Wird Kolumbus in einem Gespräch erwähnt, dann meist im Zusammenhang mit der Entdeckung Amerikas. Eine Leistung, die ihm weder gerechterweise zugeschrieben werden kann, noch aus globaler Perspektive eine Heldentat darstellt. Denn Kolumbus hat Amerika nicht entdeckt.

Heute gehört es zum Allgemeinwissen, dass Kolumbus Amerika entdeckt haben soll. Selbst in den gegenwärtigen Kinderbüchern über Entdecker taucht in Bezug auf die Entdeckung Amerikas auf den ersten Blick Kolumbus auf. So wird im Buch Weltgeschichte für junge Leserinnen die Aussage „1492: Kolumbus entdeckt Amerika” visuell hervorgehoben oder das illustrierte Buch Atlas der Entdecker widmet Christoph Kolumbus ein ganzes Kapitel in Zusammenhang zur Entdeckung Amerikas.

Doch Kolumbus fand Amerika bestenfalls nach vielen Jahren des Vergessens wieder. Damit ebnete er den Prozess der kolonialistischen Ausbeutung und der systematischen Ermordung indigener Völker. Die Beschreibung dieser Ausbeutung als die Entdeckung Amerikas folgt einem eurozentrischen Narrativ. Ein Narrativ, das im schlimmsten Fall die Tatsache verkennen kann, dass die Geschichte Amerikas von der Machtgier der europäischen Höfe, in diesem Fall des spanischen Königreichs, geprägt wurde. Diese wollten einen schnelleren Seeweg nach Indien finden. Kolumbus fuhr nach langer Finanzierungssuche deshalb in die Gegenrichtung, um die Kenntnis auszunutzen, dass die Erde rund ist.

Im Jahr 1492 stieß Kolumbus schließlich auf den Kontinent und glaubte, Indien entdeckt zu haben – daher auch die Bezeichnung Indianer für die Ureinwohner*innen Amerikas. Aber wie konnte Kolumbus ein Land entdecken, das schon bewohnt war? Er konnte es nicht entdecken, er hat den amerikanischen Kontinent bestenfalls wiederentdeckt und das nahm Spanien zum Anlass, Amerika zu besetzen.

Wie die Wikinger kein neues Land entdeckten

Kolumbus war nicht der Erste, der sich geirrt hatte. Denn ganze 500 Jahre vor Kolumbus haben schon die Wikinger eine ähnliche Reise auf sich genommen und sind ebenfalls auf den amerikanischen Kontinent gestoßen. Der isländische Wikinger Leif Eriksson und seine Gefolgsleute nannten es damals Vinland, als sie zum ersten Mal das amerikanische Festland betraten und später Kolonien anlegten. Aber auch hier endete das mit viel vergossenem Blut, denn die Ureinwohner*innen Amerikas wollten sich ihr Land nicht von den Wikingern wegnehmen lassen. Schließlich kamen die ersten Menschen schon vor etwa 20.000 Jahren über die Landbrücke zwischen Sibirien und Alaska auf dem amerikanischen Festland an und besiedelten es.

Der Kampf zwischen den Wikingern und den amerikanischen Ureinwohner*innen ist nur einer von vielen, die noch Jahrhunderte später die Ureinwohner*innen austragen müssen, um den amerikanischen Boden zu verteidigen. Denn die sogenannte Entdeckung von anderen Ländern und Menschen führte gezwungenermaßen immer zu Handel, Krieg und Unterwerfung. Die Entdeckung ist der Kolonialisierung vorangestellt. Von Entdeckungen und Heldentaten im selben Atemzug zu sprechen, ist den Ureinwohner*innen gegenüber geschichtsvergessen und verachtend.

Kult um Kolumbus

Ein kritisches Verständnis über Kolumbus und die Kolonialisierung bleibt aber aus. Kinder und Jugendliche kritisch über Geschichte aufzuklären, um bereits gemachte Fehler nicht zu wiederholen, ist ein unumgänglicher Bestandteil der Bildung. Auch Sprache und Zuschreibungen sind von immenser Bedeutung. Denn über Sprache und ihre Wiederholung verfestigen sich Gedanken und Muster und werden zu Strukturen. Sprache schafft soziale Realitäten. Immer wieder „Kolumbus entdeckte Amerika“ zu wiederholen, ist eine Falschaussage, die wir ständig betätigen, um uns die Geschichte schön zu reden – auch wenn die Aussage kurz darauf berichtigt und kontextualisiert wird. Die Erzählung über Amerikas Geschichte bei Kolumbus zu beginnen, ist irreführend. 

Blättert man in neu erschienenen Kinderbüchern zu Entdeckern oder zur Weltgeschichte, wird immerhin auf die Folgen der „Entdeckung“ Amerikas eingegangen. Dennoch sollte Kolumbus nicht heldenhaft als der Entdecker Amerikas betitelt werden und ein solches Kapitel muss kindgerecht mit mehr Kontext zu den Konsequenzen des Ereignisses 1492 vermittelt werden. Wird über Weltgeschichte und Entdecker*innen gesprochen, muss klar sein, was „entdecken“ damals bedeutete. Denn entdecken heißt in diesem Kontext nicht Reisen, Abenteuer erleben und sich mit anderen austauschen. Entdecken bedeutet Kolonialisierung und Blutvergießen. 

Ein Beispiel: An den durch die Europäer*innen eingeschleppten Krankheiten starben circa zwei Drittel aller Ureinwohner*innen Südamerikas, nach aktuellen Schätzungen. Diese Tatsachen nicht zu erwähnen, wäre eine sehr einseitige Sichtweise auf die damaligen Ereignisse. Es ist die Aufgabe von Kinder- und Lehrbüchern, auf diesen Missverstand altersgerecht hinzuweisen und auf die Fehler unserer Vorfahr*innen aufmerksam zu machen. Und darüber hinaus müsste in Kinderbüchern, -sendungen und der Erziehung nicht der Name Kolumbus als Erstes fallen, sobald über die Geschichte der USA gesprochen wird. Gerecht wäre es, die amerikanische Geschichte aus der Sicht der Ureinwohner*innen zu erzählen und Europas Entdeckung von Amerika durch die Wikinger und Kolumbus nur als das letzte Kapitel einer langen Geschichte zu erwähnen. 


Illustration: Céline Bengi Bolkan

Dieser Artikel wurde bereits in der Ausgabe #263: Ostpaket veröffentlicht.