Panahis Nichte filmt ihren Onkel im “Taxi Teheran”                Foto: Weltkino Filmverleih

Nach dem unglaublichen Erfolg von Taxi Teheran auf der diesjährigen Berlinale war es nur eine Frage der Zeit, dass Jafar Panahis Film ins Kino kommt. Zu Recht, meint unser Redakteur, der sich auf die cineastische Taxifahrt durch Irans Hauptstadt eingelassen hat.

Jafar Panahi ist kein Taxifahrer. Er sitzt am Steuer eines gelben Autos, lädt verschiedene Fahrgäste ein und wieder aus, kurvt durch dichten Stadtverkehr, lächelt an den richtigen Stellen höflich, hin und wieder ein wenig verschmitzt und versprüht mit seinem Blick in den Rückspiegel warmherzige Gelassenheit. Seine zerzausten schwarzen Haare drängen sich unter einer Schiebermütze hervor, die er wenig später ablegen wird. Dezent, locker und entspannt steht er ganz im Einklang zu seiner dunklen Kleidung. Er fährt vorsichtig, er fragt nach, er wirkt zweifellos interessiert an seinen Fahrgästen, dennoch kann dieser Mann einfach kein Taxifahrer sein.

Denn Jafahr Panahi hat ein gedämpftes und doch entschlossenes Funkeln in seinen Augen, das ihn verrät. Selbst wenn er über seine gelbe Motorhaube hinweg durch die Scheibe schaut und einen gequälten Eindruck erweckt, als sei das, was sich draußen abspielt mit Anstrengungen und Unbequemlichkeiten verbunden, ja selbst dann blitzt ein für Taxifahrer unübliches Restfunkeln in seinen Augen auf. Etwas an Panahi ist besonders und außerdem kennt er sich zu wenig aus auf den wuseligen, lauten, heißen Straßen Teherans.

Jafahr Panahi ist Regisseur – und sein „Taxi Teheran“ eine listig-geniale gelbe Widerstandswaffe.

An einer Straßenkreuzung setzt es sich erstmals in Bewegung, das Filmtaxi. Eine Kamera, nach vorne gerichtet, zeigt recht moderne Villen, schäbige Häuschen, Frauen mit Kopftüchern, Bäume, Brücken, Männer, die Musik hören, rote Ampeln. Die Bilder erklären die unzähligen Geräusche der schweren Busse, der waghalsigen Überholmanöver der Motorroller, das Gewirr, das ununterbrochene Hupen.

Das Auto hält an, die Tür geht auf und klappt wieder zu. Zweimal. Dann ein Schwenk und wir sehen die Fahrgäste aus gewöhnungsbedürftiger Perspektive: vom Armaturenbrett aus. Einen jungen Mann mit Kurzarmhemd und Silberkette, hinten eine Frau. Man kommt ins Gespräch und streitet prompt. Es geht um die Todesstrafe. Die Frau, eine Lehrerin, ist dagegen, der Mann, der sich später als Taschendieb entpuppen wird, ist dafür. Der nächste Fahrgast, ein kleinwüchsiger Raubkopierer, vertickt Filme und hat die berühmte Persönlichkeit am Steuer sofort erkannt.

Nur, was hat er diesmal bloß vor, dieser Panahi?

„Propaganda gegen das System“, lautet der Vorwurf des Mullah-Regimes. Als scharfer Kritiker der gesellschaftlichen und politischen Umstände in seiner Heimat wurde Jafar Panahi im Dezember 2010 zu sechs Jahren Haft verurteilt, er erhielt ein Ausreiseverbot, Interviewverbot, Berufsverbot – für 20 Jahre. Vorher, am 1. März 2010 wurde Panahi – wie auch seine Frau und Tochter – in seinem Haus von der iranischen Polizei festgenommen und ohne Anklage ins Gefängnis gebracht, wo er knapp drei Monate lang inhaftiert blieb. Dann trat er in den Hungerstreik, unter anderem weil er keinen eigenen Anwalt bekam.

Aber sowas kann keinen aufhalten, der Sätze sagt wie: „Ich bin Filmemacher. Mit Kino drücke ich mich aus. Es ist mein Leben. Nichts kann mich am Filmemachen hindern.“ Denn Panahi wäre nicht Panahi, wenn er nicht weiter Filme produzieren und sie heimlich ins Ausland schmuggeln würde. Nach Berlin zum Beispiel, wo er dieses Jahr den goldenen Bären der Berlinale entgegennehmen durfte. Besser, hätte entgegennehmen sollen. Er war „verhindert”. Stattdessen trat seine Nichte Hana Saeidi auf die Bühne, brach in Tränen aus und zeigte sich zu ergriffen, um etwas zu sagen.

Ebenjene Nichte, die auch im Film in das Taxi zu ihrem Onkel Jafar steigt und sich als liebenswürdig vorlautes Mädchen in die Herzen der Zuschauer plappert. So beschwert sie sich larmoyant über ein sonderbares Schulprojekt. Die Schüler sollen innerhalb von einem Monat einen Film drehen. Panahi als Onkel zu haben, könnte da von Vorteil sein. Könnte. Blöd nur, dass der Film „vorzeigbar“ sein muss, so die Anweisung der Lehrerin, die aber gleichzeitig auch die Wirklichkeit abgebildet sehen will. Was soll das heißen? Die aufgeweckte Zehnjährige wird stutzig. Zur Sicherheit wurden den Kindern einige Regeln mit auf den Weg gegeben. Die islamische Kleiderordnung soll beachtet werden, es darf keine Berührung zwischen Mann und Frau geben, keine Gewaltdarstellungen zu sehen sein und so weiter und so weiter. Von politischen und wirtschaftlichen Themen sollte man lieber gleich die Finger lassen und “Schwarzmalerei” gehe gar nicht.

Die Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotudeh, die sich dann auch ins Taxi setzt, kennt sich bestens aus mit „Zeigbarem“ und „Unzeigbarem“, mit „Sagbarem“ und „Unsagbarem“ und mit „Schwarzmalerei“. Ihr Name darf im Unterschied zu den anderen genannt werden, weil sie ohnehin nichts mehr zu verlieren hat. „Wir sollen wissen, dass wir verfolgt und beobachtet werden“, sagt sie. So funktioniere das System, durch Spionage werden einem irgendwann moralische Verfehlungen in die Schuhe gesteckt. Ach ja, und „mein Gerede solltest du am besten rausschneiden, sonst beschuldigen sie dich der Schwarzmalerei“, sagt sie noch zu Jafar, zeigt in die Kamera und lächelt so sympathisch, wie man sympathischer nicht lächeln kann.

„Das Ministerium für islamische Führung genehmigt den Abspann von zeigbaren Filmen.“, heißt es am Ende. Taxi Teheran hat keinen Abspann und so konnte Jafar Panahi seiner Nichte nicht wirklich für ihr Schulprojekt helfen. Oder etwa doch?

Mit Filmen ohne „Schwarzmalerei“, im Sinne von Wahrheiten, die nicht gezeigt werden sollen. Denn nicht weniger und nicht mehr kann Panahi machen. Er kann sich hinter das Steuer eines Taxis setzten und ein ironisch distanziertes Portrait der Menschen in seiner Heimat aufnehmen, das Hoffnung macht. Nicht weil er ein friedfertiges und freies Teheran zeichnet, sondern weil die Liebe zum Kino sich über die Restriktionen eines Regimes hinwegsetzten kann, weil soviel Mut, den Einschüchterungen zum Trotz, belohnt wird und weil Panahi etwas Faszinierendes gelungen ist:

Ein vorzeigbarer Film – nach seinen Regeln der Kunst.

Taxi, Iran 2015 – Regie, Buch, Kamera, Schnitt: Jafar Panahi. Mit Jafar Panahi, Hana Saeidi, Nasrin Sotudeh. Verleih: Weltkino, 82 Minuten.