Welche Rolle spielt Sprache und die Art und Weise der Kommunikation in Kriegszeiten? Mit der UnAuf spricht die Journalistin Anastasia Tikhomirova über Putins Propaganda, die Rolle sozialer Medien und die deutsche Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine. 

UnAuf: Du verfolgst intensiv die Debatten rund um den russischen Angriffskrieg. Gibt es aktuell etwas, was dir sprachlich in der Kommunikation über den Krieg besonders auffällt? 

Anastasia Tikhomirova: Ich höre derzeit häufiger, die Ukrainer würden sich auf einmal sehr radikal oder teils beleidigend äußern, zum Beispiel der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrij Melnyk. Das kann man aus einer diplomatischen Sicht kritisieren, aber Entschuldigung, sein Land wird gerade bombardiert. Sehr viele Deutsche scheinen genervt zu sein von dieser direkten Art und sagen, was erdreistet ihr euch eigentlich, unseren Bundespräsidenten auszuladen, was erdreistet ihr euch eigentlich, so viel zu fordern. Ich habe das Gefühl, dass man eine Art Unterwürfigkeit der Ukraine erwartet, da sie ja schließlich die Hilfe der Deutschen erhält – wenn diese sich denn dazu erbarmen.

In Zeiten des Krieges verhärtet sich die Sprache, aber das ist ja nur eine Folge der materiellen Realität. Es ist eine Folge davon, dass gerade Menschen aus ihren Häusern gebombt, Frauen und Kinder vergewaltigt und ganze Familien ermordet werden. Dieser Krieg hat einen genozidalen Aspekt. Ich weiß nicht, ob man angesichts dieser Geschehnisse den Fokus auf eine „korrekte“ Sprache legen sollte. Stattdessen sollten wir jetzt den Fokus darauf legen, wie wir diesen Krieg möglichst schnell beenden können. Das können wir tun durch ein Embargo und durch schwere Waffenlieferungen an die Ukraine.

In seinen Fernsehansprachen und Auftritten bezeichnet Putin seinen Krieg als „militärische Spezialoperation“ und verteidigt ihn unter anderem mit dem absurden Ziel der „Entnazifizierung“ der Ukraine. Wie hat es Putin geschafft, dass Menschen seine Propaganda glauben? 

Das ist kein Werk von wenigen Wochen oder Monaten, sondern von mehreren Jahrzehnten. Nicht nur seit Putins Regentschaft, sondern auch schon in der Sowjetunion fand massive Propaganda statt. Seither gab es eigentlich keine wirklich freie Presse, auch wenn es einige Lichtblicke wie die Novaya Gazeta gab, die sich 1993 gründete als sich Russland in einer kurzen demokratischen Phase befand. Wie soll man jetzt die Wahrheit erkennen, wenn alle möglichen freien Medien nach und nach verboten und die Journalisten ins Exil gejagt, in die Knäste verfrachtet oder ermordet werden?

Propaganda als eines der wichtigsten Instrumente des Putin-Regimes wurde massiv unterschätzt. Der staatliche Fernsehsender RT hat beispielsweise auch Ableger in Deutschland, wo es eines der populärsten Medien unter Rechtsextremen und Corona-Leugnern ist. In der linken Bubble gibt es den passenden Ableger redfish. Natürlich gilt in Deutschland Pressefreiheit. Sie ist einer der Grundpfeiler einer Demokratie, aber um diese Demokratie zu schützen, muss gegen Desinformation vorgegangen werden. Und das wurde einfach unterlassen. Es hat nichts mit Pressefreiheit zu tun, wenn man staatlichen Medien die Möglichkeit gibt, die Massen zu brainwashen.

Der russische Propaganda-Apparat läuft auf Hochtouren. Wie kann den Menschen in Russland denn jetzt noch ein Ende des Krieges vermittelt werden?

Viele Russen stehen zusammen, weil aus dem Krieg ein nationaler Ethos bedient wird. Die Leute haben sich noch nie kritisch mit ihrer eigenen Geschichte auseinandergesetzt, mit den eigenen imperialen Kriegen und dem russischen Kolonialismus. Viele Menschen sind eher stolz auf ihr Land. Daraus speist sich ein gewisser Nationalismus.

Putin wollte die ganze Ukraine einnehmen und das in wenigen Tagen. Das hat er nicht geschafft. Jetzt ist er in die Bredouille geraten und muss seinem Volk irgendetwas präsentieren, was er als Sieg verkaufen kann. Zum Beispiel, wenn er die Ostukraine einnimmt oder sagen kann: „Wir haben Mariupol von den Nazis befreit.“ Er braucht einen Sieg und wenn er noch so klein ist, damit die Propaganda weiterhin funktioniert.

Die russische Gesellschaft ist gespalten. Und wenn die Sanktionen spürbar werden, dann kann es sein, dass das Vertrauen in das Regime sinkt und die Leute verstehen, wie sinnlos dieser Krieg ist und dass er ihnen auch selbst massiv schadet. Dann gibt es natürlich auch die Opposition, welche auf Hochtouren arbeitet, viele aus dem Exil, andere aus Russland heraus. Die Devise wäre jetzt, weitere Menschen aus ihrer unpolitischen Haltung zu drängen, doch das ist gerade utopisch.

Auf dem offiziellen Twitter-Account der ukrainischen Regierung sind Memes und Wortspiele zentraler Bestandteil der Meldungen über den Krieg. Als Reaktion auf die Nachricht, dass das russische Kriegsschiff „Moskwa“ versenkt worden sei, twitterte die ukrainischen Regierung am 14. April beispielsweise: „Russian warship, what are you sinking?“ Was steckt da für eine Absicht dahinter? 

Ich glaube das ist ein Weg, um die junge Generation zu erreichen, da sehr viele junge Menschen nicht gewillt sind, sich ausführliche politische Analysen durchzulesen, aber beispielsweise durch Memes zu erreichen sind. Dass staatliche Organe so kommunizieren, so twittern, ist tatsächlich etwas sehr Neuartiges. Ich selbst bin kein Fan einer solchen vereinfachenden Darstellungsform, weil sehr viel unterschlagen werden kann.

Mittlerweile werden die sozialen Medien als fünfte Säule der Gewalt bezeichnet, weil sie zusätzlich zum Journalismus als vierte Säule wirklich massiven Einfluss auf die Gesellschaft und die Politik nehmen können. Deswegen ist es eine kluge Strategie, diese zu bedienen, vor allem in Staaten, in denen keine Online-Zensur betrieben wird.

Auch der russische Staat nutzt diese Mittel, aber ihm gelingt es nicht so gut. Mit dem Staatsfernsehen setzt Putin sehr viel stärker auf ein klassisches Medium und hat die Rolle der sozialen Medien möglicherweise unterschätzt. Außerdem versucht Russland eher, ein seriöses, kühles Bild abzugeben. Deswegen würde es sich niemals in dieser Form politisch äußern.

Während eines Krieges spielt auch die Art und Weise, wie über diesen berichtet wird, eine zentrale Rolle. Insbesondere zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine haben deutsche Medien häufig vom „Ukraine-Konflikt“ gesprochen und, so der Vorwurf, mit ihrer Wortwahl Russlands Aggression verschleiert. Was könnte die Ursache für diese „journalistische Diplomatie“ deutscher Medien sein? 

Ich kann mir vorstellen, dass das in einer gewissen „Appeasement-Haltung“ begründet ist. Man muss im westlichen Journalismus schon darauf achten, nicht das schlimmste Szenario herbeizuschreiben. Und wenn es die Möglichkeit gibt, etwas als Konflikt zu benennen, dann wird es eher Konflikt als Krieg genannt. Genau genommen herrscht seit acht Jahren Krieg in der Ukraine. Dieser wird aber jeher als Konflikt bezeichnet, obwohl die Ukrainer schon lange fordern, es als das zu bezeichnen, was es ist.

Russland ist eine Kolonialmacht. Russland hat viel Einfluss gehabt über all die Jahre in der Welt. Wir sehen beispielsweise gerade bei linken Positionierungen, dass es sehr schwer sein kann, von seinem ursprünglichen Narrativ abzuweichen und seine Vorstellungen neu zu strukturieren und umzudisponieren.

Wir haben bei Afghanistan, bei Moria gesehen, dass irgendwann das Interesse bei den Menschen nachlässt, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Auch die Medienberichterstattung wurde mit der Zeit immer weniger. Hast du das Gefühl, dass das auch jetzt schon im Krieg gegen die Ukraine eintritt? 

Die Berichterstattung deckt noch immer sehr gut ab, was in der Ukraine passiert. Was mir wirklich Sorgen macht, ist, dass das Interesse der Menschen, der normalen Konsument*innen von Nachrichten, nachlässt. Am Anfang haben alle irgendwas zum Krieg geteilt, Hilfsmöglichkeiten in den sozialen Medien gepostet und sind auf die Demonstrationen gegangen. Was haben wir jetzt? Viele Leute sind zu ihrem Alltag übergegangen. Einige scheinen sogar genervt von der Solidarität mit der Ukraine. Aber wir stehen erst am Anfang. Damit ist es noch nicht getan.

Wir merken erst so langsam die Auswirkungen der Fluchtströme und wie sich das Leben in Berlin zum Beispiel verändern wird. Der Wohnungsmarkt wird noch angespannter werden. Die Leute werden Sozialhilfe, Betreuung und Unterstützung brauchen. Es gilt vor allem jetzt, solidarisch zu bleiben und sich weiterhin mit den Menschen zu beschäftigen und sie vor allem nicht nur als Geflüchtete wahrzunehmen, sondern auch als akut Betroffene eines Krieges in ihrem Heimatland. Das heißt, dass wir weiterhin die Forderungen laut vortragen müssen.

Wir können uns jetzt nicht ausruhen. Ich glaube viele haben einfach nicht verstanden, dass dieser Krieg nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, sondern ein Krieg gegen die liberale Demokratie ist. Wir können nicht einfach weitermachen wie bisher. Durch diesen 24. Februar ist ein neues Zeitalter angebrochen, weil in dem Moment, als das größte Land in Europa, das nur 1000 Kilometer von hier entfernt ist, angegriffen wurde, die ganze Sicherheitsordnung auf den Kopf gestellt wurde.


Foto: Anastasia Tikhomirova