Bong Joon Ho’s neuer Science-Fiction-Film mit Robert Pattinson in der Hauptrolle hat seine Deutschlandpremiere auf der Berlinale in Anwesenheit des Regisseurs und des Casts gefeiert. Es geht um Kapitalismus, Liebe und Populismus.
Wer sich etwas im aktuellen Kino auskennt, weiß dass Robert Pattinson schon seit langem nicht mehr den Vampir Edward Cullen aus Twillight oder den umschwärmten Cedric Diggory aus Harry Potter verkörpert, sondern seinen Weg in die Filme von hochdekorierten Regisseuren gefunden hat und dort eine wahnsinnig gute Figur macht. Ob unter Christopher Nolan in Tenet, Robert Eggers in The Lighthouse oder zuletzt Matt Reeves in The Batman, auf sein Auge für gute Drehbücher und schauspielerische Finesse ist Verlass. So auch dieses Mal, wie er selbst im Rahmen der Berlinale sagt: Bong Joon Ho, der mit Parasite vier Oscars und die Goldene Palme in Venedig geholt hat, ist ein solcher „Bucketlist“-Regisseur, bei dem man auch zusagt, ohne das Skript gelesen zu haben.
Und das Drehbuch hat es in sich: Pattinson verkörpert den Pechvogel Mickey Barnes, der eigentlich nur einen Macaron-Laden mit seinem Freund Timo (Steven Yeun) eröffnen wollte, sich aber plötzlich in den Fängen von Darius Blank, einem der gefährlichsten Kredithaie, wiederfindet. Der hat zwar genug Geld für den Rest seines Lebens, sieht aber seine Schuldner gerne leiden und verfolgt sie deshalb gnadenlos. Um seinem Schicksal der Zerstückelung durch Blanks Schergen zu entgehen, meldet er sich als Expendable für eine Mission im All. Ein Expandable ist ein Mensch, dessen Erinnerungen und genetische Merkmale gespeichert werden und der danach beliebig oft kopiert werden kann. Da die ethischen und rechtlichen Implikationen von solch einer Technik für die Erde nicht auszudenken wären, ist dies nur im All für besonders gefährliche Arbeiten oder als Laborratte erlaubt.
Politisch wurde dieser Menschen-Kopierer von Kenneth Marshall, von einem mal wieder fantastischen Mark Ruffalo gespielt, verteidigt, der nach zwei verlorenen Wahlen zu einem neuen „reinen“ Planeten aufbrechen möchte, um ihn zu besiedeln. Dass Marshall eine Satire auf den aktuellen Präsidenten der USA sein soll, ist nicht nur an den roten Caps seiner Anhänger und seiner Sprechweise klar zu erkennen: Er nutzt auch den Wahlslogan „One and Only“, was an Trumps „America first“-Parole aus seinem ersten Wahlkampf erinnern lässt. Diese isolationistische Haltung hat dazu geführt, dass „America First“ international als „America alone“ verrufen wurde, wo wir wieder sehr nah bei Marshalls „One and Only“ wären. Mickey 17 führt den aktuellen Populismus ad absurdum, indem er Marshall zunächst alles durchsetzen lässt und zeigt, wie es ausgehen würde, wenn man an nichts anderes als den eigenen Vorteil denkt. Seine politische Identität stützt sich nur auf eine vermeintliche Volksnähe, die aber de facto seine elitäre Haltung maskiert, und die Erzeugung von gewaltigen Bildern. Diese werden vom Oberhaupt seiner Kirche beziehungsweise Firma, die Charaktere verwechseln es auch regelmäßig, zurück an die Erde gesandt, um effektive Propaganda zu verbreiten und das politische System dort ins Wanken zu bringen. Wer sich gerade im republikanischen Amerika umschaut, sieht diesen religiösen Fanatismus an allen Ecken. Es wird eine Version des Christentums erschaffen, die die Schrecken des Kapitalismus unterstützt und keinerlei politische Gegenstimme mehr bieten kann. Werte wie Nächstenliebe und Vergebung weichen Selbstdarstellung und Propaganda.
Während Mickey also seinem Job – dem Sterben – nachgeht, lernt er Nasha (Naomi Sarah Ackie) kennen. Sie schafft es, ein Lichtblick in seinem Leiden zu sein und etwas Humor in sein Leben zu bringen. Nasha ist in der Kolonie eine Allround-Agentin, sie schützt Kenneth Marshall und ist als eine Art Polizistin tätig. Sie kann alle gedruckten Versionen von Mickey auseinanderhalten und ihre Eigenheiten erkennen. So gestattet sie Mickey durch ihre Liebe eine eigene Identität zu, die bei Expendables systematisch unterdrückt wird. Nicht zuletzt dadurch, dass er statt seinem Nachnamen eine Nummer bekommt und so immer mehr an Individualität verliert. Auch führt er immer wieder das gleiche Gespräch mit allen anderen Kolonist*innen. Jeder fragt ihn: „Wie fühlt es sich eigentlich an, zu sterben?“ Jeder, außer Nasha: Sie verteidigt seine Würde immer wieder mit Nachdruck. Ihr Charakterdesign ist ein großartiges Beispiel für einen komplexen weiblichen Charakter, der auch wütend sein darf und Fehler machen kann, aber von einer tiefen Loyalität und Glauben an die Menschen durchzogen ist. Diese Liebe gibt dem Film eine Herzlichkeit und ihre Aufopferungsbereitschaft sorgt für die ein oder anderen feuchten Augen.
Der Planet, den sie letztendlich erreichen, heißt passenderweise „Niflheim“, was ein Begriff aus der nordischen Mythologie für die ursprünglichste aber auch unterste und kälteste der drei Welten ist. Sie steht im Gegensatz zu dem obersten „Asgard“, wo die Götter wohnen, und dem mittleren „Midgard“, wo die Menschen wohnen. Alle drei Welten sind durch die Weltenesche „Yggdrasil“ miteinander verbunden und gestützt, die den ganzen Kosmos symbolisiert. In Niflheim nagt allerdings der Drache „Nidhöggr“ an ihr und vergiftet sie. Hierin könnte man auch einen Verweis auf den trumpschen Populismus, verkörpert durch Kenneth Marshall, sehen, der den Diskurs und Zusammenhalt unter den Menschen zerstört. Eine der größten Ziele der gegenwärtigen Politik muss es sein, einen Weg zu finden, zu verhindern, dass die sogenannten Blasen im Internet sich nicht zu sehr verselbstständigen und alle eine gemeinsame Realität teilen. Sobald Yggdrasil verwelkt ist, brechen wortwörtlich alle Welten aufeinander ein. Aber diese mythologische Dimension enthält auch andere Hinweise: In der nordischen Mythologie wird das Weltenende „Ragnarök“ dadurch ausgelöst, dass die Götter, in dieser Interpretation die demokratischen Kräfte, untereinander streiten und Loki, einen von ihnen, hart bestrafen. Bong Joon Ho lässt einzig durch die Benennung eines Ortes neue Möglichkeiten für die Analyse zu.
Auf diesem Planeten eröffnet sich dann ein völlig neues Diskursfeld: Es leben dort bereits Kellerassel-ähnliche Wesen. Obwohl diese zunächst furchteinflößend wirken, scheinen sie doch gar nicht so gefährlich zu sein, denn als Mickey 17 in eine Höhle stürzt und zum Sterben zurückgelassen wird, scheinen sie ihm helfen zu wollen und bringen ihn zurück an die Oberfläche. Doch die anderen können nicht glauben, dass diese Wesen zum Denken und zur Selbstlosigkeit fähig sind. Im Verlauf des Filmes müssen die anderen Kolonist*innen sich fragen, ob sie bereit sind, Kenneth Marshall in seinem blinden Hass gegen alles Andere zu folgen, oder ob sie nicht Wege finden können, zu koexistieren. In diesem Kontext wird auch die Rolle der Wissenschaft und Rationalität beleuchtet. Auch ein so mächtiger Mann wie Marshall kann sich Fakten nur eine kurze Zeit selbst aussuchen, bis ihn die Realität einholt. Das ist ebenfalls im heutigen Diskurs zu sehen, gerade in Zeiten von Fake News, und da wissenschaftliche Einrichtungen hart von den derzeitigen Haushaltskürzungen betroffen sind.
Dass Mickey 17 gerettet wurde, wirkt zunächst wie ein großes Glück, doch mit seiner Rückkehr erkennt er schnell: Es gibt bereits einen Mickey 18, der nicht ganz so rücksichtsvoll wie 17 ist und versucht, ihn umzubringen. Sogenannte „Multiples“ werden nämlich mit vollständiger Auslöschung bestraft. Auch wenn in diesem Fall keiner der beiden etwas dafür kann. Im weiteren Verlauf lernen jedoch beide Mickeys nicht nur, sich Nashas Zuneigung zu teilen, sondern die Stärken des anderen anzuerkennen und für das größere Ziel zu nutzen.
Mickey 17 thematisiert auf eine so elegante Weise Populismus, Liebe und Fragen der Endlichkeit unseres Daseins, dass der Zuschauende sich nie belehrt fühlt. Das liegt auch daran, dass der Film vor allem eine Komödie ist. Viele Witze sind messerscharfeSatire, viel aber auch etwas plumper Slapstick. Das schadet der Nachricht aber überhaupt nicht, nein, es vertieft sie nur. Sowohl der Film als auch unser politischer Diskurs kann passiv betrachtet werden, sobald man aber etwas Zeit mit ihm verbringt und tiefer darüber nachdenkt, eröffnen sich zahlreiche Tore der Allegorie und Interpretation, die den Film zu einem erneuten Meisterwerk Bong Joon Hos macht.
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