Einmal die Welt vor hunderten von Jahren sehen und erleben. Ein Traum, den sicher viele innerlich hegen, ohne die Erfindung einer Zeitmaschine jedoch als unerreichbar erachten. Eine Meditationsübung soll Abhilfe schaffen. In 30 Minuten den Sprung in die Vergangenheit wagen. Unsere Autorin startet den Selbstversuch. 

Es ist kurz nach Mitternacht und ich bin erneut Opfer des YouTube-Algorithmus geworden. Heutiges Abendprogramm? Kaum lauffähige Kinder, die ihren Eltern, Verwandten und allgemein ihrer gesamten Umgebung Angst mit ihren detaillierten Erzählungen vergangener Leben einjagen. Eben jene, die sich an Häuser an englischen Küsten erinnern oder wie sie ein Flugzeug im Ersten Weltkrieg flogen. Und obwohl ich mich gerne als rationalen Menschen bezeichnen würde, machen mich diese Videos stutzig. Gibt es sowas wie Reinkarnation? App-Wechsel. Ich bin bei Google und beginne meine Recherche. Reinkarnation, Wiedergeburt, Tod. Und inmitten all dessen: Past Life Regression. Ein Trend aus dem Internet, der auch mich kurz fesselt.

Die Suche nach der Vergangenheit, in der Vergangenheit

Hinter dem Begriff Past Life Regression versteckt sich eine Form der Meditation, die verspricht, als Portal zur Vergangenheit fungieren zu können. Zeitgleich soll sie das geeignete Instrument sein, Phobien, Angstzustände und sogar Depression im Diesseits zu heilen. Besonders letzteres erscheint mir suspekt. Auch die Online-Welt scheint fasziniert zu sein. Auf mehreren Plattformen erzählen User*innen von ihren Sessions, mal emotional, mal erleuchtend, mal jedoch ernüchternd. Die Geschichten variieren auch. Einige werden kurzerhand zu Fabrikarbeiter*innen im industriellen London, Aristokrat*innen Frankreichs des 17. Jahrhunderts oder finden sich in Berühmtheiten wieder. Lady Diana ist hierbei ein ‘Fan-Favourite’. Das Ganze erscheint mir noch immer suspekt. Zumal der Gedanke nahe liegt, dass es sich bei dem Gesehenen um eine Collage zuletzt gesehener Netflix-Historien-Dramen mit persönlicher Note handeln könnte.

Bei der gezielten Suche nach Past Life Regression wird man zudem nahezu bombardiert mit Erfahrungsberichten, Meditations-Guides und Foren zum Austausch. Aber auch die akademische Welt gibt einiges her. Ursprünglich kommt Past Life Regression aus Indien, aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert. Die Begründung dieser Praxis wird dem indischen Gelehrten Patanjali zugesprochen. Die meisten kennen ihn wohl eher als Verfasser des klassischen Leitfadens des Yogas. Sein Verständnis der Reinkarnation des Menschen ist hierbei zentral. Denn prati prasav, wie Past Life Regression eigentlich heißt, soll dazu dienen, heutige Probleme zu bewältigen, die ein Überbleibsel der Konflikte voriger Seelen darstellen würden. Obwohl auch andere Kulturen und Glaubenspraxen wie die religiöse Mythologie Chinas oder der Jainismus sich auf das Anrufen vergangener Seelen und Leben beziehen, stellt die Praxis prati prasav den Ausgang heutiger Meditationen wie der Past Life Regression dar.

Mit dem Zuwachs okkulter Praxen – Stichwort Seance – im Europa des 19. Jahrhundert, erhält auch Past Life Regression Einlass in westliche Stuben. Berühmte Beispiele sind hierbei die Trance Edgar Cayces aus dem Jahre 1923 oder der von Bridey Murphy 1952. Letztere ließ ihr Leben als irische Frau des 19. Jahrhundert Revue passieren.

Vom Schulhof in das Bauernkleid

Doch nun zum spannenden Teil. Das Selbstexperiment. Hierbei bediente ich mich zahlreicher Online-Meditationen, die das Internet so hergibt. Sie variieren zwischen 30 Minuten bis hin zu einer Stunde. Doch folgen sie meist dem selben Skript: Zunächst wird versucht, einen Zustand der totalen Entspannung zu erreichen. Dieser Teil war tatsächlich sehr entspannend und führte nicht zu einem unfreiwilligen Mittagsschlaf, wie ich erst fürchtete. Neben Atemübungen lag der Fokus besonders auf der Imagination eines Ortes der Ruhe, zumeist ein Garten. Obwohl ich mich als kreativen und besonders visuellen Menschen bezeichnen würde, fiel mir dieser Teil schwer. So war die Bank, auf der ich platz nehmen sollte, erst weiß gestrichen, dann grün, plötzlich war sie vollkommen verschwunden und vor meinem geistigen Auge wieder alles schwarz.

Es kommt zum Szenenwechsel und ich befinde mich inmitten einer Kindheitserinnerung. Egal ob der erste Schultag, Weihnachten bei den Großeltern oder die erste Klassenfahrt. Das Bild, welches sich als erstes offenbart, wird auch beibehalten. Selbst wenn es, wie in meinem Fall, so etwas Banales ist, wie auf dem Grundschulhof zwischen Klettergerüst und Fahrradständern zu stehen. Und dann ist da die Treppe, mitten in der Erinnerung reicht sie bis in den Himmel und in den Boden hinein. Plötzlich soll alles dunkel werden und man befindet sich vor einer Tür, welche in einen hellen Korridor führt. Erneut fehlt meinem Gehirn die Vorstellungskraft, bis auch ich endlich in einem weißen Korridor stehe. Von dort geht es mit Countdown schon in die Vergangenheit. Auch hier gilt das Gebot: Das erste Bild ist das Richtige. Einen Umstand, den ich nicht bedacht habe: Jegliche Art von Countdowns löst in mir Stress und Performance-Druck aus. Nach zwei-drei Atemzügen hat sich aber auch dieses Problem gelegt.

In all meinen Selbst-Hypnosen sehe ich mich als junge Frau mit einer Verbindung zur Natur. Vermutlich im 15. oder 16. Jahrhundert. Ob dieses wiederkehrende Bild einfach an der Routine lag oder wirklich einen Einblick in meine Psyche gibt, gilt es noch zu entschlüsseln. Denn ich als Stadtkind mit einem großen Repertoire an Plastikpflanzen sehe mich nicht unbedingt als große Wildnisenthusiastin oder Naturmenschen an. Nachdem die Umgebung nun aufgenommen wurde, geht es daran, ein prägendes Ereignis rekapitulieren zu lassen. Was dieses war, bleibt ein Geheimnis, doch muss ich erwähnen, dass ich jedes Mal einen Schub Emotionen erlebte. Als empathischer Mensch ist das keine Seltenheit, doch wirklich Tränen in den Augen zu haben oder ein plötzliches Druck- oder Angstgefühl auf der Brust zu spüren, war eine recht interessante Erfahrung. Dies ist auch das Echo online. So berichten User*innen von plötzlichen Heulkrämpfen oder tagelanger Beschäftigung mit dem Erlebten. Aus der Past Life Regression erwacht, spüre ich eine tiefe Entspannung, ja sogar Leichtigkeit. Tiefere Erkenntnisse über meine Psyche blieben mir jedoch verwehrt.

Past Life Regression oder Past Life Obsession?

Meine Erfahrungen mit Past Life Regression decken sich somit auch mit den Ergebnissen psychologischer Studien zur Thematik. Schließlich versuchten auch diese, das Mysterium des Vergangenheits-Erlebnisses aufzudecken. Schlussendlich konnte jedoch nicht der Beweis einer Konsultation vergangener Leben erbracht werden. Aus akademischer und besonders naturwissenschaftlicher Sicht kaum überraschend. Doch war dies auch nicht das genaue Ziel der Studien. Eben jene versuchten, durch die bildlichen Konstruktionen ihrer Proband*innen den heilenden Mehrwert der Praxis zu erforschen. Sprich, der Frage auf den Grund gehen, ob die Past Life Regression dabei helfen kann, Phobien, psychischen Druck und Blockaden zu lösen. Ehrlich gesagt war dies wohl auch meine Zielsetzung zu Beginn der Hypnose. Einfach einen Einblick in mein Inneres erhalten.

War diese Erfahrung interessant? Ja. Habe ich mir trotz anfänglicher Skepsis mehr erwartet? Auch ja. Dennoch bin ich mir in einem bewusst. Ich bin als Laiin in eine spirituelle Erfahrung gegangen. Auch wenn der Charme der PLR laut Enthusiast*innen in eben jener Leichtigkeit und Anfänger*innenfreundlichkeit liegt, denke ich noch immer, dass mir das gewisse Etwas fehlte, um das Erlebte intensivieren zu können.


Dieser Text ist in der UnAufgefordert #257 zum Thema Träume und Zukunft erschienen. Weitere Beiträge aus dem Heft lest ihr hier.

Foto: Will Paterson