Direct Action des Regieduos Guillaume Cailleau und Ben Russell beschäftigt sich mit einem der größten linksautonomen Projekte Frankreichs, folgt dabei aber leider der Devise, „wenn schon inhaltsleer, dann wenigstens richtig lang“. Ein ärgerlicher, obwohl vielleicht unfreiwillig aufklärerischer Film.
In Frankreich steht das weithin bekannte Akronym ZAD für „zone à défendre“ – Verteidigungszone. Ähnlich wie hierzulande die Baumhäuser im Hambacher Forst entstanden die Projekte ursprünglich durch ökologisch motivierte, linksautonome Gruppen. Klimaschutz und eine Art romantischer Antikapitalismus verbanden sich darin zu erfolgreichen sozialen Bewegungen, um groß angelegte Investorenprojekte zu stoppen.
Die wohl bekannteste ZAD in der französischen Gemeinde Notre-Dame-des-Landes, unweit der Stadt Nantes, entstand 2012 als Protest gegen einen geplanten Flughafenbau in unmittelbarer Nähe eines Naturschutzgebiets. 2018 fand hier eine Entscheidungsschlacht zwischen Besetzer*innen und Polizei statt, bei der deren brutales Vorgehen für landesweite Aufregung und erbitterte Diskussionen über Polizeigewalt sorgte.
Jetzt, einige Jahre später, hat das französisch-US-amerikanische Regieduo Guillaume Cailleau und Ben Russell einen Film über ebendiese ZAD gedreht, der auf der Berlinale Premiere feierte: Direct Action, so der vielversprechende Titel, sollte „Aktionsformen des Protests“ zeigen, „bei denen die Beteiligten selbst tätig werden, um ihre Interessen unmittelbar durchzusetzen.“ So weit, so gut. Dass die Proteste nach 2018 eigentlich befriedet wurden, die Besetzer*innen als Sieger herausgingen und die Planungen für den Flughafen, der in dem Naturschutzgebiet entstehen sollte, inzwischen gestrichen sind, wurde allerdings in der Vorankündigung nicht mitgeteilt. Ein grober Schnitzer, wie sich herausstellte.
Denn der langatmige Film ging offensichtlich nicht nur dem Publikum in der AdK gewaltig auf den Wecker: Auch die darin dargestellten, allesamt namenlos bleibenden Aktivist*innen scheinen nicht so wirklich begeistert davon zu sein, von den beiden Filmemachern verfolgt zu werden und schauen immer wieder angenervt in die Kamera. Zurecht: Was ist das bitte für ein Film, der aus endlosen, vollkommen statischen Szenen besteht, wobei der Fluchtpunkt eines jeden Bildes eigentlich immer im Zentrum liegt? Alle Kameraeinstellungen dauern dabei mindestens fünf Minuten, in denen meistens ziemlich exakt nichts passiert – es kann aber auch noch länger dauern. Endlose, unkommentierte Aufnahmen von… Naja, von was denn eigentlich? Irgendwie uninspirierte Leute stehen da im Bild, die mit Maschinen Holz spalten oder sägen, während sie nichts sagen. Viel später eine unerträglich lange Szene, die eine Aktivistin zeigt, die im Wald ihre Motorsäge schleift, im Hintergrund ist nichts anderes zu hören als das nervtötende Geräusch anderer Sägen. Natürlich sagt sie: nichts. Einmal ist der Regisseur Cailleau persönlich zu sehen, während er sich über eine gefühlte Ewigkeit einen Kaffee macht, sonst passiert nichts; ein anderes Mal kann sich das Publikum immerhin an wiederkäuenden Pferden erfreuen (Frage: Können Pferde überhaupt wiederkäuen? Glaube nicht – aber in der exorbitant langen Zeit, die sich der Film für solche Einstellungen nimmt, könnten sie es wahrscheinlich lernen).
Man könnte jetzt argumentieren, das Ganze sei eben Avantgarde – im Sinne von, „wir machen es nicht fürs Publikum, wir machen es für uns“. Das hieße aber, die echte, historische Avantgarde schwer zu beleidigen: Denn was für jene ästhetische Innovation und engagiertes Denken war, weicht in Direct Action vollkommener, dreieinhalbstündiger, nichtssagender Inhaltslosigkeit. Nicht ein einziges sinnvolles Gespräch wird in diesem Film geführt, geschweige denn, dass mal ein Konflikt verhandelt würde. Zwar gibt es eine Szene, in der (natürlich ausschließlich Männer) endlos lange und umständliche Strategien für eine Demonstration vorstellen, dabei schwenkt die Kamera auf die apathisch dasitzenden Aktivisten. Niemand antwortet oder wirft irgendetwas ein. Alle scheinen mit völliger Lethargie geschlagen. Das Schlimme: Das ist alles nicht mal intendiert.
Der anstrengende Bierernst des Films wird nur an einer einzigen, vielleicht der schönsten Stelle, ironisch gebrochen: Nachdem eine Aktivistin einmal mehr eine endlose Passage über Strategien des Schweigens in der U-Haft vorgelesen hat, schwenkt die Kamera ganz langsam um. Man möchte meinen, ein Kreis wissbegieriger Genoss*innen lausche auf der Wiese ihren weisen Worten. Doch was da liegt ist einzig und allein ein gemütlich grunzendes Schweinchen. Die folgenden Streicheleinheiten für das tiefenentspannte Tier sind die wohl zärtlichsten Momente in den wohl zähesten dreieinhalb Stunden der diesjährigen Berlinale.
Da stellt sich am Ende die Frage: Was soll das Ganze jetzt? Warum zu so einem Film überhaupt eine Kritik? Vielleicht schlicht deshalb: Das filmische Monumentalgrab für jegliche Motivation auf linksautonomen Aktivismus wirft ganz ungewollt die drängende Frage auf, ob es angesichts weitreichender gesamtgesellschaftlicher Krisen noch reicht, sich in öko-hippieesken Gesinnungsgemeinschaften vor der Welt zurückzuziehen? Muss linker Aktivismus so lethargisch, ideologisch verknöchert, stinklangweilig sein, wie er hier dargestellt wird? Oder kann er vielmehr – wie der Rechtsradikale Mario Müller vor nicht allzu langer Zeit bei einem bekannten Treffen bei Potsdam proklamierte – die größte Gefahr für die aufstrebenden Faschisten darstellen? Dazu bedürfte es, statt endloser Selbstdarstellung, der produktiven, engagierten Auseinandersetzung mit ernsthaften gesellschaftlichen Fragen. Hier jedoch werden sie nicht einmal gestreift.
Foto: © CASKFILMS @Berlinale Stills