Eine Freundschaft lebt von Kommunikation. Aber was, wenn diese Kommunikation plötzlich wegfällt? Dieses Phänomen lautet Ghosting und ist nicht nur im Online-Dating ein Problem. Drei Betroffene berichten.

An den Moment, als sie die letzte Nachricht von ihrer Freundin bekommen hat, kann sich Dilara (26) sehr gut erinnern: Ich war im Urlaub am Strand und plötzlich bekam ich auf dem Handy die Nachricht, dass sie wegen ihres Freundes den Kontakt mit mir abbrechen muss. Ich habe angefangen zu zittern und kalt zu schwitzen. Das war so ein Schockmoment. Ich habe wirklich jede Pulsader in meinem Körper gespürt. In dem Moment wollte ich nur noch zurück nach Deutschland – und zwar so schnell wie möglich.“ Ihre Freundin habe sie während der Schulzeit kennengelernt. Die Freundschaft davor sei innig gewesen, habe mehr als drei Jahre gehalten. Es hätte gar keine vorherigen Anzeichen gegeben, dass ihre Freundin den Kontakt abbrechen wollte. 

Während Dilara zunächst mit Schock reagierte, war Sarah (29) hauptsächlich verärgert darüber, dass ihre ehemalige Bandkollegin sich wochenlang nicht bei ihr meldete. In ihrem Fall fand der Kontaktabbruch ohne vorherige Ankündigung statt. Sie habe anfangs nicht verstanden, warum die Person überhaupt den Kontakt verweigerte und, ähnlich wie Dilara, hatte sie anderweitig versucht, den Kontakt wiederherzustellen. Doch das Klingeln an der Haustür wurde ignoriert und auch auf die Nachricht, die sie in ihrem Briefkasten hinterlassen hatte, habe sie keine Antwort bekommen. Anders als Dilara, die bis heute nicht die Hoffnung aufgegeben hat, dass ihre Freundin sich wieder bei ihr melden wird, hat Sarah die Situation innerhalb kurzer Zeit akzeptiert: Irgendwann kam der Punkt: Sie hat eine Woche nicht geantwortet, sie hat zwei Wochen nicht geantwortet. Nach drei Wochen habe ich mir gedacht ,Okay, da kommt jetzt nichts mehr’ ”. 

In Jessicas (40) Fall, einer Epithetikerin aus den USA, war das Ghosting eine Begleiterscheinung der ungewöhnlichen Freundschaftsbeziehung, die sie zu ihrem Patienten aufgebaut hatte: Sie ersetzte eine Finger, den er bei einer Verletzung verloren hatte, durch eine künstliche Prothese. Für Jessica ist eine wichtige Grundbedingung von Freundschaften, dass kein Machtungleichgewicht besteht. Da sie in ihrem Beruf Patient*innen weder therapiert noch operiert, sondern lediglich defektes menschliches Gewebe künstlich nachbildet, hatte sie keine Bedenken, eine freundschaftliche Beziehung mit ihm einzugehen. Doch seine Depressionen standen der Freundschaftsbeziehung im Weg in Form von mehreren Ghosting-Spiralen: Es war etwas, was viele als Slow Fade – eine allmähliche Abnahme der Kommunikation – bezeichnen. Mit dem Eintreten seiner depressiven Schübe kamen auch die Phasen des Ghostings. Die Phase, die am längsten anhielt, war im Jahr 2020, als die Pandemie einen Höhepunkt erreicht hatte und die Fitnessstudios geschlossen waren.“ Sie bekam zehn Monate lang keine Nachricht und der Kontaktabbruch fand mitten in der Konversation statt. Durch das Ghosting fing sie an, daran zu zweifeln, ob sie überhaupt befreundet waren. 

Von Schock bis Verärgerung

Jessica hatte im Gegensatz zu Dilara und Sarah die Möglichkeit, ihren Ghoster” zu konfrontieren. Allerdings lief die Konfrontation nicht so produktiv wie erwartet: „Er hat nur gesagt: ‚Sorry, dass ich dich geghostet habe‘ und es dabei belassen. Er hat weder das Problem ehrlich adressiert noch mir wirklich zugehört.“ Sie habe durch das Ghosting erkannt, dass die Freundschaft sehr einseitig war, was sich nicht zuletzt  in der egozentrischen Reaktion ihres Freundes zeigte. 

Auch Dilara äußerte ihre Enttäuschung über die Qualität der Freundschaft. Den Freund, der den Kontaktabbruch erzwungen haben soll, hätte ihre Freundin nur einen Monat gekannt. Sie allerdings fast vier Jahre lang. 

In beiden Fällen ähneln die Reaktionen, die von Schock bis Verärgerung reichen, einem Trauerzyklus. Kein Wunder, denn der Verlust einer Freundschaft kann für viele eine zutiefst erschütternde Erfahrung sein, von der sich nur wenige erholen können. Der Grund, warum Sarah das Ghosting innerhalb weniger Wochen akzeptieren konnte, hing unter anderem damit zusammen, dass die Band als Gruppe geghostet wurde: Wenn das meine beste Freundin gewesen wäre, wäre das eine Ecke schlimmer gewesen.” Dadurch, dass wir das als Gruppe erlebt haben, konnten wir das auch zusammen verarbeiten und zusammen darüber hinwegkommen. 

Keine Nachricht, kein Abschluss

Für Dilara war das Belastende an der Situation, nicht abschließen zu können, da sie nicht mit ihrer Freundin ins Gespräch treten konnte. Ihr Kampf für die Freundschaft ging so weit, dass sie die Produzent*innen der Sendung ‘Vermisst’ kontaktiert hatte, um eine Suchanzeige zu schalten – zunächst mit Erfolg. Doch wenige Wochen später sprangen die Betreiber vom Angebot ab. 

Trotzdem konnte sie den Verlust für sich verarbeiten. Geholfen hätte es ihr, die schönen Erinnerungen wertzuschätzen und ab und an teile sie alte Bilder, wenn sie eine Sehnsucht verspürt. Für Jessica war es hilfreich, ihre Erfahrungen in anonymen Internetforen, wo sie sich mit Betroffenen austauschen kann, zu verbalisieren. Den Ratschlag bekam sie von ihrer Therapeutin. 

Bei der Frage, wie sie zu Ghosting unabhängig von ihrer eigenen Erfahrung stehen, war die Meinung geteilt: Beim Online-Dating könnten sie es verstehen. Denn wenn man offenkundig kommuniziert, dass man kein Interesse hat, können doch unangenehme Reaktionen kommen. Zum Beispiel ,Dickpics’ und Vergewaltigungsvorschläge”, kommentiert Sarah. Trotzdem finden alle drei, dass besonders in Freundschaftsbeziehungen die Verantwortung besteht, zu kommunizieren. Dazu Jessica: Es ist kein großer Aufwand, zu sagen ,Hallo, ich bin gerade nicht in der Stimmung, zu reden. Tut mir leid’”.


Illustration: Büsra Koc

Dieser Artikel wurde bereits in der Ausgabe #263: Ostpaket veröffentlicht.