn was den Bauern Youtie Ma und seine Frau Guiying Gao eint, ist, dass sie sich der drohenden Entwurzelung entgegenstemmen. Sie pflanzen ein Feld an, durch das die Arbeiten am Film laut Regisseur Li Ruijun ein Jahr dauerten. Und so wächst die schüchterne Zärtlichkeit zwischen dem ungleichen Paar mit der Erntezeit heran.

Poesie zum Betrachten

Yin Ru Chen Yan/ Return to Dust sticht vor allem durch seine poetischen Kameraeinstellungen heraus. Die Kargheit Nordchinas, die wachsenden Felder und wechselnden Jahreszeiten spiegeln die zärtliche und stets im Bruch verharrende Beziehung der beiden Protagonist*innen wider. Der Film nähert sich mit Bedacht dem eigentlichen Kern, dem Versuch Fuß zu fassen in diesem rauen Leben fernab der chinesischen Großstädte. Wie die Schneeflocken im Winter auf dem Stroh niedergehen, die Dünen der Wüste sich unter dem winterlichen Himmel strecken oder Weizenkörner beim Dreschen umherfliegen – der Film nimmt sich die Zeit, diese Momente zu feiern und als tiefe Nähe zwischen dem Paar darzustellen. Die schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarsteller*innen ist dabei das i-Tüpfelchen des ganzen Films. Bewundernswert einfühlend spielen Wu Renlin als Bauer Youtie Ma und Hai Qing als Guiying Gao ihre Rollen. In ihren Gesten und Handlungen zeigt sich jene Vorsicht, mit denen vom Leben verletzte und misshandelte Menschen einander begegnen können.

Der Regisseur Li Ruijun versuchte, hierbei so nahe wie möglich an dem zu verhandelnden Problem zu bleiben. Die Dreharbeiten fanden in seinem Heimatdorf statt. Wie viele Dörfer in der Region, ist auch dieses von den Zwangsumsiedlungsplänen der KPCh, der Kommunistischen Partei Chinas, betroffen. Immer wieder kommen Beamte aus der Stadt und reißen gegen finanzielle Entschädigungen auch das Haus des Protagonisten ab. Youtie Ma selber stellte sich via Screening dem Berlinale-Publikum nicht als Schauspieler, sondern als Bauer vor. Seine Lebensrealität soll Dreh- und Angelpunkt des Filmes sein. Nicht zuletzt deshalb dauerten die Dreharbeiten ein Jahr an, weil die eigens dazu angepflanzten Felder auch wachsen mussten, um die alljährliche Lebensrealität der hiesigen Bevölkerung darzustellen.

Eine öffentlich geduldete Kritik

Ein Drama über Aufbau und Abriss, ein Drama über China? So liebenswürdig der Regisseur auch seinen Film im Vorfeld auf der Leinwand ankündigte, ist er keine Dokumentation über die realen Verhältnisse der dort lebenden Menschen. Das kann er nämlich gar nicht sein, weil der Film unter anderem von der China Film Administration gefördert wurde – einer Zensurbehörde. Die im Film gezeigte Kritik an den vorherrschenden Verhältnissen ist also eine öffentlich geduldete Kritik, die von der KPCh abgesegnet wurde. Und das merkt man dem Film von Li Ruijun an allen Ecken und Enden an. Die Dialoge sind teils recht plump. Aus den kurzen Sätzen, die oft nur beschreiben, was zu sehen ist, kann der*die Betrachter*in ein gewisses Maß an Kunst ablesen, doch allzu schnell driftet die Handlung ins Künstliche ab. Der Film muss vorsichtig sein und aufpassen, was er sagt.

Der Film kann als eine Parabel auf das Wirtschaftswachstum Chinas gesehen werden, das die Bauern in den Regionen Nordchinas nie erreichte. Das passt prima in Xi Jinping Kritik an die hiesigen Eliten im Land. Er geht hierbei mit der KPCh nicht hart ins Gericht, sondern mit den bösen Kapitalist*innen, die aus dem schnellen Wirtschaftswachstum hervorgegangen sind. Und so werden diese Kapitalist*innen derart böse und überspitzt dargestellt, dass der Film spätestens hier seinen künstlerischen Anspruch verliert und zu Propaganda wird. Das Zeugnis all jenen Übels in China stellt in diesem Film allen ernstes ein BMW da.

Plumpe Metaphern sind hierbei nur eines von vielen Beispielen, wie die Gier der neuen kapitalistischen Elite präsentiert wird. Ein Familienmitglied von Bauer Ma ist längst in die Stadt gezogen und lebt dort ein reiches Leben als Geschäftsmann. Er ist jedoch auf Blutspenden angewiesen, dazu auch noch auf die in China seltene Blutgruppe Rhesus negativ, die als „Panda Blut“ bezeichnet wird. Und die lässt sich Youtie Ma – natürlich – abpumpen. Die Symbolik leuchtet ein. Die Schwarz-Weiß-Sicht auf die Welt zementiert sich auch hier: Youtie Ma stellt im roten Tanktop Lehmziegel her und arrangiert sie in einem Kreis zum Trocknen. Die Kamera fährt raus, das Rot des Tanktops inmitten von Ziegeln – niemand soll vergessen, auf was der chinesische Kommunismus fußt. Eine offizielle Deutung der Handlung spielt immer mit rein. Das überschattet die Erzählung über das Paar, um das es neben all der Propaganda eigentlich hätte gehen sollen.


Foto: Hucheng No.7 Films Ltd