Home Berlinale Die Gräuel des Patriarchats in Maryna Er Gorbachs „Klondike“

Die Gräuel des Patriarchats in Maryna Er Gorbachs „Klondike“

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Irka und ihr Mann Tolik erwarten ein Kind, als eine verirrte Artilleriegranate in ihr Wohnzimmer einschlägt. Ihr bescheidenes Glück im ostukrainischen Gebiet Donezk ist je vorbei. Das Werk der Regisseurin Maryna Er Gorbach handelt von einem Krieg, in dem alle verlieren.

Der Film beginnt sprichwörtlich mit einem Knall. Während sich der Staub legt, fährt die Kamera einmal durch das Wohnzimmer der hochschwangeren Irka und ihrem Mann Tolik. Diesen Film machen allein die Kamerafahrten sehenswert. Nachdem sich der Staub gelegt hat, lugt der Krieg durch die eine Wand in das Wohnzimmer des Paares. Ironischerweise war diese mit einem Palmenpanorama tapeziert.

Maryna Er Gorbach erzählt mit ihrem Film jedoch nicht nur die dramatischen Juli-Tage des Referendums von 2014, in dem sich die Volksrepublik Donezk gründete. Sie zeigt den Krieg, wie er wirklich ist, aus Sicht jener, die nicht an den Kartentischen dieser Welt stehen. Irka und Tolik, gespielt von Oxana Cherkashyna und Sergiy Shadrin, wissen nicht, wie ihnen geschieht. Über den ostukrainischen Weiten flimmert die Hitze. Der Rasen ist verbrannt und vom Krieg nichts zu sehen. Doch schon knallt es wieder – die Bedrohung liegt unsichtbar nahe an den Protagonist*innen und Zuschauer*innen des Films.

Das Panorama eines beispiellosen Verbrechens

Maryna Er Gorbach gelingt es, die Zerrissenheit eines Landes aus größter Nähe zu zeigen und zu sezieren. Toliks prorussische Separatistenfreunde verlangen von ihm, sich ihnen anzuschließen. Allein er will kein Krieger sein. Irkas Bruder Yaryk hingegen, gespielt von Oleg Scherbina, verurteilt Tolik als Russenfreund, als Feind der Ukraine. An ihnen, wie an den meisten männlichen Figuren des Films, zeigt sich die große Uneinigkeit darüber, wie Frieden zu schaffen ist. So versuchen zum Beispiel Tolik und Yaryk gemeinsam aus dem Schutt eine neue Mauer für das Wohnzimmer hochzuziehen. Der gemeinsame Bau an der Mauer, das zusammentragen gebrochener Ziegelsteine, den achtlos hingeklatschten Zement zwischen den Fugen – in ihrer Wut aufeinander spiegelt sich das pure Unvermögen, etwas gemeinsam zu erschaffen.

Das alles zeigt der Film mit einer Wucht. Das Malaysischen Passagierflugzeugs MH17 wird von einer russischen Abwehrrakete abgeschossen. Während die Separatisten auf den Feldern hinter Toliks und Irkas Haus die Spuren ihrer Tat verwischen, spitzt sich auch der Konflikt zwischen Tolik und Yaryk, dramatisch zu. Schließlich sperrt Tolik Irkas Bruder ohne ihr Wissen im Keller ein, nicht fähig den Vorwürfen, er sei ein Russenfreund, auf andere Weise zu begegnen. Und so handelt Klondike auch vom Vertuschen. Der Film zeigt Männer, die für alles bereit zu sein scheinen und ihre Fehler nicht eingestehen können. Auf den verblühten Sonnenblumenfeldern der Ostukraine zucken die Taschenlampen und spähen nach Leichen. Männer, die Krieg spielen, wollen ihre Leichen verstecken.

Das Patriarchat kommt in Maryna Er Gorbachs Klondike nicht gut weg und das ist die große Stärke dessen, was die Regisseurin mit ihrem Film erzählen möchte. Im Zentrum der Handlung steht eine hochschwangere Frau, die in einer durch Männer lebensfeindlich gemachten Welt lebt. Sie ist Zeugin des Unvermögens jener, die von Krieg, Staat und Freiheit sprechen, wie vom Wetter; die ihre Maschinengewehre wie Spielzeug in Händen halten, posieren, und das Mensch-sein scheinbar verloren haben. In Maryna Er Gorbachs verlieren alle. Das Familiendrama zeigt die Schrecken des Krieges durch die Unbeholfenheit jener, die ihn ausgelöst haben.


Foto: Kedr Film