Zunehmend gewinnen Personen, die nicht weiß, heteronormativ oder Cisgenders sind, an Sichtbarkeit in Stremingdiensten und Online-Mediatheken. Heraus sticht dabei die Dramaserie Pose, die von der New Yorker Ballroom Community der späten 1980er bis 1990er Jahre handelt. Mit einem Cast aus mehrheitlich trans Personen überzeugt sie dabei durch Authentizität und starke Charaktere.

Pose, deren dritte und letzte Staffel am 23. September 2021 auf Netflix startete, erzählt von einer eher unbekannte Subkultur – der Ball Culture, die in den 1960er Jahren in den USA entstand und bis heute weit über die Landesgrenzen hinaus existiert. Ursprünglich wurde sie als Zufluchtsort für von Ausgrenzung, Rassismus, Homo- und Transphobie betroffenen Personen erschaffen, an dem diese ihre eigene Identität und Sexualität frei leben können. Die Serie spielt in New York und beginnt mit der ersten Staffel im Jahr 1987. In der ersten Folge sehen wir das House of Abundance, in dem Mutter und Ball-Ikone Elektra das Sagen hat.

Houses beschreiben selbst gewählte, familienähnliche Gemeinschaften, die von Szene-erfahrenen Müttern oder Vätern geführt werden. Ihre Aufgabe ist es, wie in traditionellen Familien auch, für ihre Kinder zu sorgen, sie zu unterstützen und auf die Balls vorzubereiten. Balls, das sind regelmäßig stattfindende Wettbewerbe, in denen Teilnehmer*innen in bestimmten Kategorien performen und gegeneinander antreten. Um beim nächsten Ball in der Kategorie „Bring it Like Royalty“ zu gewinnen, beschließt Elektra in der ersten Staffel Pose gemeinsam mit ihren Kindern aus einer Ausstellung für aristokratische Kleidung im Modern Museum of Arts zu stehlen. Nach einer erfolgreichen Flucht direkt auf den Ball, überzeugen die sieben mit voller Punktzahl und werden im Anschluss vor Ort von der Polizei festgenommen. Ihrem Ruhm kann dies wenig Abbruch tun, denn Mutter Elektra hält es nach dem Motto: „I look too good to not be seen“ und inszeniert die Festnahme kurzerhand als Teil ihrer Performance.

Ballroom, Rassismus und Diskriminierung

Pose inszeniert die Balls als Events voll Glamour und Ekstase, in denen die Teilnehmer*innen mit pompösen Kostümen, zum Beispiel als Schneekönigin in Kategorien wie “Stonecold Face” durch extravagante Performances bezaubern. Die Stimmung ist stets auf dem Höhepunkt, die Musik energetisch und das Voguing der Protagonist*innen beeindruckend. Voguing beschreibt einen in der Szene entwickelten körperbetonten Tanzstil, bei dem sich die Bewegungsabläufe an Modeposen orientieren. Der Name leitet sich entsprechend aus der Modezeitschrift Vogue ab. Ebenso großartig wie die Auftritte der Teilnehmer*innen sind die gewonnenen Trophäen, die aufgrund ihrer Größe teils auf Bollerwagen nach Hause transportiert werden müssen.

So glanzvoll die Bälle erscheinen mögen, so teilweise niederschmetternd beleuchtet die Serie die Alltagsrealität ihrer Charaktere. In den 1980er Jahren waren die Mitglieder*innen der Ballroom-Szene vor allem Latino und Schwarze Personen, die Ablehnung und Ausgrenzung nicht nur durch die Mehrheitsgesellschaft erfahren haben. So wird Blanca, Mutter des House of Evangelista, aus einer Schwulenbar geworfen. Als sie laut protestiert, ruft der Besitzer die Polizei. Die erhoffte Solidarität durch den einzigen anderen nicht-weißen, jedoch cis-männlichen Gast bleibt aus und ihr Abend endet in einer Polizeizelle. Angel, ein Kind Blancas, bekommt indes bei ihrer Bewerbung in einem Frauenbekleidungsgeschäft gesagt, dass dort nur „richtige“ Frauen arbeiten würden. Solche Szenen, die in unterschiedlichen Konstellationen immer wiederkehren, verdeutlichen die mehrfache Marginalisierung der Protagonist*innen. Das Geld ist immer knapp und wird primär durch verschiedene Formen der Sexarbeit generiert. Der Wunsch nach ökonomischem und sozialem Aufstieg eint fast alle Charaktere. Ebenso wie der Bruch mit der Herkunftsfamilie, die entweder nie wirklich für sie da war oder aufgrund ihrer Homosexualität oder trans Identität verstoßen hat.

Neben sozialen und ökonomischen Problemen geht es in Pose auch um Liebe und Beziehungen, nicht nur in ihrer romantischen Form, sondern auch die zu sich selbst. Der eigene Körper, der zu Unzufriedenheit und Unsicherheiten bei den Protagonist*innen führen kann, wird gleichzeitig von Freiern und Liebhabern fetischisiert. Als Angel ihren Liebhaber Stan fragt: „Do you think of me as a real woman?“, kann dieser die Frage nicht eindeutig beantworten.

Ein weiteres Thema ist die Aids-Epidemie, die sich in den 1980er Jahren rasant in New York auszubreiten begann. Bereits zu Beginn der ersten Staffel werden zwei Hauptcharaktere, Blanca und ihr bester Freund Pray Tell, mit dem Virus diagnostiziert. Zentral wird das Thema HIV und seine Auswirkungen für die LGBTQ-Community in der zweiten Staffel, die zu Beginn der 1990er Jahre spielt. Zu dieser Zeit waren wirksame HIV-Medikamente noch nicht auf dem Markt, und so bleiben Blanca und Pray Tell nicht die einzigen mit der lebensbedrohlichen Diagnose. Ob selbst betroffen oder als Angehörige*r, HIV und Aids sind stets präsent in Alltag und Leben der Protagonist*innen, die mit entsprechenden Ängsten und Verlusten umgehen müssen. Deutlich zeigt sich hier auch der vorherrschende Rassismus und die Diskriminierung im Gesundheitssystem, die marginalisierten Personen keinen oder nur einen erschwerten Zugang zu neuen, wirksamen Therapien und entsprechenden Teststudien gewähren. Doch trotz aller Hürden und Niederlagen stellen sich im Leben der Protagonist*innen auch Erfolge ein, sei es in der Liebe oder beim Geld, und so erscheint ihre Situation nicht durchgehend deprimierend. Vor allem die dritte Staffel, die den persönlichen und politischen Kampf für Gleichberechtigung und Akzeptanz der Protagonist*innen thematisiert, lässt die Zuschauer*innen auf ein Happy End hoffen.

Größter trans Personen Cast der US-amerikanischen Seriengeschichte

Pose Erfinder Steven Canals sagt, dass er mit der Serie zunächst vor allem Schwarze, Latino, queere und trans Personen adressieren wollte, die er selbst auf der Leinwand vermisst hat. Schlussendlich öffnete er die Serie doch einem breiteren Publikum. „Ich musste nur sicherstellen, dass ich eine ehrliche, wahrhaftige Geschichte erzähle“, sagte er gegenüber der FAZ, und das ist ihm gelungen. Die Hauptdarteller*innen von Pose sind fast ausschließlich nicht-weiß, nicht hetero und/oder trans Personen und somit hat die Serie den größten Cast an trans Personen in der US-amerikanischen Seriengeschichte. Dass die Darsteller*innen vor allem sich selbst spielen, macht die Serie ehrlich und authentisch zugleich. Viele von ihnen kennen die Ballroom-Szene, waren oder sind selbst Teil von ihr. Elektra-Darstellerin Dominique Jackson, Indya Moore (Angel) oder auch  M. J. Rodriguez (Blanca) haben laut Medienberichten ähnliche Erfahrungen mit Ablehnung und Ausgrenzung durch ihre Umwelt gemacht. Pose ermöglicht nicht nur Außenstehenden innerhalb der Mehrheitsgesellschaft einen Einblick in eine unbekannte Subkultur und somit ein Verständnis für das Leben mehrfach marginalisierter Personengruppen. Die Serie schafft auch ein verbindendes Moment zu trans Personen außerhalb der Gemeinschaft, die hier eine gewisse Form von Bestätigung der eigenen Existenz erfahren können.

Um ihre „Integrität“ und „Pointiertheit“ zu wahren, endet die Serie mit der dritten Staffel, so Canals im Interview mit der FAZ. Dennoch ist das Skript von Pose nicht perfekt geschrieben. Vor allem die Übergänge zwischen den einzelnen Staffeln können einige Fragen bei den Zuschauer*innen aufwerfen. So verschwinden zuvor zentral erscheinende Nebencharaktere in der nächsten Staffel, während andere plötzlich als fester Bestandteil im Leben der Protagonist*innen etabliert sind. Auch einer der Hauptcharaktere wird kurz vor Ende der dritten Staffel überraschend aus der Serie rausgeschrieben. Trotz dieser wenigen schwachen Momente, überzeugt Pose durch ihre starken und zugleich liebenswert aufmüpfigen Hauptcharaktere. Kaum eine Serie lehrt auf eine solch empathische und humorvolle Weise über Realitäten und Vorstellungen einer Welt, die bislang wenig Raum in der (medialen) Öffentlichkeit hat.

Wer neben Pose mehr über die Ball Culture erfahren möchte, dem empfehle ich die Dokumentation Paris is burning von Jennie Livingston.


Illustration: Céline Bengi Bolkan